ZAP 2008, Fach 24, Seite 1123

Vergütungsklage versus Kostenfestsetzung nach § 11 RVG

Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof
 

I. Handhabung in der Praxis

§ 11 des RVG (früher § 19 BRAGO) soll dem im gerichtlichen Verfahren tätig gewordenen Rechtsanwalt eine Möglichkeit geben, seine gesetzliche Vergütung gegen den eigenen Mandanten festsetzen zu lassen und auf diesem Weg einfach und schnell zu einem Vollstreckungstitel gegen den Auftraggeber zu kommen (GEROLD/SCHMIDT, RVG, 17. Aufl., Rn. 367; SCHNEIDER/WOLF/RICK, RVG, 3. Aufl., Rn. 33 und Rn. 37). Nach allgemeiner Auffassung fehlt für eine Vergütungsklage bzw. einen Vergütungsmahnbescheid das Rechtsschutzbedürfnis in dem Umfang, in dem die weniger aufwendige Vergütungsfestsetzung gegeben ist; eine gleichwohl erhobene Klage wird als unzulässig abgewiesen (GEROLD/SCHMIDT, a. a. O., Rn. 367). Zulässig ist die Klage allerdings, wenn der Auftraggeber sich mit nicht gebührenrechtlichen Einwendungen verteidigt hat.

Hinweis: Besonders problematisch war dies unter der Geltung der alten Vorschrift des § 19 BRAGO. Hier vertrat der BGH die Auffassung, dass die Vergütungsfestsetzung die verauslagten Gerichtskosten nicht umfasst (BGH, Urt. v. 16. 7. 2003 – XII ZB 193/02, BB 2003, 1812, hiergegen mit beachtlichen Einwendungen NORBERT SCHNEIDER AGS 2003, 392). Das Problem der Aufspaltung der Geltendmachung der entsprechenden Ansprüche stellt sich allerdings nach § 11 RVG nicht mehr (vgl. GEROLD/SCHMIDT, a. a. O., § 11, Rn. 114).

II. Rechtsschutzbedürfnis für eine Vergütungsklage

Es scheint auf der Hand zu liegen: Der Anwalt, der vom Mandanten nicht bezahlt wird – sei es während eines laufenden Verfahrens oder danach – hat keine andere Wahl, als seine Vergütung auf der in § 11 RVG vorgesehenen Weise festsetzen zu lassen. Klagt er die Vergütung ein, ist die Klage nach h. M. – wenn zuvor keine Auseinandersetzung über die Gebührenfrage stattgefunden hat – unzulässig. Ich halte das für falsch. In Wirklichkeit fehlt – jedenfalls in den meisten Fällen – entgegen der einhelligen Auffassung einer Vergütungsklage gerade nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Denn die These, der Anwalt komme im Festsetzungsverfahren auf einem einfacheren und leichteren Weg zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Vergütung, beruht auf Unkenntnis der Praxis.

Beispiel: Legt ein Anwalt im Laufe eines Verfahrens das Mandat nieder, weil der Mandant nicht bezahlt – etwa im Berufungsverfahren –, dann kann er zwar einen Festsetzungsantrag mit Glaubhaftmachung seiner Gebühren beim Gericht des ersten Rechtszugs geltend machen (§ 11 Abs. 1 S. 1 RVG). Ein solcher Antrag hemmt auch die Verjährung (§ 11 Abs. 7 RVG). In vielen Fällen kommt der Anwalt jedoch auf diesem Wege in absehbarer Zeit nicht zu seinem Recht. Wenn das Verfahren (nach berechtigter Mandatsniederlegung durch den zuerst beauftragten Anwalt) durch einen anderen Anwalt weiterbetrieben und beispielsweise durch Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH gebracht wird, kann es Monate, gegebenenfalls auch Jahre dauern, bis die Gerichtsakten vom Berufungsgericht oder vom BGH letztlich wieder an die nach § 11 Abs. 1 RVG zuständige I. Instanz zurückkommen und dann die Festsetzung durchgeführt werden kann. Natürlich könnte das Gericht, bei dem sich die Akten befinden, diese zur Festsetzung durch den Rechtspfleger der I. Instanz kurzfristig zurückleiten. Das klappt aber in der Praxis nicht. Jedenfalls in Fällen, in denen die Gerichte nicht im gleichen Gebäude sitzen (aber u. U. auch dann), ist es vollständig aussichtslos, darauf zu hoffen, dass hier eine kurzfristige Rückgabe der Akten und damit die Möglichkeit einer zeitnahen Festsetzung erfolgt. Besonders lange Zeit kann vergehen, wenn die Akten für Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision beim BGH gelandet sind. Dieser benötigt die Akten unabdingbar. Die Prozessvertreter vor dem BGH fertigen ihre Schriftsätze anhand einer Einsicht in die Gerichtsakten an. Haben dann z. B. beide Prozessparteien Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision, gegebenenfalls Anschlussrevision, eingelegt, brauchen die Prozessbeteiligten die Akten gegebenenfalls für die Anfertigung von Erwiderungsschriftsätzen sogar mehrfach. In solchen Fällen kann auf unabsehbare Zeit nicht mit der Rückgabe der Akten an den Rechtspfleger der I. Instanz zum Zwecke der Durchführung eines Kostenfestsetzungsverfahrens gerechnet werden. Aber auch in Fällen, in denen eine kurzfristige Rückgabe denkbar wäre – beispielsweise wenn Oberlandesgericht und Landgericht in der gleichen Stadt nahe beieinander liegen – wird i. d. R. eine kurzfristige Abgabe der Akten zum Zwecke der Kostenfestsetzung an die I. Instanz nicht erfolgen. Der Anwalt wird in solchen Fällen regelmäßig vom zuständigen Rechtspfleger damit vertröstet, dass sein Antrag bearbeitet wird, sobald die Akten zurück sind.

