Deutsche Akademie f. Verkehrswissenschaft 1988, 220

Produkthaftung für Kraftfahrzeuge
Gefährdungshaftung statt Verschuldenshaftung im Produkthaftrecht

Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt, München

 

I.

Die Geltung der EG-Richtlinie zur Produkthaftung und deren Umsetzung in das deutsche Recht wird zwar auch in Industriekreisen heftig diskutiert. Gleichwohl hat die Frage, welche Änderungen oder Ergänzungen das neue Recht nach der Produkthaftlinie bringt, das neben das deutsche Deliktsrecht treten wird, für den Hersteller insbesondere industrieller Produkte bei weitem nicht die gleiche Bedeutung wie für den Verbraucher. So muß sich beispielsweise der Produzent von Kraftfahrzeugen, der - wie in der Automobilindustrie üblich - in alle möglichen Länder exportiert, in seinen Sicherheitsstandards und Qualitätskontrollen ohnehin auf das international strengste Produkthaftrecht einstellen, nämlich das Produkthaftrecht der USA (vgl. hierzu Koepke RIW 1987, 503; Lorenz ZHR 151 (1987, 1). Eine etwaige Veränderung der Anforderungen durch die EG-Richtlinie und das Transformationsgesetz gegenüber dem deutschen Recht werden deshalb seine Qualitätsmaßstäbe und die einzuhaltenden Anforderungen kaum tangieren. Dagegen kann der Verbraucher sich nicht aussuchen, wo er etwa mit einem fehlerhaften Motorrad verunglückt. Der Schadensort bestimmt (neben dem Herstellersitz) internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht (vgl. Schmidt-Salzer/Hollmann Einl. 175, 176 Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung Bd. 1, 1986). Für ihn spielt deshalb die Frage, ob und welche Änderungen und gegebenenfalls Verbesserungen das neue Produkthaftrecht mit sich bringen, eine ungleich wichtigere Rolle.

1. In der Literatur, die sich mit der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften vom 25. 7. 1985 im Bereich der Produkthaftung (Pauli PHI 84, 77; Storm PHI 86, 112; Pauli PHI 86, 34) befaßt, wird zum Teil Skepsis laut, ob die Richtlinie in der jetzt verabschiedeten "Ausgestaltung in der Lage ist, das hoch gesteckte Ziel einer Vereinheitlichung oder wenigstens Angleichung zu verwirklichen" (so Pauli PHI 86,152).

Weitgehende Übereinstimmung scheint jedoch darin zu bestehen, daß die Richtlinie (und entsprechend das Transformationsgesetz) "grundsätzliche Änderungen für die deutsche Rechtsordnung" mit sich bringt (Brüning-Brinkmann PHI 86, 78: "Die verschuldensunabhängige Haftung ist ... ein tiefer Einschnitt in das einzelstaatliche Deliktsrecht in Europa").

Bringen die Richtlinie und ihre Transformation ins deutsche Recht wirklich so gravierende Änderungen für das letztere, insbesondere mit Rücksicht auf einen verstärkten Verbraucherschutz und Verbesserungen für den Verbraucher?

2. Die Änderungen und Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Recht müssen sich an dem vom Rat mit der Richtlinie erstrebten Ziel und soweit das Transformationsgesetz betroffen ist - an dessen Begründung messen lassen.

Der Rat der Europäischen Gemeinschaft führt in der Richtlinie dazu aus:

"Nur bei einer verschuldensunabhängigen Haftung des Herstellers kann das unserem Zeitalter fortschreitender Technisierung eigene Problem einer gerechten Zuweisung der mit der modernen technischen Produktion vorhandenen Risiken in sachgerechter Weise gelöst werden."

In der Begründung des Produkthaftungsgesetzes heißt es: Das Produkthaftungsgesetz soll die Produkthaftungs-Richtlinie in das deutsche Recht umsetzen. Als wesentliche Änderung unterstellt das Produkthaftungsgesetz die Produkthaftung künftig dem Prinzip der Gefährdungshaftung."

Die rechtspolitische Hauptbedeutung der Richtlinie und ihrer Umsetzung so statt vieler Schmidt-Salzer/Hollmann, Kommentar zur EG-Richtlinie Produkthaftung Rdnr. 34 - besteht also in der grundsätzlichen Festlegung einer verschuldungsunabhängigen Herstellerhaftung. Damit - so Schmidt-Salzer/Hollmann a. a. O. - sei grundsätzlich ein Geschädigten-Entlastungseffekt und umgekehrt ein Industrie-Belastungseffekt festzustellen. Stimmt das wirklich?

Von der Dogmatik her sieht es so aus: Die EG-Richtlinie und das Transformationsgesetz statuieren einen Haftungstatbestand, der den Begriff des Verschuldens nicht enthält. Demgegenüber setzt das geltende deutsche Produkthaftrecht,. das von der Rechtsprechung auf § 823 BGB gestützt wird, den Tatbestand des Verschuldens voraus. Den Verbraucher interessieren jedoch die dogmatischen Differenzierungen nicht. Für ihn ist entscheidend: Wie komme ich in Produkthaftfällen zu "meinern Recht"? Was muß ich gegebenenfalls darlegen und beweisen?

Die Frage, welche Ansprüche der geschädigte Verbraucher hat, muß stets im Kontext gesehen werden mit der prozessualen Frage der Darlegungs- und Beweislast. Es kommt dem Verbraucher letztlich darauf an, was er,' durch ein Produkt geschädigt, tatsächlich auch durchsetzen kann.

3. Wie wirken sich nun in der Praxis die "gravierenden" Unterschiede einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung nach der Richtlinie und einer verschuldensabhängigen Deliktshaftung für den Verbraucher aus? Lassen Sie uns die Konsequenzen anhand von drei Beispielen aus der Praxis überlegen:

Ein Kunde erhält einen neu bestellten Pkw über den Händler. Bei einer größeren Fahrt über die Autobahn geschieht ein Unfall. Dabei erleidet der Pkw Totalschaden, der Kunde wird verletzt.

1. Fall: (ABS-Fall) Der Kunde trägt vor, die Bremsen hätten auf rutschiger Fahrbahn nicht gleichmäßig und zuverlässig angesprochen. Er vertritt die Auffassung, es sei deshalb zum Unfall gekommen, weil er kein Antiblockierbremssystem (ABS) habe. Der Pkw sei fehlerhaft, weil er nicht mit ABS ausgestattet sei.

2. Fall: (Spurstangen-Fall) Der Unfall geht zurück auf ein Versagen der Lenkung. Der Spurstangenkopf wird mit einer Befestigungsmutter verspannt. Diese war zu schwach dimensioniert oder nicht ausreichend befestigt.

3. Fall: (Traggelenk-Fall) Es stellt sich heraus, daß ein Vorderrad nach innen abgeknickt ist. Das Traggelenk war korrodiert und hatte keine Führungsfunktion mehr. Ursache war eine Beschädigung der Gummistaubschutzmanschette des Traggelenks. Es läßt sich nicht mehr aufklären, ob die Beschädigung dieser Manschette beim Hersteller eingetreten ist oder bei einer späteren Wartung bzw. Reparatur. Jedenfalls steht fest, daß die Beschädigung dieser Manschette unfallursächlich war.

In allen Fällen klagt der Kunde aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Hersteller.

Im ersten Fall vertritt er die Auffassung, der Einbau von ABS-Bremssystemen sei nach heutigen Erkenntnissen der Technik aus Sicherheitsgründen unabdingbar geboten. Ein gewöhnliches Zweikreisbremssystem sei überholt, deshalb hafte der Hersteller.

Im zweiten Fall, dem Spurstangen-Fall, trägt der Kunde vor, daß die konstruktiv erforderliche Befestigungsmutter am Spurstangenkopf entweder zu schwach dimensioniert oder nicht ausreichend befestigt gewesen sei.

Hierin liege entweder ein Konstruktions- oder ein Fabrikationsfehler, der zum Totalschaden des Wagens und zu seiner Verletzung geführt habe.

