BrBp, Heft 3 2004, Seite 90

AGB-Klausel oder Individualvereinbarung?
Zum Begriff "Aushandeln"

RA Dr. Ekkehart Reinelt, München

Fast alle Bauverträge basieren im Entwurf zunächst auf vorgefertigten oder gestellten Klauseln. Wie können solche Klauseln zu Individualvereinbarungen werden?

Nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 BGB liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind. Was bedeutet aber »Aushandeln«? Mit dem gewöhnlichen Sprachverständnis würde man meinen: Der Begriff zielt ab auf einen äußeren Vorgang. Er betrifft die Verhandlung über bestimmte Texte zwischen verschiedenen Beteiligten und unterscheidet sich von der bloßen Verhandlung dadurch, dass ein bestimmtes Ergebnis zwischen den Verhandelnden erzielt wird. Die vertraglichen Regelungen, gleich von welcher Seite sie ursprünglich formuliert wurden, sind ausgehandelt, wenn sie Gegenstand der Erörterung im Einzelnen waren und danach in verändertem oder auch im gleichen textlichen Ergebnis vertraglich vereinbart werden.

Über dieses natürliche Textverständnis setzt sich bekanntlich die althergebrachte Rechtsprechung des BGH hinweg. Der BGH fügt dem Begriff »Aushandeln« eine überraschende und durch den Text des Gesetzes nicht gebotene psychische Komponente hinzu. Er verlangt »wirkliches« (gibt es auch »unwirkliches«?) Aushandeln. Dazu sollen nicht nur gehören Verhandlungsbereitschaft und tatsächliche Besprechung der Klauseln, sondern insbesondere darüber hinaus ein »Ernsthaft-Zur-Disposition-Stellen«.1 In der zuletzt genannten Entscheidung fasst der BGH seine These vom Aushandeln wie folgt zusammen:

» Von einem Aushandeln ... kann nur gesprochen werden, wenn der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen mit der realen Möglichkeit einräumt, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen ...«

Ich glaube nicht, dass irgendjemand weiß, was das tatsächlich bedeutet. Was heißt: »Gesetzesfremder Kerngehalt«? Was heißt: »Inhaltlich ernsthaft zur Disposition Stellen«? Was heißt: »Dem Vertragspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen mit der realen Möglichkeit einzuräumen, die inhaltliche Ausgestaltung zu beeinflussen«? Ob im Sinne dieser Rechtsprechung der Text oder die Klausel eines Vertrages »ernsthaft« zur Disposition gestellt wurde oder nicht, ist objektiv weder für einen Vertragspartner, noch einen Psychologen oder gar einen Richter zu beurteilen.2

Nicht eine einzige dieser unbestimmten Leerformeln, die jeweils auf nicht nachvollziehbare psychische Vorgänge in der Vorstellung eines der Verhandlungspartner zielen, lässt sich im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung objektiv nachvollziehbar prüfen. Diese Kriterien sind daher für die Rechtserkenntnis vollständig unbrauchbar. Darauf gestützte richterliche Entscheidungen sind infolge dessen nicht mit objektivierbaren, sondern mit Scheinbegründungen versehen und deshalb willkürlich.

Geboren ist die extensive Interpretation des Begriffs »Aushandeln« in der Rechtsprechung des BGH ganz offensichtlich von dem Bedürfnis, dem Schwächeren zu helfen. Doch wer ist der Schwächere? Nach Vorstellung der Gerichte offenbar immer der Vertragspartner desjenigen, der den vorgefertigten Text eines anderen Vertrages mitbringt oder aus einem Formularbuch abgeschrieben hat. In baurechtlichen Beziehungen ist jedoch die Vorstellung vom »Schwächeren« meist Illusion. Außerdem ist es nicht Aufgabe des Richters, demjenigen, den er - warum auch immer - für den »Schwächeren« hält, zu »helfen« oder ihn zu »schützen«, sondern rechtliche Vorschriften im Verhältnis zwischen den Beteiligten korrekt anzuwenden.

Wenn man unter die gesetzliche Vorschrift des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB zutreffend subsummiert, kann nur auf objektiv nachvollziehbare aus dem Gesetz selbst hervorgehende Kriterien abgestellt werden, nämlich auf das Aushandeln selber. Das Aushandeln ist aber kein psychischer Vorgang und erfordert deshalb auch keine Erforschung psychischer Vorgänge in der Vorstellung eines oder beider Vertragspartner. Es ist vielmehr eine reale, an tatsächlich geführten Gesprächen und Äußerungen zu messende Tatsache. Aushandeln heißt nichts anderes als im Einzelnen besprechen und nach dieser Erörterung zu einer vertraglichen Vereinbarung kommen. Mag der Inhalt des Vereinbarten unteren anderen Gesichtspunkten rechtlich zu kontrollieren sein (z.B. § 138 BGB), spielt jedenfalls für den Begriff des »Aushandeln« das inhaltliche Ergebnis des Verhandelten keine Rolle.

