BrBp, Heft 10 2003, Seite 132

Steckt der Bauprozess in einer Krise?

RA Dr. Ekkehart Reinelt, München

In einem Bauprozess mit erheblichem Streitwert, der - was selten vorkommt - tatsächlich im Urkundenverfahren geführt werden konnte, habe ich im November 2001 Berufung eingelegt. Im Januar 2002 erhielt ich die Mitteilung des OLG, man werde bis August des Jahres 2002 über die Frage entscheiden, wann terminiert werden könnte. Im August gab der Senat bekannt, der Termin zur Berufungsverhandlung werde im März des darauffolgenden Jahres stattfinden. Und das wohlgemerkt in dem auf Beschleunigung angelegten Urkundenprozess!

In einem Verfahren um Anerkennung eines von einem hochqualifizierten Schiedsgericht (unter Beteiligung eines ehemaligen BGH-Präsidenten) erlassenen Schiedsspruchs hat der Schiedsbeklagte Anfang Juli 2003 einen (aussichtslosen) Aufhebungsantrag nach § 1059 ZPO zum Kammergericht Berlin gestellt. Das Kammergericht teilt mit, dass über diesen Aufhebungsantrag Ende August 2004 (!) verhandelt wird.

Über diese extrem lange Terminierung muss man sich nicht wundern: Anlässlich eines Bauprozesses vor dem Kammergericht Berlin, der in angenehmer Atmosphäre vor kompetenten Richtern ablief, habe ich überrascht festgestellt, dass das der einzige Termin war, den der Senat für diesen Tag anberaumt hatte. Man erörterte den Fall in einem wunderschönen Sitzungssaal in aller Ruhe, die Richter auf bequemen Sesseln thronend, die Prozessbevollmächtigten an Pulten stehend. Sitzgelegenheiten für die in der Hierarchie der Organe der Rechtspflege offenbar-buchstäblich-ganz unten stehenden Rechtsanwälte waren ebenso wenig vorgesehen wie für Parteien (was allerdings die Berliner Justiz nicht hindert, auch das persönliche Erscheinen 80-jähriger Prozessparteien anzuordnen). Nach ungefähr 1,5 Stunden Erörterung dieses Falles war der Sitzungstag des Senats beendet.

Natürlich ist das nicht immer und überall so. Bei den Bayerischen Oberlandesgerichten werden 5 bis 6 Fälle vergleichbarer Schwierigkeit auf einen Terminstag gelegt. Der Alltag gerichtlicher Terminierungspraxis, insbesondere auch und gerade in Bausachen, ist aber für Baubeteiligte, die ihr Recht durchsetzen wollen, oft betrüblich.

Die staatliche Gerichtsbarkeit stellt einen eindrucksvollen Justizapparat zur Verfügung, der - trotz sinkender Eingangsziffern - traditionell über wachsende Überlastung klagt. Die angebliche Überlastung der Richter (existiert sie wirklich?) ist ein der Diskussion weitgehend entzogenes Dogma.

Häufig führt die Terminierungspraxis dazu, dass den Klägern Steine statt Brot gegeben werden. Das Problem liegt aber nicht nur in der (oft überflüssig) langen Prozessdauer. Entscheidend ist auch, an was für einen Richter man gerät. Wer konkret den jeweiligen Fall entscheidet, wird durch Gesetz und jeweiligen Geschäftsverteilungsplan vorgegeben. Der Richter muss nicht notwendig der qualifizierteste sein. Das gilt insbesondere in diffizilen Baustreitigkeiten. Diese haben sich längst zu einer Spezialmaterie entwickelt, die rechtliches und technisches Verständnis erfordert ¹ . Beides ist bei den mit Bausachen befassten Richtern höchst unterschiedlich ausgeprägt. Insbesondere in Fällen, die als Handelssachen nach GVG gelten (Beteiligung von Vollkaufleuten auf beiden Seiten - das sind häufig die kompliziertesten und umfangreichsten Bauprozesse!), kann der Rechtsuchende keineswegs mit Sicherheit darauf vertrauen, an einen in Bausachen versierten und spezialisierten Richter zu gelangen.

Das hat beispielsweise in Kreisen von Münchener Baujuristen dazu geführt, dass - mögen die Parteien auch noch so zerstritten sein - über eines Einigkeit besteht: Man klagt in jedem Fall vor der Zivilkammer (Kammer für Bausachen) und verzichtet auf den nach § 98 GVG möglichen Verweisungsantrag an die Kammer für Handelssachen. Das verbessert in der Regel die Chance, einen in Bausachen versierten Richter zu bekommen. Allerdings: Die Gefahr, dass der zunächst zuständige gesetzliche Richter im Rahmen der allgemeinen staatlichen Gerichtsorganisation versetzt und ersetzt werden kann und ein neuer Richter sich vollständig in die Materie und den einzelnen Fall einarbeiten muss, bleibt immer bestehen.