Im dritten Fall (Traggelenk-Fall) führt der Kunde im Prozeß aus, die mechanische Beschädigung der Gummimanschette sei vom Hersteller zu verantworten. Dieser könne sich nicht entlasten. Der Hersteller wendet ein, es handle sich nicht um einen Fehler des Produkts; Konstruktion und Fabrikation seien einwandfrei. Der Schaden an der Gummistaubschutzmanschette sei im übrigen nicht in seinem Verantwortungsbereich entstanden, alle Kontrollen seien nachweislich ordnungsgemäß erfolgt. Die mechanische Beschädigung des Gummiteils sei später eingetreten. Was mit solchen durch mechanische Beschädigung verletzbaren Teile des Pkw geschehe, wenn der Wagen sein Betriebsgelände verlassen habe, gehe ihn nichts an.

Wie wären diese Fälle nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Produzentenhaftung, wie nach der zukünftigen Rechtslage zu" entscheiden? Bekommt der Verletzte materiellen Schadenersatz, Schmerzensgeld und Ersatz für das Auto vom Hersteller? Wird sich die Situation des Verbrauchers durch das Produkthaftgesetz in diesen und ähnlichen Fällen entscheidend verbessern?

4. Die erste nach § 823 BGB relevante Frage liegt darin, ob es sich hier um Fehler im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Produzentenhaftung handelt.

Nach der Rechtsprechung zur Produkthaftung liegt ein Fehler vor, wenn das Produkt nicht die Eigenschaften aufweist, die ein durchschnittlicher Verbraucher der entsprechenden Ware in Bezug auf deren Sicherheit erwarten kann (Kullmann in Kullmann/Pfister Produzentenhaftung KZ 1520 s. 22; Brüggemeier/Reich WM 1986,149,150).

Die maßgeblichen Vorstellungen des durchschnittlichen Verbrauchers sind in einem ständigen Wandel begriffen. Es kann unter Umständen schwer sein, genau abzugrenzen, wann bestimmte Erwartungen communis opinio werden. In unserem ersten Fall wird man aber sicher sagen können: Der Verbraucher darf heute ABS nur dann erwarten, wenn er den Wagen gegen Aufpreis mit diesem Bremssystem bestellt. Auch wenn die höhere Sicherheit eines Antiblockiersystems außer Zweifel steht, weiß der Kunde heute, daß diese Ausstattung nicht überall serienmäßig geliefert wird. Aus heutiger Sicht ist ein Pkw ohne ABS deshalb nicht fehlerhaft. Eine Haftung im ersten Fall scheidet daher aus. Morgen kann das anders sein, wenn alle führenden Hersteller die Wagen serienmäßig mit ABS ausstatten. Dann wird man davon ausgehen können, daß die zu diesem Zeitpunkt neu produzierten Fahrzeuge (natürlich nicht die früheren) fehlerhaft sind.

Dagegen ist im Spurstangenfall das Vorliegen eines Fehlers, der grundsätzlich zur Haftung führt, unproblematisch. Die Befestigungsmutter am Spurstangenkopf ist entweder zu schwach dimensioniert. Dann liegt ein Konstruktionsfehler vor. Oder aber sie war nicht vorschriftsmäßig befestigt. Dann handelt es sich um einen Fabrikationsfehler (vgl. Kullmann, RWS-Skript Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Produzentenhaftung, 32).

Wie steht es mit der mechanischen Beschädigung der Gummistaubmanschette im Traggelenk?

Hier ist das Produkt - das Automobil - in seiner konstruktiven Zusammensetzung grundsätzlich in Ordnung. Ein Konstruktionsfehler liegt nicht vor. Fraglich ist, ob man von einem Fabrikationsfehler ausgehen kann. Wenn unklar bleibt, wie die mechanische Beschädigung eingetreten ist, ist es ja auch denkbar, daß die Fabrikation einwandfrei vorgenommen wurde und lediglich eine Fremd- oder Außeneinwirkung nach Fertigstellung des Pkw die Beschädigung herbeigeführt hat. Das kann entweder auf dem Gelände des Herstellers oder aber später passiert sein. Dennoch: Die Verletzung des Kunden und die Beschädigung des Autos sind durch eine Fehlerhaftigkeit des Produktes verursacht; der Hersteller ist im Rahmen der deliktischen Pflichten grundsätzlich dafür verantwortlich, daß eine Fehlerhaftigkeit des Produkts, gleich aus weichem Grunde, das Integritätsinteresse des Kunden nicht verletzt (vgl. Kullmann, Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Produzentenhaftung, 12). Ein Produkt muß grundsätzlich verkehrssicher, in den Verkehr gebracht werden (so schon RGZ 163, 21, 26).

Für den Fehlerbegriff im Sinne der Produkthaftung (abweichend vom kaufrechtlichen Fehlerbegriff, der auf den Vertragszweck abstellt) genügt die objektive Geeignetheit, das Integritätsinteresse des Kunden zu schädigen. Hierfür spielt es zunächst keine Rolle, wie der Fehler eingetreten ist. Er kann beruhen auf Handlungen oder Unterlassungen von Mitarbeitern des Herstellers, auf falschen Abläufen im Fabrikationsbereich oder aber auch auf Beschädigungen von außen, die gegebenenfalls auf mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen zurückgehen (Beispiel: freie Zugänglichkeit des Betriebsgeländes, auf dem der Pkw nach der stichprobenhaften Schlußkontrolle auf den Transport wartet). Die Fehlerhaftigkeit des Produkts muß demnach nicht unbedingt diesem immanent sein, sondern kann - was gelegentlich bei der Definition und Kategorisierung der zur Produkthaftung führenden Fehlergruppen außer acht gelassen wird auch von außen an das Produkt herangetragen werden. Fehlerhaft ist das Produkt Pkw also auch im Traggelenkfall. Allerdings kann der Fehler dem Hersteller nur dann zugerechnet werden, wenn er auch in seiner Sphäre und seinem Machtbereich eingetreten ist. Für beliebige fehlerverursachende Umstände, die er objektiv nicht beherrschen kann, muß er grundsätzlich nicht einstehen. Im Traggelenkfall ist ein Fehler im Sinne der aus dem Deliktsrecht entwickelten Produkthaftung nur dann zu bejahen, wenn dieser Fehler beim Hersteller eingetreten ist. Der Geschädigte muß grundsätzlich im geltenden deutschen Produkthaftrecht den Beweis dafür führen, daß der Fehler schon im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produktes diesem angehaftet hat (vgl. Lorenz ZHR 151, 1987, 1, 10 ff. OLG Hamm VersR 1987, 94; OLG Frankfurt VersR 1987, 469). Dabei kann allerdings dem Verbraucher ein Anscheinsbeweis zu Hilfe kommen. Gibt es also etwa eine große Anzahl vergleichbarer Fälle bei entsprechenden Kraftwagendes Herstellers, auch wenn sie von verschiedenen Händlern bezogen sind, so spricht der Anschein dafür, daß dieser Fehler schon beim Hersteller eingetreten ist.

5. Sind in den beiden letzten Beispielsfällen die Fehler dem Hersteller auch zuzurechnen?

Im Spurstangenfall wird der Hersteller die Unterdimensionierung der Mutter bestreiten und sich im übrigen mit dem Ausreißerargument verteidigen. Er habe die Produktion und Fabrikation optimal organisiert und setze nur zuverlässige und erprobte Monteure ein. Eine nicht ausreichende Befestigung der Mutter könne niemals ausgeschlossen werden.

Mit seiner Verteidigung wird er keinen Erfolg haben. War die Befestigungsmutter zu schwach dimensioniert, liegt die Zurechenbarkeit des Konstruktionsfehlers auf der Hand. Die unzureichende Befestigung dieses sicherheitsrelevanten Teils läßt auf mangelhafte Organisation schließen (BGH VersR 1967,1199,1201, Schubstrebenfall).

Im Traggelenkfall wird der Hersteller des Automobils einwenden, eine mechanische Beschädigung einer Gummimanschette könne immer geschehen. Es sei absolut üblich, bei der Schlußkontrolle nur Stichproben vorzunehmen und nicht jeden Wagen einzeln nochmals genauestens zu kontrollieren. Völlig unmöglich sei es schließlich, das Fahrzeug beim Verlassen des Betriebshofs erneut zu überprüfen.

Maßstab für die Verkehrssicherungspflicht ist die Frage, welche Kontrollmaßnahmen objektiv zumutbar sind und üblicherweise erwartet werden dürfen (BGH BB 1967, 1358; Kullmann a. a. 0., 21 m. w. N.).

