jurisPR-BGHZivilR 18/2009 Anm. 2

Mieterschutz bei Eigenbedarfskündigung im Münchener Modell (analog § 577a BGB)?

Anmerkung zu BGH 8. Zivilsenat, Urteil vom 16. Juli 2009, VIII ZR 231/08
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof
 

Leitsatz
Auf eine Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters findet die Kündigungsbeschränkung des § 577a BGB keine Anwendung, wenn nach der Kündigung Wohnungseigentum der Gesellschafter begründet wird. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschaft das Wohnanwesen zu dem Zweck erworben hat, die vorhandenen Wohnungen in Wohnungseigentum der Gesellschafter umzuwandeln.

Orientierungssatz zur Anmerkung
Keine analoge Anwendung der Kündigungssperrfrist des § 577a BGB beim Münchener Modell.

A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage des Kündigungsschutzes bei Eigenbedarfskündigungen im Zusammenhang mit der Umwandlung in Wohnungseigentum. Der BGH hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Kündigungsbeschränkung des § 577a BGB, die den Mieter im Zusammenhang mit entsprechenden Umwandlungen drei bzw. zehn Jahre vor Eigenbedarfskündigungen schützt, auch dann anwendbar ist, wenn die Umwandlung in Wohnungseigentum, wie von Anfang an konzipiert, erst nach einer entsprechenden Eigenbedarfskündigung durch die erwerbende BGB-Gesellschaft erfolgt. Der BGH hat für diesen Fall die analoge Anwendbarkeit des § 577a BGB im Ergebnis verneint.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ein Ehepaar vermietet in München im Jahr 1983 eine Wohnung an die Mieterin. Im Jahr 2006 erwirbt eine GbR bestehend aus acht Gesellschaftern das Grundstück und wird im Grundbuch eingetragen. Gründungsgesellschafter ist ein Bauträger, der das Konzept entwickelt und die anderen BGB-Gesellschafter mit der Aussicht auf Erwerb einer Eigentumswohnung geworben hat. Die Gesellschafter beabsichtigen, selbst zu nutzen. Der vom Bauträger konzipierte Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass zunächst jedem Gesellschafter eine bestimmte Wohnung schuldrechtlich zugewiesen wird. Nach Eintragung der BGB-Gesellschaft als Eigentümerin im Grundbuch kündigt diese einem Mieter und beruft sich dabei auf den Eigenbedarf des Gesellschafters, dem die gekündigte Wohnung schuldrechtlich zugewiesen wurde. Nach der Kündigung wandelt die Gesellschaft das Objekt in Wohnungseigentum um. Der Gesellschafter mit Eigenbedarf wird als neuer Wohnungseigentümer im Grundbuch eingetragen.

Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der bestrittene Eigenbedarf sei nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt worden.

Das Berufungsgericht folgt dieser Auffassung nicht. Es stellt sich jedoch auf den Standpunkt, eine Kündigung der BGB-Gesellschaft könne auf Eigenbedarf eines Gesellschafters nur dann gestützt werden, wenn jener Gesellschafter bereits bei Abschluss des Mietvertrags Gesellschafter gewesen sei. Für diese Auffassung beruft sich die zweitinstanzliche Entscheidung auf die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 27.06.2007 - VIII ZR 271/06 - NJW 2007, 2845).

Nach dieser Entscheidung sei zwar davon auszugehen, dass eine BGB-Gesellschaft für einen Gesellschafter wegen Eigenbedarfs kündigen könne. Das gelte jedoch nur dann, wenn dieser bereits bei Abschluss des Mietvertrags Gesellschafter gewesen sei. Ansonsten entspreche es dem Schutzzweck des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, den Mieter vor dem unkalkulierten Risiko von Eigenbedarfskündigungen durch einen nicht überschaubaren Personenkreis zu bewahren.

Der BGH hebt die Berufungsentscheidung auf. Zwar gehe das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend davon aus, dass nach der von ihm zitierten Entscheidung vom 27.06.2007 (VIII ZR 271/06 - NJW 2007, 2845 Rn. 10 ff.) eine BGB-Gesellschaft als Vermieterin einem Mieter grundsätzlich wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters kündigen dürfe. Die These, das gelte nur, wenn der Gesellschafter, dessen Eigenbedarf behauptet wird, bereits bei Abschluss des Mietvertrags Mitglied der BGB-Gesellschaft gewesen sei, greift der VIII. Zivilsenat nicht wieder auf. Die Vorschrift des § 566 BGB, so der BGH, schütze den Mieter nicht davor, dass eine Personenmehrheit als Erwerberin in den Mietvertrag eintritt, unabhängig davon, ob es sich um eine Eigentümergemeinschaft, eine Erbengemeinschaft oder eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handele; auf die Zahl der Gesellschafter komme es nicht an (Rn. 13 f.). Der BGH vertritt die Auffassung, die GbR könne wirksam aus Eigenbedarf eines ihrer Gesellschafter kündigen.

