ZAP Kolumne 2009, Seite 323

ZAP Kolumne

Justizverdrossenheit und Mediation
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

 

Fördert Justizverdrossenheit außergerichtliche Konfliktbewältigung und Mediation? Die Gründung von privaten Schiedsgerichten scheint das zu bestätigen (vgl. REINELT, Das Ständige Münchener Bauschiedsgericht, ZAP 1999, Fach 5, S. 137; KLOSTER-HARZ, Das Süddeutsche Familienschiedsgericht, FamRZ 2007, 99). Ich muss einräumen: Mediation war mir zunächst suspekt. Es wird mit großem, gegebenenfalls auch finanziellem Aufwand der Versuch einer einvernehmlichen Lösung betrieben, ähnlich wie das bei Gericht ohnehin schon immer geschah. Nil sub sole novum, nur ohne Entscheidungskompetenz. Die Folge: Wenn es schief geht, muss man wieder ganz von vorne anfangen und hat nichts gewonnen, sondern Zeit und Geld verloren. Vielleicht gerät man darüber hinaus in einen Zwiespalt: Bestimmte Dinge, die in der Mediation absprachegemäß vertraulich bleiben sollten, dürfen jetzt im Prozessverfahren gerade nicht vorgetragen werden. Inzwischen zweifle ich an meiner Skepsis. Ich halte heute Mediation in vielen Rechtsgebieten für einen erfolgversprechenden und geeigneten Weg. Warum sollen Richter hoheitlich entscheiden, wenn Probleme im Einvernehmen der Parteien mit Hilfestellung eines Mediators so gelöst werden können, dass alle Teile damit zufrieden sein können und nicht einer verliert und einer gewinnt?

Die Gründe, die Mediation fördern, beruhen auch auf Unzufriedenheit mit Gerichten. Woraus erwächst die zunehmende Justizverdrossenheit? Immer wieder erlebt man, dass Richter Termine verschieben, oft in den mündlichen Verhandlungen vollständig unvorbereitet sind und nur Vergleichslösungen mit Alibi-Funktion (etwa 50:50-Regelungen) in den Raum stellen, häufig verbunden mit Drohungen über lange Prozessdauer und hohe Kosten. Der — arbeitssparende — Vergleichsdruck wird erhöht durch oft völlig sinnlose Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien (vgl. REINELT, Voraussetzungen für Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei, jurisPRZivilR, Anm. 3, 33/2007). Das führt zur Verstimmung von Prozessbevollmächtigten und Parteien. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem es 14 Termine einschließlich zahlreicher Verschiebungen oder Verlegungen in der I. Instanz gab, obwohl es sich um einen Prozess handelte, der bei ordentlicher Vorbereitung in einem Termin zu lösen gewesen wäre. Unfähigkeit oder Bequemlichkeit mancher Richter, einen Fall ordentlich in den Griff zu bekommen, werden häufig zugedeckt mit dem Mantel der Unabhängigkeit der Gerichte.

Ein weiterer Grund für Justizverdrossenheit: Richterherrschaft (vgl. REINELT, Irrationales Recht, ZAP Sonderheft für Dr. Egon Schneider zum 75. Geburtstag, 2002, S. 52). Je weniger souverän ein Richter ist, desto mehr behandelt er die Parteien von oben herab. Ein solcher Verhandlungsstil ist weder zeitgemäß noch gerechtfertigt. Richterherrschaft sollte der Vergangenheit angehören. Andernfalls wird die Unzufriedenheit mit der Justiz nicht weichen. Je souveräner und besser ein Richter ist, desto weniger hat er es nötig, nach einem fest gefügten Schema vorzugehen, das dann noch durch selektive, selbstbestätigende Rechtsanwendung abgesichert wird, und desto eher wird er bereit sein, bei besserer Erkenntnis seine Meinung zu ändern. Sicherlich gibt es ganz hervorragende Richter. Ich habe sie in jahrzehntelanger Anwaltspraxis bei Instanzgerichten kennengelernt. Aber ich konnte sie in 35 Jahren meiner Anwaltstätigkeit bei den Instanzgerichten an den Fingern zweier Hände abzählen. Mehr als zehn Finger braucht man dagegen für die Aufzählung regelmäßiger Erfahrungen: Unbequeme Prozesse werden unendlich lang und überflüssig von Termin zu Termin geschleppt, manchmal schon mit Blick auf mögliche Versetzung oder Pensionierung. Ein Vorsitzender Richter interpretiert seine richterliche Unabhängigkeit wie folgt: „Akten sind keine Hasen, sie laufen nicht davon."