Bei der Auslieferung von Kraftfahrzeugen ist es gegenwärtig nicht üblich, die stichprobenhaften Schlußkontrollen noch ein weiteres Mal vor Verlassen des Betriebsgeländes durchzuführen. Es ist also durchaus denkbar, daß im Rahmen eines üblich organisierten Produktionsablaufs eine solche Beschädigung der Gummimanschette übersehen wird.

Hier stellt sich die Frage nach dem Erfordernis des Verschuldens im geltenden Recht bei der Produkthaftung und nach der Beweislage für den Verbraucher.

Der zivilrechtliche Verschuldensbegriff des § 276 BGB, wonach der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, wird praktisch relevant im Bereich der Produkthaftung wohl nur im Bereich der Fahrlässigkeit (allenfalls in Extremfällen vielleicht des bedingten Vorsatzes). Fahrlässigkeit im Zivilrecht ist bekanntlich nicht zu verstehen als individuelle Vorwerfbarkeit eines bestimmten Verhaltens, sondern als das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Maßgebend ist also für die Bejahung der Fahrlässigkeit das Außerachtlassen eines objektiven Sorgfaltsmaßstabes (BGHZ 39, 283). Es kommt konkret nicht auf individuell fehlende Fachkenntnisse, Verstandeskräfte, Geschicklichkeit etc. an, sondern nur darauf, daß und ob der Hersteller oder gegebenenfalls seine Mitarbeiter die verkehrsübliche Sorgfalt, also das, was ein gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises zu beachten hat (BGH NJW 1972, 151), außer acht läßt oder auch nicht. Dabei ist, was die allgemeinen Anforderungen beispielsweise an Sicherheitsvorkehrungen angeht, auf das abzustellen, was dem allgemeinen, insbesondere in Fachkreisen herrschenden Erkenntnisstand zur Zeit der Verursachung des Schadens entspricht (BGHZ 80, 93). Nicht erforderlich ist, daß, sich der Fahrlässigkeitsvorwurf auf den schädlichen Erfolg, also den Schaden bezieht (BGH VersR 1971, 239, 241; 1982,193).

Rechtstheoretisch gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten der verschuldensabhängigen Produkthaftung, also der Haftung für ein fehlerhaftes Produkt (wenn man im vorliegenden Zusammenhang zunächst einmal die Sonderfälle der Verletzung der Produktbeobachtung und Instruktion außer acht läßt). Es handelt sich bei auf der einen Seite um die Haftung für schuldhaftes Verhalten von Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) und zum anderen um die Verantwortlichkeit für eigenes schuldhaftes Verhalten.

§ 831 BGB eröffnet theoretisch einen Entlastungsbeweis. Bereits auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 hat Simitis gefordert, die Vorschrift des § 831 BGB bei Produkthaftfällen grundsätzlich nicht anzuwenden (hierfür auch Giesen JR 1973, 503). Der BGH hat diese teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs in der Vorschrift des § 831 BGB für ein gesamtes Rechtsgebiet, nämlich die Produkthaftung, zwar nicht ausdrücklich gebilligt. Der Entlastungsbeweis ist jedoch in Einzelfällen sukzessive eingeschränkt und abgebaut worden.

Im Hühnerpestfall (BGHZ 51, 91, 97) läßt der BGH ausdrücklich offen, ob der Fabrikant sich überhaupt vom Grundsatz her nach § 831 BGB entlasten kann, Unter Zurückweisung der Forderung, bereits de lege lata eine Gefährdungshaftung einzuführen, hält er im Prinzip an der Verschuldenshaftung fest, die jedoch so ausgestaltet wird, daß sie in ihrer praktischen Anwendbarkeit einer Gefährdungshaftung nahekommt. Denn abgesehen von reduzierten materiell-rechtlichen Anforderungen an das Verschulden wird die Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers für Konstruktions- und Fabrikationsfehler eingeführt. Der Hersteller hat danach - wenn ein Fehler und dessen Ursächlichkeit für einen Schaden erwiesen ist sich hinsichtlich des Nichtvorliegens des Verschuldens zu entlasten. Lediglich beim Instruktionsfehler (der hier nicht zur Debatte steht) hat sich die Beweislastumkehr zu Lasten des Herstellers noch nicht durchgesetzt (BGHZ 80,186,198: "Derosal"; Lorenz CR 1987, 564,566, m. w. N.).

Wie sieht dieser Entlastungsbeweis aus?

Im Hühnerpestfall lag ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz (§ 6 AMG) vor, der - so der BGH - grundsätzlich eine Vermutung für die Schuldhaftigkeit des Verstoßes nach sich zieht (Seite 104). Dasselbe gilt nach BGH jedoch auch für die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB.

Bleibt auch nur eine Ursache ungeklärt (so der BGH a. a. 0.), die in der Sphäre des Herstellers liegt und die schadensverursachend sein könnte, gibt es keinen Entlastungsbeweis in Bezug auf fehlendes Verschulden. Es reicht auch nicht für den Entlastungsbeweis aus, wenn der Hersteller Möglichkeiten aufzeigt, bei denen ein fehlerhaftes Produkt auch ohne sein Verschulden hätte in den Verkehr gebracht werden können.

Der Begründung des Hühnerpesturteils, das die Beweislastumkehr bei Fabrikationsfehlern einführt, ist zu entnehmen, in welchen Fällen das Gericht diesen Entlastungsbeweis aus dem Organisationsbereich des Herstellers bejahen würde. Der BGH sagt:

"Er (der Geschädigte) vermag daher dem Richter den Sachverhalt nicht in solcher Weise darzulegen, daß dieser zuverlässig beurteilen kann, ob der Betriebsleitung ein Versäumnis vorzuwerfen ist oder ob es sich um einen von einem Arbeiter verschuldeten Fabrikationsfehler, um einen der immer wieder einmal vorkommenden Ausreißer oder gar um einen Entwicklungsfehler gehandelt hat, der nach dem damaligen Stand der Technik und Wissenschaft unvorhersehbar war."

Also: Die Exkulpation durch Nachweis mangelnden Verschuldens ist, jedenfalls soweit Fabrikationsfehler betroffen sind (Besonderheiten gelten teilweise für fehlerhafte Instruktion und unterlassene Produktbeobachtung), im Grunde darauf beschränkt, daß der Hersteller durch zuverlässigen Ausschluß aller in seine Verantwortungsphäre fallenden Kausalverläufe die vollständige und korrekte Fabrikation und Kontrolle darlegt und damit das Gericht davon überzeugt, daß es sich um einen Ausreißer oder Entwicklungsfehler handelt. Diese Darlegung und dieser Beweis sind praktisch nur dann möglich und zu führen, wenn eine vollständige Dokumentation des gesamten Fabrikationsverlaufs einschließlich aller Kontrollen, die das Fahrzeug bis zum Verlassen des Betriebsgeländes zu passieren hat, vorgelegt werden kann.

Zurück zur anderen Alternative des Entlastungsbeweises für Umstände die nicht im Organisationsbereich selbst liegen, sondern durch § 831 BGB betroffen sind. Hierzu führt Kullmann (Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Produzentenhaftung, S. 111) aus, daß kaum anzunehmen sein dürfte, daß der BGH durch Richterrecht den Entlastungsbeweis des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB im Produkthaftpflichtbereich gänzlich abschafft. Jedoch werden die Anforderungen an den Entlastungsbeweis bezüglich der Auswahl und Leitung so hoch gesteckt, daß eine Entlastung praktisch kaum in Betracht kommt. Im Fall Schubstrebe (VersR 1967, 1199) meint der BGH, daß ganz besonders hohe Anforderungen an fachliche und charakterliche Qualitäten der Arbeitnehmer zu stellen sind, die die Industrieprodukte prüfen, von denen die Sicherheit ihrer Benutzer abhängt. Der Entlastungsbeweis nach § 831 BGB scheitert schon dann, wenn der organisierte Produktionsablauf theoretisch für individuelle Fehlleistungen von Bediensteten anfällig ist. Der bloße Hinweis auf maschinelle Fertigung reicht nicht aus.

