ZAP Kolumne 2005, Seite 209

Das Ende des Sekundäranspruchs gegen den Anwalt

RA Dr. Ekkehart Reinelt, München

 

Tief ist der Brunnen der freien Rechtschöpfung durch die Gerichte. Könnte man ihn unergründlich nennen? Schmal ist aber auch der Grat zwischen zulässiger Rechtsfortbildung einerseits und unzulässiger Lösung der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Zwar muß Recht nicht immer mit dem Gesetz identisch sein. Recht geht über das Gesetz insbesondere dann hinaus, wenn verfassungsrechtliche Vorschriften Auslegungen oder Interpretationen gebieten, die nicht mit dem Wortlaut gesetzlicher Vorschriften gleichlaufen oder diese überschreiten. Für den Regelfall zivilrechtlicher und zivilprozessualer Vorschriften muß aber gelten: Gesetzliche Regelungen sind bindend. Die Rechtsfortbildung (die der Gesetzgeber jetzt erstmals in § 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO ausdrücklich anspricht) findet ihre Grenze in erkennbaren verfassungsrechtlich zulässigen Wertungen des Gesetzgebers.

Mit der von der Rechtsprechung aus § 242 BGB entwickelten Sekundärverpflichtung des Anwalts, die faktisch für den Regelfall eine Verlängerung der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist der Haftungsansprüche gegen den Anwalt nach § 51 b BRAO a. F. auf sechs Jahre bewirkte, waren die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung nach verbreiteter Auffassung in der Literatur (KLEINE-COSACK, BRAO, § 51 b Rn. 227; REINELT ZAP F. 23, S. 491, 498) überschritten. Die gesetzliche Wertung in § 51 b BRAO a. F. ergab eindeutig, daß der Gesetzgeber die Verjährung grundsätzlich spätestens drei Jahre nach Beendigung des Mandats eintreten lassen wollte. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung haftete der Anwalt jedoch bekanntlich weitere drei Jahre lang, wenn er es vor Ablauf der Verjährungsfrist schuldhaft unterlassen hatte, den Mandanten über mögliche Anwaltshaftung seiner eigenen Person selbst aufzuklären. Das ist der Inhalt des auf positive Vertragsverletzung bzw. § 280 BGB gestützten Sekundäranspruchs (BGH NJW 1975, 1655; 1993, 199; 1996, 48). Hintergrund für diese (einzig der Verlängerung von Verjährungsfristen dienendende und damit m. E. unzulässige) Rechtsfortbildung des BGH: Der Mandant sollte nicht mit einer strikt drei Jahre nach Beendigung des Mandats ablaufenden Verjährung überrascht werden, weil z. B. Fälle denkbar waren, bei denen die Mandatsbeendigung schon 3 Jahre zurücklag, ein Schaden aber noch nicht eingetreten war.

Am 15. 12. 2004 ist das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 9. 12. 2004 (BGBl. I, S. 3214) in Kraft getreten. Bedeutet dieses Gesetz, welches die Neuregelung der Verjährung anwaltlicher Haftung enthält, eine Ende für die Sekundärhaftung des Anwalts?

§ 51 b BRAO gilt seit dem 15. 12. 2004 nicht mehr. Die Vorschrift wurde aufgehoben. Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Anwälte wurde damit den allgemeinen Verjährungsregelungen des Schuldrechtmodernisierungsgesetzes angeglichen. Das bedeutet: Für Schadensersatzansprüche des Auftraggebers beginnt die der Dauer nach unveränderte dreijährige Verjährungsfrist nicht mehr mit dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch entstanden ist, sondern erst mit dem Schluß des Jahres, in das dieser Zeitpunkt fällt (§§ 195, 199 BGB).

Die Übergangsregelung des neuen Gesetzes ist derjenigen des Schuldrechtmodernisierungsgesetzes angepaßt (Art. 6 des Anpassungsgesetzes mit dem Verweis auf Art. 229, § 6 BGB des EGBGB). Danach gilt die neue Verjährung ab 15. 12. 2004. Bei Ansprüchen, bei denen die Verjährung am 15. 12. 2004 noch läuft, gilt grundsätzlich die kürzere Verjährungsfrist.

Der Verjährungsbeginn von Ansprüchen gegen Anwälte setzt damit ab 15. 12. 2004 nach § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB voraus, daß der Auftraggeber die den Anspruch begründenden Umstände und die Person eines potentiellen Schädigers entweder positiv kennt oder bei Meldung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit kennen muß.

Was bewirkt diese neue Regelung für den in der Rechtsprechung entwickelten Sekundäranspruch? Verlängert sich - wie bisher - die Verjährungsfrist um weitere drei Jahre, wenn der Anwalt nicht ausdrücklich bei Ablauf der (neuen) Verjährung auf mögliche Ansprüche gegen sich selbst hinweist? Gilt die Rechtsprechung zum Sekundäranspruch weiter?