Nach der bisherigen schon ihrerseits mit dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB bzw. der Vorgängerregelung in § 1 Abs. 2 AGB-Gesetz nicht zu vereinbarenden psychologisierenden Rechtssprechung konnte man immerhin davon ausgehen, dass Individualvereinbarungen vorliegen können, wenn auf Grund einer Verhandlungsbereitschaft tatsächlich verhandelt worden ist. Nun reicht das offenbar nach einer neueren Entscheidung des OLG Celle für den Begriff des »Aushandeln« grundsätzlich nicht aus:

Das OLG Celle hat am 13.11.2003 (13 U 136/03) in einer Entscheidung, in der es um das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von Vertragsklauseln in Bezug auf Bürgschaften auf erstes Anfordern ging, zur Frage AGB/ Individualvereinbarung zunächst den oben zitierten Definitionsversuch des BGH wiedergegeben und dann durch folgenden Zusatz ergänzt:

»Deshalb genügt für die Feststellung, die Klauseln seien »ausgehandelt«, nicht, dass der Inhalt lediglich erörtert wurde und den Vorstellungen des Vertragspartners entsprach ...«

Mit dieser Aussage geht das OLG Celle über die bisherige Rechtsprechung des BGH hinaus. Für Aushandeln reicht es nach dieser Vorstellung nicht, daß Verhandlungsbereitschaft bestand, dass erörtert wurde und dass man ein Ergebnis erzielt hat, das beide Vertragteile annehmen. Ein »Aushandeln« erfordert offenbar nach Auffassung des Gerichts noch einen weiteren Schritt. Diese zusätzliche Komponente kann aber nur darin bestehen, dass die erörterte Klausel inhaltlich geändert werden muss.

Nach dieser Auffassung ist also ein »Aushandeln« kein »Aushandeln«, wenn nicht derjenige, der die Klauseln ursprünglich formuliert oder mitgebracht hat, nachgegeben und eine neue Formulierung (oder auch einen neuen Inhalt?) akzeptiert hat. Folge dieser Entscheidung ist damit, dass von einer Individualvereinbarung nur noch dann die Rede sein kann, wenn eine bestimmte Klausel nicht nur »ernsthaft -zur-Disposition-gestellt«, sondern im Rahmen von Vertragsgesprächen tatsächlich abgeändert worden ist.

Individualvereinbarungen gibt es demgemäss nur dann, wenn der die Klausel ursprünglich Vorgebende:

- zunächst reale Wahlmöglichkeiten dem Vertragspartner einräumt 3
- über das Einräumen realer Wahlmöglichkeiten hinaus den Vertrag auch tatsächlich abändert.

Abgesehen davon, dass niemand feststellen kann, was es bedeutet, dem anderen »reale« Wahlmöglichkeiten einzuräumen, ist doch festzuhalten: Das Gesetz sieht gerade nicht vor, dass solche wie immer gearteten »realen Wahlmöglichkeiten« tatsächlich zu einer Abänderung von Klauseln führen müssen, um eine Klausel als Individualvereinbarung zu betrachten. Ganz offenbar überrollt diese Rechtssprechung den natürlichen Sinngehalt der gesetzlichen Vorschrift: Jedes Mal, wenn Vertragsklauseln individuell erörtert werden, besteht die Möglichkeit, dass sich die eine oder andere Partei mit ihrer Position ganz oder teilweise durchsetzt, meist diejenige, die - aus welchen Gründen auch immer - gerade im Moment das weniger vitale Interesse am Abschluss des Vertrages hat (dies kann durchaus auch einmal der Verhandlungsgegner desjenigen sein, der die ursprüngliche Klausel gestellt hat). In Konsequenz der Entscheidung des OLG Celle soll aber wohl dann nur noch von einem Aushandeln gesprochen werden können, wenn der Verhandlungspartner des die Klausel ursprünglich Formulierenden seine oder wenigstens eine geänderte Formulierung durchbringt und der andere Vertragspartner tatsächlich (in welchem Umfang?) nachgibt.

Eine solche Interpretation des § 305 Abs. 1 Satz 3 bzw. § 1 Abs. 2 AGBG ist m. E. mit der gesetzlichen Vorschrift nicht vereinbar. Denn Aushandeln im Einzelnen impliziert gerade nicht notwendig das Nachgeben einer Partei. Deshalb muss man richtigerweise von einer Individualvereinbarung ausgehen, wenn sie im Einzelnen zwischen den Vertragsteilen, gleich mit welchem Ergebnis, erörtert worden ist. Alles andere manipuliert die gesetzliche Vorschrift des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB und die Entscheidungs- und Vertragsfreiheit der Vertragspartner. Es steht den Gerichten nicht zu, sich unter Verwendung nicht objektivierbarer Leerformeln über Beides hinwegzusetzen und nach Belieben ein nach ausführlicher Erörterung erzieltes Verhandlungsergebnis unter Missachtung des Parteiwillens der AGB -Kontrolle zu unterstellen.

Die Gerichte sind nach Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) und Deutschem Richtergesetz (vgl. den Richtereid in § 38 Abs. 1 DRiG) nicht dazu berufen zu »schützen« oder zu »helfen«. Dafür gibt es u.a. Polizisten und Hebammen. Ein Richter, der »hilft« und »schützt«, ist im Sinne des § 42 ZPO befangen und kann abgelehnt werden. Seine Aufgabe ist es stattdessen, Rechtsvorschriften objektiv richtig auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt anzuwenden, zu entscheiden und diese Entscheidung nachvollziehbar zu begründen.

1 BGH BB 1192,1813, BB 1992, 169, BB 1992. 226, BGHJ NJW 1998, 2601, BGH NJW 2002, 2388
2 vgl. im einzelnen Reinelt Irrationales Recht, Sonderheft für Egon Schneider 2002, 52,55
3 vgl. Schmitz IBR 2004, 1