Im Fall Rungenverschluß (BGH VersR 1952, 357) scheiterte die Entlastung, obwohl der Hersteller nachgewiesen hatte, daß er qualifizierte Fachingenieure einsetzt, weil seine Konstruktion kompliziert und schwer zu handhaben war.

Die Anforderungen an den Entlastungsbeweis wurden im Schubstrebenfall präzisiert: Es genügt nicht der allgemeine Nachweis, daß ein bestimmter Produktionsablauf (dort die Magnafluxung eines Gesenkschmiedeteils) durch qualifizierte und zuverlässige Mitarbeiter ständig kontrolliert wird; der Hersteller muß vielmehr den Nachweis führen, was bei Urlaub, Krankheit oder sonstiger Abwesenheit der Mitarbeiter geschieht. Wenn er nicht ausschließen kann, daß dann jemand kurzfristig als sog. Springer eingesetzt wird, der später nicht mehr identifizierbar ist, geht jeder verbleibende Zweifel zu seinen Lasten. Er kann also den Entlastungsbeweis nicht führen.

Auch hier wird ein Maß an objektiver Sorgfalt verlangt, das den Entlastungsbeweis praktisch auf den Ausreißer und das Entwicklungsrisiko beschränkt.

Das bedeutet: Wenn ein Fehler vorliegt und damit auf einen Verstoß gegen Regeln der Technik und Wissenschaft, also eine objektive Sorgfaltsverletzung, geschlossen werden muß, ist kaum ein Fall vorstellbar, bei dem der Hersteller sich vom Schuldvorwurf entlasten kann (Lorenz CR 1987, 564, 568).

Es gibt heute fast keinen gerichtlich entschiedenen Ausreißerfall im technischen Bereich, in dem die Haftung des Herstellers abgelehnt wird (eine frühe Ausnahme: Gabelbruchfall, LG Lindau VersR 1955, 428). Das hängt allerdings möglicherweise damit zusammen, daß in potentiellen Ausreißerfällen der Hersteller ohne Prozeß reguliert. Jedenfalls hat aber das Ausreißerargument in der technischen Praxis und damit im Automobilbereich keine relevante haftungseinschränkende Bedeutung (ausnahmsweise wurde Haftungsentlastung wegen Ausreißer bejaht: bei Komma-Fehler in einem medizinischen Werk, BGH NJW 1970, 1963; bei ausgebissenem Zahn aufgrund eingebackenen Steins in Vollkornbrot, AG Frankfurt, VersR 1977, 1137, und bei Verlust einer Kunststoffprothese, weil der Verbraucher beim Verzehr einer Blutwurst auf den darin verarbeiteten Zahn des Schweines gebissen hat, LG Dortmund VersR 1987, 697).

Hier klafft also eine Lücke zwischen der technischen und der juristischen Betrachtungsweise: Der Techniker kalkuliert den Ausreißer, der sich auch bei sorgfältigster Qualitätskontrolle (sei sie stichprobenhaft oder eine sog. Null-Kontrolle) nicht vermeiden läßt, als tatsächlich und statistisch unvermeidlich ein. Die richterliche "ex-post-Betrachtungsweise folgert dagegen im technischen Bereich jedenfalls aus dem Vorliegen eines Fabrikationsfehlers regelmäßig auf Organisationsverschulden und verneint die Entlastungsmöglichkeit.

Damit nähert sich die deliktische Haftung nach § 823 angesichts des Sorgfaltsmaßstabes und der Beweislastumkehr einer Gefährdungshaftung (vgl. auch Lorenz CR 1987, 564).

Zurück zu den beiden letzten Ausgangsfällen:

Beim Spurstangenfall kann ich mir angesichts der hohen Anforderungen an die Exkulpation des Herstellers eine Entlastung nicht vorstellen. Wenn ein sicherheitsrelevantes Teil eine nicht ordnungsgemäße Befestigung aufweist, spricht alles für einen Organisationsmangel im Fabrikationsablauf.

Im Traggelenkfall würde die Anwendung der Haftungsgrundsätze in der Rechtsprechung und die Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens zu folgendem Ergebnis führen: Der Verbraucher muß darlegen und beweisen, daß der Fehler dem Hersteller zuzurechnen ist, also auf seinem Betriebsgelände eingetreten ist (vgl. OLG Hamm VersR 1987, S. 94: Fehlerentstehung im Betrieb des Herstellers und Kausalzusammenhang mit Unfall ist vom Geschädigten zu beweisen). Dieser Beweis ist sehr schwer zu führen, eventuell kann - wie bereits ausgeführt - dem Kunden ein Anscheinsbeweis zu Hilfe kommen, wenn es mehrere gleichgelagerte Fälle gibt.

Gelingt dem Kunden dieser Beweis, muß sich der Hersteller exkulpieren: Er muß darlegen und beweisen, daß er alle Vorkehrungen getroffen hat, die eine mechanische Beschädigung der Gummimanschette im Traggelenk bei oder nach dem Einbau zu verhindern geeignet sind. Sonst haftet er nach § 823 Abs. 1 BGB. Die Haftung richtet sich auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund des darin liegenden Verschuldens (§ 847 BGB).

Fraglich ist, ob der Totalschaden am Pkw selbst ersetzt werden muß: Ich erinnere an die Entwicklung der Rechtsprechung zur Beschädigung einer Gesamtsache durch einen abgrenzbaren Bestandteil im Schwimmschalterfall (BGHZ 67, 359), Hinterreifenfall (BGH NJW 1978, 2241), Gaszugfall (BGHZ 86, 256) und Kompressorfall (BGH NJW 1985, 2420). Danach ist eine Verletzung des Integritätsinteresses des Produkterwerbers nur dann zu bejahen, wenn der ursprüngliche Mangel mit dem späteren Schaden nicht "stoffgleich" ist bzw. ein lokal oder funktionell begrenzter Fabrikationsmangel vorliegt. Es besteht die deutliche Tendenz in der Rechtsprechung, die Herstellerhaftung zu erweitern in den Fällen, in denen ein fehlerhaft konstruiertes oder mit Herstellungsfehlern versehenes Einzelteil die Gesamtsache beschädigt (Beispiel Kompressorfall, BauR 1985, 595: Schadensersatz bei einem fehlerhaft konstruierten Ölabflußrohr in das Motor- bzw. Kompressorgehäuse, das den gesamten Kompressor zerstört; ähnlich auch Dachfolienfall, BauR 1985, 102; einschränkend jedoch neuerdings LG Karlsruhe NJW RR 1987,1611). Unter Berücksichtigung dieser Tendenz und in Anlehnung an den Hinterreifenfall (BGH NJW 1978, 2241) wird man in unseren Beispielsfällen zu einem Ersatz auch des Totalschadens kommen.

II.

Wie stellt sich demgegenüber die Rechts- und Beweislage für den Verbraucher nach der EG-Richtlinie und dem hierzu erlassenen Entwurf des Transformationsgesetzes dar?

1. § 1 Satz 1 des Entwurfs der Bundesregierung zum Produkthaftungsgesetz führt das von der Richtlinie vorgeschriebene Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung ein. Art. 1 der Richtlinie statuiert, um das noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, den Grundsatz:

"Der Hersteller eines Produkts haftet für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist."

Dies ist nach der Formulierung, auch wenn dogmatisch über die Einordnung unter den Begriff Gefährdungshaftung oder Unrechtshaftung gestritten wird (vgl. Schmidt-Salzer/Hollmann Art. 1 Rdnr. 8 ff.), der Sache nach eine Haftung ohne Verschulden und damit nach unserer Terminologie eine Gefährdungshaftung (so auch Taschner, Produkthaftung, Art. 1 Rdnr. 1).

§ 1 des Entwurfs des Produkthaftungsgesetzes wiederholt deswegen den strikten Grundsatz:

"Wird durch den Fehler eines Produkts ein Mensch getötet, an Körper oder Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen ... "

Der Fehlerbegriff der Richtlinie und des Produkthaftungsgesetzes unterscheidet sich nicht von demjenigen, der in der deutschen Rechtsprechung bereits entwickelt worden ist. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

"Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

- der Darbietung des Produkts,
- des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,
- des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde,

zu erwarten berechtigt ist."

§ 3 wiederholt diese Fehlerdefinition mit dem klarstellenden Zusatz in Abs. 2:

"Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde."