Seit meiner Tätigkeit als BGH-Anwalt begegne ich — und das verwundert angesichts des Richterauswahlverfahrens nicht — hervorragenden Richtern. Gleichwohl erzeugen auch Verfahren beim BGH in nicht unerheblichem Maße Justizverdrossenheit. Fehlen der gerichtlichen Praxis beim BGH vielleicht Transparenz und Bürgernähe? Im Augenblick führen — bei aller Unterschiedlichkeit der Praxis in den 13 Zivilsenaten — im Durchschnitt nur rund 18 % der Nichtzulassungsbeschwerden zur Zulassung der Revision, immerhin mehr als in früheren Jahren. Eine Revisionszulassung wird vom BGH nicht begründet. Der BGH-Anwalt tappt also selbst nach Zulassung der Revision auf Nichtzulassungsbeschwerde meist ebenso im Dunkeln wie die Partei. Umgekehrt gibt es für die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde i. d. R. keine individuellen, sondern nur vorgefertigte Begründungen. Dabei machen sich die Richter — einem „On-Dit" zur Folge — auch vor einer Ablehnung der Revisionszulassung größte Mühe mit dem Parteivortrag. Sie erstellen ausführliche interne Voten, über die sie lange und sorgfältig beraten. Nur leider bleibt das Geschehen für Anwälte und Parteien im Beratungszimmer verborgen und damit insgesamt intransparent. Die Partei erfährt nur die Zurückweisung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde mit pauschal vorgefertigter Begründung. Es heißt dann z. B. (auch wenn der Prozessbevollmächtigte sich große Mühe mit der Darlegung von Zulassungsgründen i. S. d. § 543 Abs. 2 ZPO gemacht hat): Es ist von Seiten des Nichtzulassungsbeschwerdeführers nicht dargelegt, dass der Fall rechtsgrundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat. Von einer weiteren Begründung — so die stereotype Formel — wird abgesehen, weil sie nicht geeignet ist, zur weiteren Klärung der Voraussetzungen zu führen, unter denen eine Revision zugelassen werden kann. Rechtlich lässt sich dagegen nichts sagen. Dieses Verfahren ist nach § 544 Abs. 4 S. 2 2. Alt. ZPO zulässig. Wenn aber mit derart vorgefertigten, pauschalen Begründungen der größte Teil aller Nichtzulassungsbeschwerden abgelehnt wird, fördert das keineswegs das Vertrauen des Bürgers in die Justiz. Er gewinnt den (falschen) Eindruck, dass der BGH sich mit seinem Fall entweder nicht ernsthaft beschäftigt oder der von ihm beauftragte BGH-Anwalt bei der Darlegung von Zulassungsgründen vollständig versagt hat, ein Eindruck, der zumindest dann nicht entsteht, wenn die Begründung des BGH den Hinweis enthalten würde, dass solche Gründe zwar ausführlich dargelegt sind, den Senat aber letztlich nicht überzeugt haben. Wenn man bedenkt, dass solche Zurückweisungsentscheidungen oft der einzige Kontakt sind, den der Bürger mit dem höchsten deutschen Zivilgericht hat, kann man gut verstehen, dass die — auch von Seiten der Anwaltschaft heftig kritisierte — Praxis (nämlich Abweisung einer großen Zahl von Nichtzulassungsbeschwerden ohne individuelle Begründung) dem rechtsuchenden Bürger Steine statt Brot gibt und die Justizverdrossenheit nachhaltig fördert. Die Gerichte sollten sich selbst in der Verantwortung dafür sehen, den Rechtssuchenden von ihren Entscheidungen zu überzeugen und für mehr Transparenz zu sorgen.

Ich habe nur einige Gründe für Justizverdrossenheit von Parteien und Anwälten genannt. Natürlich gibt es dafür noch andere. EGON SCHNEIDER kann in seinem Justizspiegel ein Lied davon singen. Solange — das ist meine Überzeugung — diese Justizverdrossenheit anhält oder gar wächst, gibt es für Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegungen (für die natürlich auch andere Gründe sprechen) ein wachsendes Aufgabengebiet.