Der Gesetzgeber hat in Art. 4 Nr. 1 unter Aufhebung von § 51 b BRAO (BT Drucks. 15/ 3653, S. 14) selber die Antwort gegeben. Er führt aus:

„Für die von der Rechtsprechung entwickelte verjährungsrechtliche Sekundärhaftung besteht nach der Neuregelung kein Bedürfnis mehr."

Der Konstruktion des Sekundäranspruchs lag die Überlegung zugrunde, daß der Mandant nicht in Unkenntnis eines möglichen Anspruchs gegen seinen eigenen Auftraggeber von der Verjährung überrascht werden sollte. Deshalb wurde dem Anwalt die entsprechende Aufklärungsverpflichtung in bezug auf eine gegen ihn selbst laufende Verjährung auferlegt. Hatte der Mandant vor Ablauf der Verjährung bereits einen anderen Rechtsanwalt eingeschaltet, entfiel - konsequent weil der Mandant in diesem Fall der weiteren Beratung nicht bedurfte - die Verpflichtung des ursprünglichen Anwalts zur Aufklärung (BGH MDR 1990, 713; 1995, 1070; NJW-RR 1996, 313). Nach der Neuregelung des § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB gehört in einer Alternative der Vorschrift zum Tatbestand der Auslösung des ursprünglichen regulären Verjährungsbeginns die positive Kenntnis von Schaden und Schädiger. Die grob fahrlässige Unkenntnis stellte der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes der positiven Kenntnis in § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB gleich. Es wäre daher widersinnig, in solchen Fällen eine zusätzliche Aufklärungspflicht als Sekundärverpflichtung zur Vermeidung der Verjährung zu statuieren. Denn diese Kenntnis (oder die gleichgestellte grob fahrlässige Unkenntnis) liegt ja tatbestandsmäßig schon für die Auslösung der ursprünglichen Verjährung selbst vor. Bei der Höchstfrist für die Verjährung von zehn Jahren, die kenntnisunabhängig eintritt (§ 199 Abs. 3 Ziff. 1 BGB), noch eine Sekundärhaftung zu konstruieren, würde der erklärten Absicht des Gesetzgebers zuwiderlaufen.

Die Folge: Die gesetzliche Neuregelung (Gesetz zur Neuregelung von Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts) bedeutet ab 15. 12. 2004 das vollständige Aus für die alte Sekundärverpflichtung des Anwalts.

Es bleibt daher für die Haftung des Anwalts grundsätzlich bei den jetzt vorgesehenen Verjährungsfristen des § 199 BGB. Der Rechtsprechung wird es angesichts der eindeutigen Äußerung des Gesetzgebers in der Begründung des Gesetzes zur Neuregelung von Anpassung von Verjährungsvorschriften verwehrt sein, auf den alten Sekundäranspruch zurückzugreifen.

Nachdem die Rechtsprechung allerdings die Verjährungsregelung des § 51 b BRAO durch die Konstruktion des Sekundäranspruchs unterlaufen hat, läßt sich nicht ausschließen, daß ein anderer Ansatz auch jetzt gesucht und gefunden wird, um die Verjährung von Haftungsansprüchen gegen den Anwalt zu verlängern. Da bietet sich der gute alte § 242 BGB (auf den ursprünglich die Konstruktion des Sekundäranspruchs letztlich zurückging) nunmehr in direkter Anwendung an, nämlich in Form der Unzulässigkeit der Berufung auf die Einrede der Verjährung. Mit dieser Vorschrift läßt sich bekanntlich jede gesetzliche Wertung umgestalten (vgl. BGH WM 1988, 128; PALANDT/HEINRICHS, 64. Aufl., Vor § 194 BGB, Rn. 16). Es bleibt zu hoffen, daß die Rechtsprechung einer solchen Versuchung widersteht. Ein widersprüchliches Verhalten oder eine Treuwidrigkeit, die die Berufung auf die Einrede der Verjährung unzulässig machen könnten, ist bei Ansprüchen des Mandanten gegen den Anwalt im Zusammenhang mit Pflichtverletzungen aus dem Mandat nur schwer denkbar. Der Verjährungsbeginn knüpft jetzt nach § 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB an die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Mandanten vom Schädiger und Schaden an. Setzen aber diese Tatbestände die Verjährungsfrist in Gang, wäre es mit der klaren Wertung des Gesetzgebers des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes und des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts kaum vereinbar, wenn eine Verlängerung der Verjährung trotz der dem Mandaten zur Last fallenden positiven Kenntnis (oder der
gleichgestellten grob fahrlässigen Unkenntnis) von einem möglichen Schadensersatz und dessen Grundlagen auf dem Wege des § 242 BGB herbeigezaubert werden würde. Dann würde wiederum der Verjährungslauf, den Kenntnis oder grobe Fahrlässigkeit des Mandanten auslöst, contra legem ausgehebelt. Eine treuwidrige Berufung auf den Eintritt der Verjährung nach § 242 BGB ist eigentlich nur dann denkbar, wenn der Anwalt trotz entsprechender Nachfragen des Mandanten über bevorstehende Verjährung diesen getäuscht und gezielt von verjährungshemmenden Maßnahmen abgehalten hat.