Im Grunde entspricht das exakt der Fehlerdefinition des geltenden Produkthaftrechts in der Rechtsprechung. Es wird auch in der Richtlinie abgestellt auf die berechtigten Sicherheitserwartungen des Verbrauchers. Hier gibt es, auch für unsere Ausgangsfälle, keine Unterschiede in der Haftungsvoraussetzung der Fehlerhaftigkeit des Produkts (eine gewisse Erweiterung der Haftung ergibt sich aus der Verantwortlichkeit des Herstellers für die Zulieferer, also die vorgeschalteten Fertigungsstufen, vgl. Schmidt-Salzer Art. 3 Rdnr. 59 ff., 121 ff.).

2. Wie steht es aber nach der Richtlinie und dem Produkthaftungsgesetz mit der Darlegungs- und Beweislast?

Diese Frage regelt Art. 4 der EG-Richtlinie: Danach hat der Geschädigte den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden zu beweisen. Auch das entspricht der Rechtslage de lege lata. Wie steht es jedoch mit der Frage der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Zeitpunkts der Fehlerentstehung?

Wir erinnern uns: Nach geltendem Recht muß der Kunde den schwierigen Nachweis führen, daß der Fehler dem Produkt schon im Machtbereich des Herstellers anhaftete, ein Beweis, der bei Fabrikationsfehlern unter Umständen sehr schwierig sein kann.

An dieser Stelle greift die wohl für den Verbraucher bedeutsamste Änderung ein, die die Richtlinie und das Produkthaftgesetz mit sich bringen:

Art. 7 lit. b der Richtlinie lautet:

"Der Hersteller haftet aufgrund dieser Richtlinie nicht, wenn er beweist, daß unter Berücksichtigung der Umstände davon auszugehen ist, daß der Fehler, der den Schaden verursacht hat, nicht vorlag, als das Produkt von ihm in den Verkehr gebracht wurde, oder daß der Fehler später entstanden ist."

Dementsprechend heißt es in § 1 Abs. 2 Ziff. 2 Produkthaftgesetz:,

"Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, daß das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht aufwies, als der Hersteller es in den Verkehr brachte."

Dieser Haftungsausschlußtatbestand enthält, wie seine Fassung zeigt, zugleich eine Beweislastregelung zu Lasten des Herstellers.

Hier setzt also die Beweislastumkehr viel früher ein als im geltenden Recht: Nicht erst beim Verschulden, sondern bereits bei der Zuordnung des Fehlers (vgl. hierzu auch Hermann/Hollmann DB 1987, 2384, 2394; Taschner Art. 7, Rdnr. 13). Bleibt unklar, ob der Fehler des Produkts beim Hersteller oder beim Kunden eingetreten ist, treffen den Hersteller die Folgen des non liquet. Das ist eine eindeutige zu begrüßende Abweichung vom bisherigen Recht und ein Schritt zur Verbesserung des Verbraucherschutzes. Praktische Bedeutung wird diese Vorschrift im Bereich der Fabrikationsfehler haben, bei denen die Schadensursache oder der Zeitpunkt der Entstehung des Fehlers nicht mehr feststellbar sind (vgl. Taschner Art. 7, Rdnr. 10). Für Konstruktionsfehler wird die Beweislastumkehr dagegen kaum eine Rolle spielen, weil ein Konstruktionsfehler dem Produkt immanent ist und unverändert anhaftet, daher später auch auf das ursprüngliche Vorliegen des Konstruktionsfehlers zurückgeschlossen werden und im übrigen der Konstruktionsfehler auch an anderen Exemplaren des gleichen Typs festgestellt werden kann.

Für den großen Bereich der Fabrikationsfehler hat die Beweislastumkehr jedoch eine nach meiner Einschätzung wichtige Bedeutung für den Verbraucher in der Praxis. Angesichts der Schwierigkeit in der Beweisführung für beide Teile wird allerdings der dem Hersteller auferlegte Beweis erleichtert; er muß nur beweisen, daß davon auszugehen ist, daß der Fehler noch nicht vorlag. Es genügt also für die Führung dieses Beweises ein geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit. Die volle Beweisführung setzt voraus, daß der Richter sich im Prozeß "einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit" verschafft, "der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen" (das ist die Umschreibung der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vgl. BGHZ 53, 245, 258). In der Begründung der Richtlinie wird zwar klargestellt, daß der Richter besonders sorgfältig alle relevanten Umstände bei der Beweisführung zu prüfen habe. Je eher der Schaden nach Auslieferung des Pkw beim Hersteller eingetreten ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß der Fehler von Anfang an vorlag (vgl. Taschner Art. 7, Rdnr. 14). Trotz dieser Erleichterung in der Beweisführung bleibt es aber bei der grundsätzlichen Beweisbelastung des Herstellers dafür, daß der Fehler noch nicht bei ihm eingetreten ist. Man kann darauf gespannt sein, wie die Rechtsprechung diese nach meiner Meinung geringfügige Herabsetzung der zu erzielenden Wahrscheinlichkeit im Rahmen des § 286 ZPO handhaben wird.

Im Traggelenkfall bedeutet das jedenfalls im Ergebnis: Bleibt unklar, ob die Beschädigung der Gummimanschette beim Hersteller oder erst später (beim Händler oder beim Kunden) eingetreten ist, und gibt es keine gravierenden Anhaltspunkte dafür, daß der Fehler später entstanden ist, haftet der Hersteller. Insofern ist die Rechtslage und Beweissituation für den Verbraucher nach dem Produkthaftungsgesetz günstiger, weil eine Beweislastumkehr, wenn auch eingeschränkt, schon im objektiven Tatbestand der Fehlerzurechnung zugunsten des Verbrauchers eintritt.

Es bleibt zu prüfen, wie sich unabhängig von dieser vorverlagerten Beweislastumkehr die Rechtslage des Verbrauchers dadurch verbessert, daß das Erfordernis des Verschuldens entfallen ist und ob diese im Zentrum der Diskussion stehende dogmatische Änderung in der praktischen Anwendung tatsächlich von so großer Bedeutung ist.

Richtlinie und Entwurf des Produkthaftungsgesetzes enthalten neben anderen Ausschlußtatbeständen eine wichtige in unserem Zusammenhang interessante und grundlegend die Haftung ausschließende Klausel:

Art. 7 lit. e der Richtlinie lautet:

"Der Hersteller haftet aufgrund dieser Richtlinie nicht, wenn er beweist, daß der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte."

Dazu korrespondiert § 1 Abs. 2 Ziff. 5 des Entwurfes:

"Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte."

Was bedeutet diese Einschränkung der Richtlinie?

Schmidt-Salzer sagt hierzu (Art. 7 Rdnr. 107):

"Durch den in Art. 7 lit. e zugelassenen Verteidigungseinwand wird dem Hersteller im Rahmen der verschuldensunabhängigen Haftung also nicht auch noch das sog. Entwicklungsrisiko auferlegt. Seine verschuldensunabhängige Haftung ist begrenzt auf das im Zeitpunkt des Inverkehrbringens objektiv Mögliche, nämlich auf die Verwertung des Gefahrenwissens, das im Zeitpunkt des Inverkehrbringens zur Verfügung stand."

Der Hersteller kann sich also entlasten nach dieser Vorschrift der EG-Richtlinie wie auch nach dem entsprechenden Passus aus dem Entwurf des Produkthaftungsgesetzes in § 1 Abs. 2 Ziff. 5 mit dem Argument, er habe alle objektiven Erkenntnismöglichkeiten von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produktes in Bezug auf dieses Produkt beachtet. Der Haftungsausschluß setzt voraus, daß alle objektiv vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten von Wissenschaft und Technik ausgeschöpft worden sind. Der Stand der Technik ist die formelhafte Bezeichnung für die Gesamtheit der auf dem fraglichen Gebiet bis zu einem gegebenen Zeitpunkt gewonnenen und bekannten technischen Erkenntnisse (RGSt 44, 75, 79; Schmidt-Salzer, Rdnr. 14; Hermann/Hollmann DB 1987, 2389, 2395, bezeichnen Art. 7 lit. e als die bedeutsamste Entlastungsmöglichkeit für den Hersteller).