Eine unmittelbare Anwendung der Schutzvorschrift bei Eigenbedarfskündigungen nach § 577a BGB lehnt der BGH ab. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei eine Umwandlung in Wohnungseigentum noch nicht erfolgt. Für eine analoge Anwendung des § 577a BGB fehle es an einer entsprechenden Regelungslücke. Die Vorschrift, die den Mieter vor Eigenbedarfskündigung bei Umwandlung schützt, gelte nur, wenn zunächst die Umwandlung in Wohnungseigentum erfolgt. Der Mieter solle nur davon geschützt werden, dass umgewandelte Eigentumswohnungen zur Befriedigung eigenen Wohnbedarfs erworben werden.

Eine Umgehung der Vorschrift des § 577a BGB sieht der BGH nicht. Es bestehe hier nicht dieselbe nahe liegende Gefahr einer Verdrängung des Mieters im Falle der vorherigen Umwandlung in Wohnungseigentum. Der BGH ist der Auffassung, dass eine Erweiterung der Sperrfristregelung des § 577a BGB auf die Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB im vorliegenden Fall nicht in Betracht komme. Er legt die Vorschrift des § 577a BGB eng aus. Deshalb hebt der BGH die Berufungsentscheidung auf und verweist den Rechtsstreit zurück.

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung wird große praktische Bedeutung haben. Das sog. Münchener Modell, das von Bauträgern entwickelt worden ist, vollzieht sich in mehreren Schritten: Zunächst wirbt der Bauträger Wohnungsinteressenten ein, gründet mit diesen eine GbR und weist dem jeweiligen Gesellschafter schuldrechtlich im Gesellschaftsvertrag ein Sondernutzungsrecht an den einzelnen Wohnungen zu. Dann erfolgt der Erwerb des Objekts durch die GbR und deren Grundbucheintragung. Im Anschluss daran kündigt die GbR wegen Eigenbedarfs, saniert und teilt nach WEG auf. Sodann setzt sich die BGB-Gesellschaft auseinander und veräußert die einzelnen Sondereigentumseinheiten im Zuge der Auseinandersetzung an die vorgesehenen Erwerber (= Gesellschafter).
Diese professionelle, modellhafte Vorgehensweise auf Initiative eines Bauträgers ist für den Mieter – was den Schutz gegen Eigenbedarfskündigungen im Zusammenhang mit Umwandlungen angeht – ähnlich gefährlich wie die vorherige Umwandlung in Wohnungseigentum und dann erfolgende Kündigung des Erwerbers.

D. Auswirkungen für die Praxis
Für den Mieter und dessen Schutz vor Eigenbedarfskündigungen, die der Gesetzgeber auf die Dauer von drei (bzw. bei bestimmten besonders in Bezug auf Wohnraumversorgung gefährdeten Gebieten von zehn) Jahren gewährt, ist die Situation beim Münchener Modell die gleiche wie diejenige, die § 577a BGB direkt regelt.

Anders als beim Erwerber eines Objekts durch Eheleute als Miteigentümer (vgl. BGH, Beschl. v. 06.07.1994 - VIII ARZ 2/94 - BGHZ 126, 357) oder durch den Erwerb einer miteinander von vornherein verbundenen Gemeinschaft als BGB-Gesellschaft, deren sämtliche Mitglieder von Anfang an Eigenbedarf haben, handelt es sich beim Münchener Modell um eine professionelle, vom Bauträger initiierte modellhafte Verwertungsstrategie. Er sucht gezielt Interessenten, die eine letztlich umgewandelte Eigentumswohnung erwerben wollen. Um die Schutzvorschrift des § 577a BGB zu umgehen, wirbt er diese Interessenten – selbst Mitglied der BGB-Gesellschaft – als BGB-Gesellschafter ein.

Der BGH betrachtet die Frage der Anwendbarkeit des § 577a BGB bei der Verneinung der Analogie mehr unter dem Gesichtspunkt der Reihenfolge der jeweiligen Teilakte des Gesamtablaufs als unter dem Gesichtspunkt des Mieterschutzes. Es ist fraglich, ob der Mieter nicht auch dann in gleicher Weise geschützt sein sollte, wenn zuerst die Kündigung durch die BGB-Gesellschaft und dann erst die Umwandlung in Miteigentumsanteile, verbunden mit dem jeweiligen Sondereigentum erfolgt. Aus der Sicht des Mieters und dessen notwendigem Schutz vor Eigenbedarfskündigungen spielt es keine Rolle, ob die Umwandlung in Wohnungseigentum zuvor geschieht oder – wie von Anfang an geplant – zur Vermeidung der Kündigungsbeschränkung nach § 577a BGB erst nach der Kündigung durch die BGB-Gesellschaft durchgeführt wird.