Noch immer huldigt die Justiz dem Humboldt'schen Prinzip: Jeder soll umfassend auf allen Gebieten gebildet werden. Frühzeitige Spezialisierungen und entsprechende Konstanz werden vermieden. Ob das im Interesse der Rechtsuchenden ist, muss bezweifelt werden.

Gerade in Bausachen, vor allem bei laufender Baustelle, ist Zeit und Schnelligkeit ein besonders wichtiger geldwerter Faktor. Die Mühlen der staatlichen Justiz mahlen - beginnend mit der Terminierungspraxis, aber auch mit der Durchführung des Verfahrens selbst - außerordentlich langsam. Auf eine wirkliche Konzentration des Verfahrens wird verzichtet. Termine der verschiedensten Art finden in einem Rechtsstreif in zeitlich großen Abständen statt. Selbst wenn der Richter während eines laufenden Verfahrens nicht versetzt wird, ist er jedenfalls ebenso wie die anderen Prozessbeteiligten gezwungen, sich immer wieder neu in eine in Vergessenheit geratene Materie einzuarbeiten. Der damit verbundene, an sich sinnlose Arbeitsaufwand ist immens. Bei dieser Situation verwundert es nicht, dass eine erstinstanzliche Entscheidung oft Jahre, manchmal Jahrzehnte dauert. Dann schließt sich bei entsprechender wirtschaftlicher Bedeutung häufig ein langwieriger Instanzenzug an.

Das Gerichtsverfahren nach der ZPO ist darauf ausgelegt, dass möglichst kein Einwand und kein Beweisantrag der Parteien, mag er auch wirtschaftlich noch so nebensächlich sein, unberücksichtigt bleiben darf. Nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs müssen alle Beteiligten ausreichende Vorbereitungs- und Erwiderungszeiten erhalten.

Vor vielen Jahren war ich als Prozessvertreter an einem größeren Bauprozess mit erheblichen Komplikationen in Stuttgart beteiligt. Gegenstand war ein großes zentrales Bauvorhaben in Tübingen. Dem Einzelrichter gelang es, dieses Verfahren mit vielen Zeugen und Sachverständigen so vorzubereiten und - mit Einverständnis aller Beteiligten - auf eine ungewöhnliche Weise, bei ständiger Anwesenheit aller Zeugen und Sachverständigen, innerhalb von 2 Tagen zu einer Endentscheidung zu führen. Der Prozess hätte bei der normalen Praxis viele Jahre gedauert. Beide Prozessvertreter haben sich nach Beendigung des Verfahrens (ohne das abgesprochen oder auch nur voneinander gewusst zu haben) sowohl beim Richter als auch beim Präsidenten des LG Stuttgart für diese ungewöhnliche und exzellente Verfahrensgestaltung bedankt. Es geht also auch anders!

Ein weiterer möglicher Weg zu rascherer und häufig auch billigerer Streitentscheidung in Bausachen oder zu einem überzeugend begründeten Vergleich mit fachlicher Kompetenz sind private Schiedsgerichte, auf die sich die Beteiligten von Anfang an oder bei Auftreten von Schwierigkeiten vertraglich verständigen können. Solche Schiedsgerichte werden jedoch von Baubeteiligten trotz der zeitlichen und kostenmäßigen Vorteile in erstaunlich geringem Umfang in Anspruch genommen. Vermutlich steht das Problem dahinter, dass es gerade in Bausachen häufig mehrere Baubeteiligte gibt und erhebliche Schwierigkeiten bestehen, alle Baubeteiligten in Schiedsverfahren einzubinden.

Ist es nicht gelegentlich trotzdem besser, diese Schwierigkeit in Kauf zu nehmen und auf rasche, kompetente Durchführung von Schiedsverfahren zu setzen, statt den mühsamen Weg zu den staatlichen Gerichten zu beschreiten?

Etliche Großunternehmen in der Bauwirtschaft scheinen jedenfalls Schiedsverfahren als gute alternative, konstruktive Konfliktbereinigung erkannt zu haben². Das Schiedsverfahren kann ein ausgezeichnetes Mittel sein, Baustreitigkeiten konstruktiv zu lösen. Natürlich hängt das im wesentlichen an den Persönlichkeiten der Schiedsrichter und insbesondere des Obmanns. In jedem Fall können die Parteien aber durch die Wahl der Schiedsgerichtsinstitution oder die Konstituierung des Schiedsgerichts sicherstellen, dass sie es mit kompetenten und erfahrenen Baurechtlern zu tun haben, die u. U. mit einer weniger strikt gebundenen Verfahrensordnung zu raschen, wirtschaftlich sinnvollen Ergebnissen kommen können.

1 Es ist das Ziel dieser Zeitschrift, beides zu vermitteln.
2 vgl. hierzu auch Mandelkow, Chancen und Probleme des Schiedsgerichtsverfahrens in Bausachen, Werner-Verlag 1995BrBp Oktober 2003