Umstritten ist, wie dieser Entlastungseinwand ("state of art defense"), also die Entlastung des Herstellers wegen Einhaltung der Regeln von Wissenschaft und Technik, zu verstehen ist. Kommt es darauf an, ob "niemand in der Welt" den Fehler erkennen konnte (so Taschner PHI 1986, 54) oder ob lediglich für den Hersteller das betreffende Gefahrenwissen nicht erreichbar und verwertbar war (so Schmidt-alzer/Hollmann, Art. 7, Rdnr. 143)?

Die letzte Auslegung steht im Eingang mit dem Fehlerbegriff, der auf die berechtigten Sicherheitserwartungen des Verbrauchers abstellt (Schmidt-alzer a. a. 0. Rdnr. 148). Es kommt also im Ergebnis für die Entlastung nach Art. 7 lit. e darauf an, ob der Hersteller die für ihn erreichbaren Erkenntnismöglichkeiten von Wissenschaft und Technik beschafft und verwertet hat.

Worin liegt hier der Unterschied zum Verschuldensbegriff nach § 276

BGB, wie er inzwischen in Rechtsprechung und Literatur definiert wird?

Ich vermag in der praktischen Anwendung keine bedeutsamen Abweichungen zu erkennen: Der objektive Sorgfaltsmaßstab, der zur Vermeidung des Verschuldens nach § 276 BGB angelegt werden muß, deckt sich mit dem Begriff der Beachtung aller Erkenntnismöglichkeiten von Wissenschaft und Technik im Sinne des Haftungsausschlußtatbestandes des Artikel 7 lit. e (so auch Schmidt-Salzer/Hollmann, Art. 7, Rdnr. 107).

Mit anderen Worten: Die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits eingeführte Beweislastumkehr zum subjektiven Verschuldenstatbestand, die Verobjektivierung des Verschuldens und die hohen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht im Rahmen des Verschuldensbegriffs nach der Rechtsprechung führen zu dem gleichen Ergebnis wie das Zusammenwirken des Gefährdungshaftungstatbestandes nach der EG-Richtlinie und dem Produkthaftungsgesetz in Verbindung mit dem Haftungsausschlußtatbestand des Art. 7 lit. e.

Sowohl nach geltendem als auch nach künftigem Produkthaftrecht kann der Hersteller sich entlasten, wenn er den Nachweis erbringt, alle Erkenntnismöglichkeit von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eines Produkts beachtet zu haben. Die technischen und wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten beziehen sich jedoch nicht nur auf grundsätzlich geeignetes Material oder die Konstruktion eines möglicherweise überholten Bremssystems, sondern auch auf Sicherheitsvorkehrungen, die der Hersteller zu treffen hat, um eine Beschädigung seines Produkts zu verhindern.

Auf den Traggelenkfall bezogen, bedeutet dies für die Haftung nach Deliktsrecht und für die zukünftige Gefährdungshaftung: Auch hier wird Vorliegen der übrigen Haftungsvoraussetzungen unterstellt - eine Verurteilung des Herstellers erfolgen müssen, wenn es ihm nicht möglich ist, darzulegen und zu beweisen, daß er alle nach den heutigen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten gebotenen Maßnahmen eingesetzt hat, um eine Beschädigung der Gummimanschette vor oder bei dem Einbau in das Traggelenk zu vermeiden, daß er die üblichen vom Verbraucher erwarteten Schlußkontrollen (wenn auch nur stichprobenhaft) durchgeführt hat und daß er schließlich das Betriebsgelände so gestaltet hat, daß nach menschlichem Ermessen eine Beschädigung durch Dritteinwirkung ausgeschlossen werden kann.

Die Haftungsvoraussetzungen nach geltendem Produkthaftrecht und nach der Richtlinie und dem Entwurf des Produkthaftungsgesetzes unterscheiden sich in diesem Punkt nur im dogmatischen Ansatz" nicht im Ergebnis. Das gilt meines Erachtens übrigens weitgehend auch für die Verantwortlichkeit des Herstellers für zugelieferte Teile. Nach der EG-ichtlinie werden dem Hersteller die Aufgabenbereiche Dritter zugerechnet als wäre es der eigene Aufgabenbereich (Schmidt-Salzer/Hollmann a. a. 0., Art. 1, Rdnr. 28 ff.).

Der Hersteller kann sich also auf die aus seiner Sicht gegebene Qualifikation und Zuverlässigkeit der Zulieferanten nicht berufen; insoweit ist der Ausreißereinwand ausgeschlossen. Erhalten bleibt ihm der Einwand, daß auch beim Zulieferer der Fehler nach den Regeln der Technik nicht erkannt werden konnte.

Sehr weitgehend ist allerdings meines Erachtens auch hier die Erweiterung der Haftung für zugelieferte Teile gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht. Denn auch nach der heutigen Rechtsprechung muß der Hersteller eine sorgfältige Eingangskontrolle vornehmen, die bis zur Materialprüfung der zugelieferten Teile gehen kann (BGH VersR 1972, 559, Kullmann, Handbuch Produzentenhaftung, KZa 7493-3).

4. Wenn man die weite Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Deutschland im Verbraucherinteresse berücksichtigt nicht zuletzt auch in diesem Zusammenhang ist noch einmal hinzuweisen auf die Erweiterung der Haftung für Zubehörteile und die Produktbeobachtungspflichten (vgl. BGH-Urteil vom 9. 12. 1986 VI ZR 65/86, DAR 1987, 78; Kullmann BB 1987, 1959; Lorenz CR 1987, 564) - nimmt sich der "tiefe dogmatische Einschnitt" (Übergang zur Gefährdungshaftung und die deshalb gepriesenen Verbesserungen der Richtlinie und des Produkthaftungsgesetzes) in der praktischen Bedeutung sehr bescheiden aus.

In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird die Verstärkung des Verbraucherschutzes beschworen. Die Begründung führt dazu unter anderem aus:

"Für den einzelnen Verbraucher wird der Schutz insoweit verbessert, als noch vorhandene Lücken geschlossen werden, aber auch die Durchsetzung seiner Ansprüche wegen ihrer nunmehr rein objektiven Grundlagen erleichtert wird."

Für den klassischen Bereich der Konstruktions- und Fabrikationsfehler und die hier geltenden Haftungsvoraussetzungen trifft das nur in sehr geringem Umfang zu. Denn ein materiell-rechtlicher Unterschied im Bereich der typischen Fabrikationsfehler besteht zwar bei den "Ausreißern", für die nach bisherigem Deliktsrecht nicht gehaftet wird, wohl aber nach dem Entwurf des Produkthaftungsgesetzes. Hierauf ist aber auch der materiellrechtliche Vorteil für den Verbraucher beschränkt. In der Praxis ist er gerade im Kfz-Bereich kaum relevant, weil es so gut wie keine Ausreißer und kaum eine Haftungsentlastung bei Ausreißer-Fällen im deutschen Deliktsrecht gibt. Der gesamte Bereich der Produktbeobachtungspflicht, wie er in der deutschen Rechtsprechung entwickelt worden ist, bleibt darüber hinaus in der EG-Richtlinie ausgeklammert. Unter einer für den Verbraucher vielversprechenden neuen Etikettierung der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung nach dem Produkthaftungsgesetz und der EG-Richtlinie gegenüber einem bisherigen angeblichen verschuldensabhängigen Deliktsanspruch mit umgekehrter Beweislast wird eine dogmatische Revolutionierung mit geringem praktischen Gehalt verkauft.

Die einzige für den Verbraucher wirklich relevante Verbesserung in den Haftungsvoraussetzungen ist nicht materiell-rechtlicher Natur, sondern betrifft die Darlegungs- und Beweislast. Sie besteht in der Vorverlegung der Beweislastumkehr bei der Zuordnung der Fehlerentstehung (Vermutung für die Entstehung im Bereich des Herstellers Art. 7 lit. b der Richtlinie).

Nehmen wir an, daß es in unserem Traggelenkfall im Prozeß unklar geblieben ist, wann und wo die Beschädigung der Gummistaubschutzmanschette eingetreten ist. Die Klage des Verbrauchers aus § 823- BGB wird dann daran scheitern, daß er den notwendigen objektiven Tatbestand der Fehlerentstehung im Bereich des Herstellers nicht hat beweisen können.