Die Entscheidung des BGH, mit der das sogenannte Münchener Modell sanktioniert wird, wird zur Folge haben, dass der Bauträger in Zukunft regelmäßig die Aufteilung und die Übertragung des Eigentums von der gegründeten BGB-Gesellschaft auf den einzelnen Erwerber erst am Ende des mehraktigen Erwerbs- und Verwertungsprozesses vornimmt. Der Mieterschutz des § 577a BGB kann damit durch gezielt geschicktes Vorgehen des Bauträgers ausgehebelt werden. Dass hier eine vergleichbare Gefährdung des Bestandschutzinteresses des Mieters eintritt, verkennt auch der BGH nicht (Rn. 22). Das ist jedoch nach seiner Auffassung hinzunehmen.

Der VIII. Zivilsenat des BGH, der für das Wohnungsmietrecht zuständig ist, hängt den Schutz des Mieters grundsätzlich sehr hoch. Das gilt beispielsweise insbesondere im Zusammenhang mit der umfangreichen Rechtsprechung des Senats zur Unwirksamkeit von Renovierungsklauseln und in diesem Zusammenhang auch mit der Gewährung von Bereicherungsausgleich bei tatsächlich erfolgter Renovierung trotz unwirksamer Dekorations-AGB (BGH, Urt. v. 27.05.2009 - VIII ZR 302/07 - NJW 2009, 2590; vgl. auch Lorenz, NJW 2009, 2576). Die ausdifferenzierte, aber extensive Klauselkontrolle des BGH verstärkt den Mieterschutz erheblich. Diese in der Literatur als „BGH-Tornado“ bezeichnete Rechtsprechung zu Renovierungsklauseln führt zu einer enormen Stärkung der Rechte des Mieters und einer entsprechenden Belastung des Vermieters (vgl. Beyer, NJW 2008, 2065).

In bemerkenswertem Gegensatz zu dem bei Renovierungsklauseln extrem hoch angesetzten Mieterschutz steht die besprochene Entscheidung: Der Mieterschutz kommt im Zusammenhang mit Eigenbedarfskündigungen bei professionell gestrickten Bauträgermodellen m.E. zu kurz. Steht der hoch ausdifferenzierte und extrem ausgebildete Mieterschutz im Zusammenhang mit Renovierungsklauseln nicht in einem nur schwer zu begreifenden Wertungswiderspruch zur Verkürzung des Mieterschutzes bei Eigenbedarfskündigungen nach § 577a BGB (analog)?

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
In Rn. 21 der Entscheidung vertritt der BGH die Auffassung, mit der Übertragung des Wohnungseigentums auf einen einzelnen Gesellschafter (das ist der letzte Akt der Verwertungsstrategie beim Münchener Modell) finde kein Wechsel in der Rechtsträgerschaft statt, der geeignet ist, neu bis zu diesem Zeitpunkt für die Mieter nicht zu befürchtenden Eigenbedarf zu schaffen. Auch wenn es hier um die Auseinandersetzung der BGB-Gesellschaft geht: Es wird sehr wohl Eigentum von der BGB-Gesellschaft auf den einzelnen Erwerber übertragen. Die Teilrechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft, die inzwischen in der Rechtsprechung etabliert ist (BGH, Urt. v. 29.01.2001 - II ZR 331/00 - BGHZ 146, 341), bewirkt durchaus einen Wechsel in der Rechtsträgerschaft: Übertragung des dann gebildeten Miteigentumsanteils verbunden mit dem jeweiligen Sondereigentum (also der Eigentumswohnung) von der BGB-Gesellschaft auf den einzelnen Gesellschafter. Nicht durch diesen Wechsel, wohl aber durch die von vornherein vom Bauträger so konzipierte modellhafte Gestaltung mit der Werbung von BGB-Gesellschaftern, die letztlich die Wohnung erwerben, wird neuer, zuvor für den Mieter nicht zu befürchtender Eigenbedarf geschaffen.

Die Umkehrung der Reihenfolge der Verwertungsakte beim Münchener Modell sollte dem Schutzzweck des § 577a BGB und deshalb seiner analogen Anwendung m.E. – entgegen der Auffassung des BGH in der besprochenen Entscheidung – nicht entgegenstehen.