ZAP Kolumne 2001, Seite 931

Der Schweinsgalopp des Gesetzgebers

RA Dr. Ekkehart Reinelt, München

 

Am 1. 9. 2001 tritt das Mietrechtsreformgesetz in Kraft. Die Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Beschädigung der Mietsache beträgt auch nach der Neuregelung 6 Monate (§ 558 a. F. und § 548 n. F.). Neu ist allerdings § 548 Abs. 3:

"Beantragt eine Vertragspartei das selbständige Beweisverfahren nach der Zivilprozeßordnung, so wird die Verjährung unterbrochen. Im übrigen gelten die Vorschriften des § 477 Abs. 2 S. 2, S. 3 und Abs. 3 entsprechend."

Der Gesetzgeber fügt hier in einer mietrechtlichen Vorschrift, also im BT des Schuldrechts (warum nicht an systematisch richtiger Stelle in § 209 BGB im Allgemeinen Teil?) den sonstigen Unterbrechungstatbeständen denjenigen der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens hinzu. Auch die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens führt zur Unterbrechung der Verjährung, mit der Folge, daß die Verjährung von neuem zu laufen beginnt.

Nach dem Regierungsentwurf des Bundesjustizministeriums zum Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, das am 1. 1. 2002 in Kraft treten soll, werden - neben grundlegenden Änderungen des Leistungsstörungsrechts und anderer Vorschriften - insbesondere auch Vorschriften des Verjährungsrechts geändert.

Diese Änderungen betreffen zum einen die Verjährungsfristen (regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB-E: 3 Jahre, bei Rechten an einem Grundstück nach § 196: 10 Jahre und bei Herausgabeansprüchen aus Eigentum und dinglichen Rechten, familien- und erbrechtlichen Ansprüchen, rechtskräftig festgestellten Ansprüchen und Ansprüchen aus vollstreckbaren Vergleichen oder Urkunden sowie Ansprüchen, die durch eine im Insolvenzverfahren erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden sind: 30 Jahre). Sie betreffen zum anderen aber auch die Tatbestände der Unterbrechung und der Hemmung. Nach § 204 Abs. 1 Ziff. 7 BGB-E soll folgendes gelten:

"Die Verjährung wird gehemmt durch die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens."

Die Klageerhebung, die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren, die Geltendmachung der Aufrechnung im Prozeß, Zustellung einer Streitverkündung und auch die Zustellung eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens sollen nunmehr nicht - wie bisher - zu einer Unterbrechung der Verjährung führen, sondern nur zu einer Hemmung. Diese Hemmung endet 6 Monate nach rechtskräftiger Entscheidung oder anderweitiger Erledigung des eingeleiteten Verfahrens mit der Folge, daß nach Ende der Hemmung der Rest der Verjährungsfrist weiterläuft. Zwar behält der Entwurf zur Schuldrechtsmodernisierung auch das bei, was bisher als Unterbrechung der Verjährung bezeichnet worden ist (nunmehr: Neubeginn der Verjährung, vgl. § 212 BGB-E), der Neubeginn der Verjährung beschränkt sich jedoch auf Ausnahmefälle eines Anerkenntnisses oder Durchführung von Vollstreckungshandlungen. Wir müssen also umlernen: Regelmäßiger Tatbestand wird derjenige der Hemmung der Verjährung sein, der Ausnahmetatbestand derjenige der Unterbrechung.

Es soll hier nicht der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit die vorgeschlagenen Änderungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (europarechtlich) notwendig oder zweckmäßig sind (vgl. hierzu z. B. ALTMEPPEN DB 2001, 1399). Bezeichnend scheint mir aber eines: der Gesetzgeber bringt es fertig, eine grundlegende Neuregelung eines Verjährungstatbestandes in einem am 1. 9. 2001 in Kraft tretenden Gesetz, nämlich dem Mietrechtsreformgesetz, festzulegen: Die Einleitung von Beweisverfahren soll nach dieser Neuregelung die Verjährung der Schadensersatzansprüche unterbrechen. Nach der eigenen Vorstellung des Gesetzgebers gilt diese Neuregelung unter Berücksichtigung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sage und schreibe für ganze vier Monate! Tritt nämlich dann - wie zu erwarten steht - die Schuldrechtsreform in Kraft, ist die Neuregelung des § 548 Abs. 3 BGB Makulatur: Das selbständige Beweisverfahren unterbricht dann nicht mehr die Verjährung, sondern hemmt sie nur noch.

"Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers (oft kolportiert als: ein Federstrich des Gesetzgebers) und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur", hat VON KIRCHMANN schon im letzten Jahrhundert verkündet (VON KIRCHMANN, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 23). Dieses Horrorszenario übertrifft unser heutiger Gesetzgeber bei weitem: Er setzt selbst ein Reformvorhaben in Kraft (mit Wirkung ab 1. 9. 2001), das nach seiner eigenen Vorstellung in einem wesentlichen Teil nur für wenige Monate gelten soll. Nimmt der Gesetzgeber sich selbst nicht mehr ernst? Wie kann er das dann von den Rechtsunterworfenen erwarten?

Vielleicht weiß auch die eine Hand nicht, was die andere tut. Oder aber die Gesetze sind schlecht gemacht und wenig durchdacht. Unstimmigkeiten dieser Art lassen sich bei Gesetzesvorhaben in der jüngsten Zeit fast unbegrenzt aufzählen. Sie sind vielfach, nicht zuletzt in der ZAP, gebrandmarkt worden. Ich erinnere nur an die vollständig verunglückte Neuregelung des § 284 Abs. 3 BGB, eingefügt durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen v. 30. 3. 2000. Sie hat bekanntlich - in Teilbereichen - die Wirkung, daß der Schuldner keineswegs beschleunigt, sondern später in Verzug gerät. Auch damals hat man mit der gesetzlichen Neuregelung zu schnell und daneben geschossen.

Die Zivilprozeßreform ist in ihren gänzlich katastrophalen Teilen erfreulicherweise am breiten Widerstand der Praktiker gescheitert. Der überhasteten Schuldrechtsmodernisierung wird nicht der gleiche nachhaltige Widerstand entgegengesetzt. Die gesetzgebenden Organe sollten gleichwohl auch gerade bei diesem wichtigen Schritt dafür sorgen, daß etwas länger und sorgfältiger nachgedacht und gearbeitet wird, bevor das nächste Chaos hereinbricht.