Er wird jedoch bei Anwendung des neuen Rechts mit Freude konstatieren, daß die Unklarheit in der Beweislage - was die Anwendung des Produkthaftungsgesetzes angeht - nicht zu seinen Lasten geht und damit, weil der Hersteller sich nicht entlasten konnte und die Entstehung des Fehlers bei diesem vermutet wird, die Haftungsvoraussetzungen vonseiten des Gerichts bejaht werden. Seine Freude wird jedoch von kurzer Dauer sein: Das Gericht wird seine Klage gegen den Automobilhersteller auf Schmerzensgeld und nach meiner Überzeugung auf Schadensersatz in Bezug auf den total beschädigten Pkw dennoch abweisen. Betrübt wird der Verbraucher feststellen, daß der Umfang der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz weit bescheidener ist als nach der bereits jetzt geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nach meiner Ansicht nicht erfaßt ist der Totalschaden am Pkw selbst, w eil nach Art. 9 der Richtlinie und § 1 Abs. 1 S. 2 des Entwurfs zum Produkthaftungsgesetz diese Regelungen nicht greifen in Bezug auf Schäden an der gelieferten Sache selbst.

Art. 9 lit. b der Richtlinie und § 1 Abs. 1 Satz 2 des Produkthaftungsgesetzes beschränken den Schadensersatz ausdrücklich darauf, daß eine "andere Sache" durch das fehlerhafte Produkt beschädigt wird. Fehlerhaftes Produkt im Sinne des Art. 1 der EG-Richtlinie ist aus der Sicht des Verbrauchers jedenfalls auch der Pkw, dessen abgrenzbarer Bestandteil (Gaszug etc.) die Fehlerursache birgt. Aus der Sicht des Verbrauchers ist deshalb fehlerhaftes Produkt im Sinne der Produkthaftung nach der Richtlinie bei natürlicher Betrachtung nicht nur eine einzelne eventuell fehlende Schraube oder ein fehlerhaftes abgegrenztes Teil, sondern die Sachgesamtheit Automobil. Als fehlerhaftes Produkt im Sinne der Richtlinie wird der Verbraucher und werden die Gerichte (jedenfalls nicht nur) ein Sammelsurium von Schrauben und Schläuchen, sondern das Kraftfahrzeug insgesamt sehen (vgl. hierzu auch LG Karlsruhe NJW RR 1987, 1511; Schmidt-Salzer/Hollmann, Art . 9, Rdz. 27; Taschner, Art. 9, Rdz. 18, 19). Eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt kann daher notgedrungen bei der Klage gegen den Hersteller nicht das Kraftfahrzeug selber sein. Die Übertragung der Rechtsgrundsätze des "weiterfressenden Mangels" und der "Stoffungleichheit" aus der bisherigen Rechtsprechung auf den Bereich der Richtlinie scheint mir deshalb nicht möglich zu sein, weil das Produkt "Automobil" (aus der Sicht des Verbrauchers bei der Klage gegen den Hersteller das fehlerhafte Produkt im Sinne des Art. 1 der Richtlinie, auch wenn der Fehler einem abgegrenzten Teil innewohnt) im Verhältnis zu einem seiner Teile keine "andere Sache" sein kann. Teilidentität schließt logisch und sachlich den Begriff der Andersartigkeit aus.

Nach den Vorschriften der Richtlinie und des Gesetzesentwurfs wird also der Verbraucher in allen Beispielsfällen den Schaden an seinem Pkw nicht ersetzt bekommen. Unter Umständen kann er jedoch den Teilhersteller direkt in Anspruch nehmen (Art. 3 Abs. 1 EG-Richtlinie).

Die Rechtslage nach der auf Deliktsrecht gestützten Rechtsprechung bleibt dagegen unverändert: Hier ist der Ersatz des beschädigten Pkw möglich. Es ist sehr zu hoffen, daß die Gerichte mit ihrer künftigen Rechtsprechung nicht hinter die heutige Entwicklung (Ersatz auch des beschädigten Pkw) zurückgehen, gegebenenfalls die Vorschrift des § 823 BGB in Anlehnung an Richtlinie und Produkthaftungsgesetz restriktiver interpretieren und die bisherige Rechtsprechung zum weiterfressenden Mangel aufgeben. Das wäre methodisch meines Erachtens nicht haltbar (einen solchen Versuch unternimmt allerdings bereits in einer neueren Entscheidung das Landgericht Karlsruhe in NJW RR, 1987, 1611).

Nach der Richtlinie und dem Entwurf des Produkthaftungsgesetzes ist weiterhin nicht geschuldet der Ersatz des immateriellen Schadens, für den unverändert nur die Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten und damit die
bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung gelten (Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie).

Da die Richtlinie lediglich als Minimalschutz für den Verbraucher anzusetzen ist, der eine Weiterentwicklung in Richtung auf mehr Verbraucherschutz durch die Rechtsprechung oder den Gesetzgeber nicht ausschließt (Art. 13 der EG-Richtlinie läßt kein Argument um e contraio zu), könnte der deutsche Gesetzgeber im übrigen ohne weiteres die Regelung der immateriellen Schäden in das Produkthaftungsgesetz aufnehmen.

5. Ich halte es für bedauerlich, daß der Entwurf des deutschen Produkthaftungsgesetzes nicht wenigstens die Schritte auf den Verbraucherschutz hin unternimmt, die im Rahmen der eingeräumten Optionen nach der EG-Richtlinie möglich wären:

Nach Art. 15 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 7 lit. e der Richtlinie kann jeder Mitgliedsstaat in seinen Rechtsvorschriften vorsehen, daß der Hersteller auch dann haftet, wenn er beweist, daß der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte.

Der Gesetzgeber hat im Entwurf zum Produkthaftungsgesetz in § 1 Abs. 2 Nr. 5 von dieser Option keinen Gebrauch gemacht. Begründet wurde der Verzicht auf diese Option zugunsten des Verbrauchers damit, daß derartige Fälle in der Praxis (Entwicklungsrisiken) kaum zu verzeichnen seien und man deshalb auch auf die Ausübung dieser Option verzichten könne.

Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß man mit dem gleichen Argument ebenso gut im Interesse des Verbrauchers zum gegenteiligen Ergebnis hätte kommen können (vgl. Pauli PHI 1987, 142 ff.). Die Begründung, die der Gesetzgeber für den Verzicht in Bezug auf die Option gibt, hätte genauso gut dazu dienen können, die Option zu begründen, nämlich die Entwicklungsrisiken in die Herstellerhaftung einzubeziehen.

Die zusätzliche Belastung der Industrie bewegt sich dabei nur im Promillebereich des Umsatzes.

Auch das Argument, die Einbeziehung der Entwicklungsrisiken würde die Innovationsfreudigkeit der Automobilindustrie beeinträchtigen und gegebenenfalls- sogar zur Schlamperei führen, kann nicht überzeugen: Immerhin riskieren ein nachlässiger Produzent und seine Mitarbeiter nach wie vor unter Umständen auch eine strafrechtliche Verfolgung bei Körperverletzungen. Darüber hinaus ließe auch das Selbstverständnis und das hervorragende Qualitätsniveau der Automobilindustrie in der Bundesrepublik eine solche Entwicklung nicht zu.

Bei einer Abwägung der Interessen von Verbrauchern und Herstellern spricht deshalb meines Erachtens mehr für die Einbeziehung der Entwicklungsrisiken in die Haftung.

Es liegt nahe, hier eine Parallele zum Werkvertragsrecht zu ziehen: Ebenso wie der Werkunternehmer für die Nutzung durch den Kunden ein mangelfreies und gefahrloses Produkt zu liefern hat, hat dies der Hersteller unter Beachtung des Integritätsinteresses des Kunden zu tun. In der werkvertraglichen Rechtsprechung ist inzwischen anerkannt (BGH NJW 1987, 207; BGHZ 91, 206, 211): Unabhängig von der Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik im Zeitpunkt der Herstellung hat der Auftragnehmer in jedem Fall ein dauerhaft mangelfreies Werk zu liefern. Läßt sich dieses - mit der in einer vertraglichen Baubeschreibung vorgesehenen Konstruktion nicht erreichen, muß der Auftragnehmer nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW BauR 1987, 207) ohne Aufpreis weitere aufwendigere Maßnahmen treffen. Auch wenn er nachweilst, bei der Herstellung alle Regeln der Technik eingehalten zu haben, das Werk aber zum Zeitpunkt der Abnahme mangelhaft ist, ist der Unternehmer im Rahmen des Werkvertragsrechts gewährleistungsverpflichtet. Für diese Rechtsentwicklung, die mit der Vorstellung eines Handlungsunrechts nicht vereinbar ist, läßt sich letztlich nur mit der Abgrenzung von Verantwortungsphären und Zurechnung argumentieren.

Ebenso wie bei der Gewährleistungshaftung geht es bei der Gefährdungshaftung um die Zurechnung von Gefahrenkreisen und Verantwortungssphären. Für eine solche Zurechnungshaftung nach Risikobereichen sollte es gerade nicht auf Erkennbarkeit nach dem Stand der Technik und Wissenschaft ankommen.

Unter solchen Zurechnungsgesichtspunkten, die im Verbraucherinteresse eine weitergehende Absicherung des Verbrauchers auch im Rahmen der Gefährdungshaftung gebieten, halte ich es für richtig, in Erweiterung des Entwurfs des Produkthaftungsgesetzes, aber auch der Richtlinie, die vom ADAC bereits unterbreiteten Vorschläge zum Produkthaftungsgesetz zu unterstützen und folgende verbraucherfreundlichere Regelungen zu fordern:

1. Volle Einbeziehung der Entwicklungsrisiken in den Entwurf des Produkthaftungsgesetzes im Rahmen der nach der EG-Richtlinie möglichen Option und deshalb ersatzlose Streichung der Vorschrift des § 1 Abs. 2 Ziff. 5 im Entwurf des Produkthaftungsgesetzes.

2. Aufgabe des Haftungshöchstbetrages von DM 160 Mio. bei Personenschäden, die durch einen bestimmten Serienfehler herbeigeführt worden sind (diese Option räumt die EG-Richtlinie ein).

3. Einführung auch des Schmerzensgeldanspruchs in das Produkthaftungsgesetz (nach meiner Ansicht schließt dies die EG-Richtlinie nicht aus, die ausdrücklich hinsichtlich des immateriellen Schadens auf die Vorschriften des staatlichen Rechts in Art. 9 Abs. 2 verweist und damit auch den Raum für eine entsprechende gesetzgeberische Gestaltung läßt).

4. Ersatz auch des Schadens an dem mit dem Herstellungsfehler behafteten Produkt, wie dies in der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter dem Stichwort des weiterfressenden Mangels bzw. der Stoffungleichkeit bereits weitgehend etabliert ist. Eine solche Regelung ist allerdings auf der Basis der EG-Richtlinien gegenwärtig nicht möglich. Art. 9 lit. b beschränkt die Ersatzpflicht ausdrücklich auf die Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts. Ein schadhaftes Teil des Produkts, beispielsweise des Pkw, als eine "andere Sache" anzusehen, ist nach meiner Ansicht ausgeschlossen. Hier müßte also hingewirkt werden auf eine Änderung der EG-Richtlinie in Art. 9 lit. b.

Zusammenfassend möchte ich zum Entwurf des Produkthaftungsgesetzes und zur Richtlinie folgendes sagen:

1. Grundsätzlich zu überlegen wäre, ob man nicht im Interesse einer Rechtsvereinheitlichung auch im Bereich des innerstaatlichen Rechtes die Entwicklung eines Produkthaftungsgesetzes zum Anlaß nehmen sollte, das Produkthaftrecht umfassend, auch soweit es bisher von der Rechtsprechung begründet worden ist, zu kodifizieren. Das Nebeneinander einer gesetzlichen Regelung, die nur Teilaspekte erfaßt, und das Weitergelten des von der Rechtsprechung entwickelten "case law" mit einzelnen Fallgruppen zum Produkthaftrecht führen zu Unübersichtlichkeit und Abgrenzungsschwierigkeiten. Darüber hinaus würde eine Kodifizierung die Gefahr vermeiden, daß sich die Rechtsprechung zum Nachteil des Verbrauchers zurückentwickelt.

2. Die "dogmatische Revolutionierung" - Übergang von der Verschuldens zur Gefährdungshaftung - ist in der Praxis hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen von geringer Bedeutung. Die von der Rechtsprechung erarbeitete Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Verschuldens und die hohen Anforderungen an den Entlastungsbeweis sind praktisch gleichgelagert mit dem neuen Gefährdungstatbestand unter Berücksichtigung der Entlastungsmöglichkeit nach Art. 7 e der Richtlinie und des § 1 Abs. 2 Ziff. 5 ProdHaftG.

3. Aus der Sicht der Verbraucher ist begrüßenswert die Vorverlegung der Beweislastumkehr in Bezug auf die objektive Fehlerzurechnung gegenüber dem geltenden Recht. Nach dem Entwurf des Produkthaftungsgesetzes und nach der Richtlinie muß der Geschädigte nur noch die Fehlerhaftigkeit des Produktes und den Kausalzusammenhang zum eingetretenen Schaden darlegen und beweisen. Er muß nicht mehr darlegen und beweisen, daß der Fehler beim Hersteller eingetreten ist. Alle übrigen entlastenden Umstände sind - wie bisher - vom Produzenten darzulegen und zu beweisen.

4. Bedauerlich aus der Sicht der Verbraucher ist, daß das Produkthaftungsgesetz zu Lasten der Verbraucher die Haftung für Entwicklungsrisiken nicht einbezieht und daß ein Haftungshöchstbetrag von DM 160 Mio. in Ausübung der negativen Option des Art. 16 der EG-Richtlinie eingeführt wird. Da die Gefährdungshaftung im Grunde eine Zurechnungshaftung nach Risikobereichen ist, für die es gerade nicht auf Erkennbarkeit nach dem Stand der Wissenschaft und Technik ankommen sollte, ist aus meiner Sicht die Einbeziehung der Entwicklungsrisiken zugunsten des Verbrauchers geboten. Ich befürworte deshalb eine ersatzlose Streichung des § 1 Abs. 2 Ziff. 5 des Produkthaftungsgesetzes.

5. Die ohnehin nicht überwältigenden Vorteile der Richtlinie und des Produkthaftungsgesetzes (Einführung der Gefährdungshaftung und Vorverlegung der Beweislastumkehr) werden durch zwei wesentliche Einschränkungen hinsichtlich der Schadensfolgen für den Verbraucher zunichte gemacht: Zum einen dadurch, daß sich der Schadensersatz nach EG-Richtlinie und Entwurf des Produkthaftungsgesetzes nur auf eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt bezieht und damit der Schaden an dem durch den Produktfehler beschädigten Pkw grundsätzlich nicht erstattet wird und zum anderen dadurch, daß der Gesetzesentwurf des Produkthaftungsgesetzes keine Regelung über Ersatz des immateriellen Schadens enthält.

Die Einbeziehung des immateriellen Schadens in die Regelungen des Produkthaftungsgesetzes sollte nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Regulierung von immateriellen Schäden sei nach der deutschen Rechtstradition unlösbar mit Verschuldenselementen verknüpft, Schmerzensgeldregelungen könnten niemals etwas mit Gefährdungshaftung zu tun haben. Die Produkthaftung in der Rechtsprechung hat sich zwischenzeitlich von ihrer ursprünglich am Handlungsunrecht orientierten deliktischen Betrachtungsweise durch die Verobjektivierung des Verschuldensbegriffes und die Umkehr der Beweislast längst gelöst. Die EG-Richtlinie und das neue Produkthaftungsgesetz enthalten umgekehrt keine echte "strict liability", sondern knüpfen an die Fehlerhaftigkeit des Produkts und deren Erkennbarkeit zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens an. Es gibt daher keinen qualitativen Unterschied in den Haftungsvoraussetzungen. Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung sollten sich deshalb lieber früher als später mit dem Gedanken vertraut machen, daß es keine dogmatischen oder in unserem Rechtssystemverankerten Gründe gibt, die eine Einbeziehung des Schmerzensgeldes in die Produkthaftung ausschließen und daß sowohl Gründe der Zweckmäßigkeit wie der Interessenabwägung diese Einbeziehung rechtfertigen und nahelegen.