In der Praxis vieler durch mehrere Instanzen laufender Fälle bedeutet das eine Rechtsschutzverweigerung gegebenenfalls auf Jahre hinaus. Deshalb stimmt der Ausgangspunkt der einhelligen Auffassung, die das Rechtsschutzbedürfnis für die Vergütungsklage verneint, nicht: Das Kostenfestsetzungsverfahren ist in solchen Fällen keineswegs der einfachere und schnellere Weg.

Das lässt sich auch nicht damit begründen, dass für eine Vergütungsklage i. d. R. ohnehin die Gerichtsakten des Verfahrens zur Prüfung der Sach- und Rechtslage benötigt werden und daher die Vergütungsklage erst dann durchgeführt und geprüft werden kann, wenn diese Gerichtsakten zur Verfügung stehen. Denn in aller Regel lässt sich der Vergütungsanspruch – gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung von später erhobenen Einwendungen des Auftraggebers – völlig unabhängig von den Akten des Vorverfahrens untersuchen.

In vielen Fällen wird sich nicht von vornherein entscheiden lassen, ob mit einer kurzfristigen Rückgabe der Akten und einer Festsetzung durch den Rechtspfleger nach § 11 in der I. Instanz gerechnet werden kann. Es hieße deshalb, den Prozessbeteiligten Steine statt Brot zu geben, wenn man die Frage der Bejahung oder Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses für die Vergütungsklage von einer Prognose davon abhängig machen würde, ob mit einer kurzfristigen Rückgabe der Akte zu rechnen ist oder nicht. Eine solche Unsicherheit (Bejahung oder Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses) scheint unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht vertretbar.

Ich meine deshalb: Die bisher einhellige Auffassung, der Anwalt habe keine Wahl zwischen dem Festsetzungsverfahren und Erhebung einer Vergütungsklage, ist falsch und muss aufgegeben werden.

III. Fazit

Wenn der Mandant keinerlei außerhalb des Gebührenrechts liegende Einwendungen erhebt, ist dem Anwalt die Vergütungsklage nach bisher einhelliger Meinung abgeschnitten. Wenn man aber die Praxis und die tatsächlich bei Verneinung des Rechtsschutzinteresses entstehende Rechtsverweigerung bedenkt, liegt auf der Hand: Das Festsetzungsverfahren ist in vielen Fällen gerade nicht der einfachere und schnellere Weg. Deshalb lehrt die Praxis: Die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses für eine gleichwohl erhobene Vergütungsklage ist fehlerhaft. Sie kommt einer Rechtsverweigerung für den Anwalt gleich, der gegebenenfalls wegen Nichtzahlung seiner Vergütung das Mandat vorher beendet und abgerechnet hat. Diesem muss deshalb entgegen der Auffassung in Rspr. und Lit. der Weg der Vergütungsklage auch dann offenstehen, wenn der Mandant sich überhaupt nicht rührt und keinerlei Diskussion über die Gebühren des Anwalts entstanden ist. Er muss auch in solchen Fällen generell die freie Wahl zwischen der Vergütungsfestsetzung nach § 11 und bei Erhebung einer Vergütungsklage haben.

Dr. Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof