BauR 1997, 766

Ist § 648 a BGB extensiv oder restriktiv auszulegen?

Rechtsanwalt Dr. Ekkehart Reinelt, München

 

1. Kritik der herrschenden Meinung zur Auslegung des §648a BGB

Vor kurzem erging eine erste höchstrichterliche Entscheidung zur Auslegung des §648a BGB . Diese Entscheidung liegt auf der Linie der in der Literatur herrschenden Meinung einer extensiven Auslegung des §648a BGB . Es wird zu zeigen sein, daß die extensive Auslegung dieser Vorschrift die zum Schutz des Bauunternehmers gegen Insolvenz des Bauherrn eingeführte Vorschrift in ein Druckmittel in der Hand des Bauunternehmers pervertiert, die es zu seinen Gunsten ermöglicht, ungerechtfertigte Forderungen durchzusetzen und damit die Rechte des Bauherren unerträglich zu verkürzen.

Seit dem 1.5.1993 gilt §648a BGB. Die Vorschrift war dazu bestimmt, die Sicherungslücke zu schließen, der sich der Unternehmer ausgesetzt sieht, dessen Auftraggeber nicht Eigentümer des zu bebauenden Grundstücks ist. Die Unternehmer konnten sich mangels Identität zwischen Besteller im Rahmen des Werkvertrags und Grundstückseigentümer in diesen Fällen nicht nach §648 BGB durch Bauhandwerkersicherungshypothek sichern . Im übrigen reicht für den Bauhandwerker in den übrigen Fällen die Sicherungshypothek nach §648 BGB häufig nicht, weil das Grundstück bereits über die Grenze der Mündelsicherheit (vgl. §238, 1807 BGB) durch Sicherungsgrundpfandrechte vorbelastet ist.

Die Regelung des §648a BGB verbessert die Position des Unternehmers gegenüber dem Bauherrn deutlich. Aufgrund seiner Vorleistungspflicht bei Erstellung eines Bauwerks unterliegt der Bauunternehmer einem erheblichen Insolvenzrisiko. Der Unternehmer muß nach der Neuregelung nicht um seinen vertraglichen ausbedungenen Lohn "bangen" . Die Ergänzung der gesetzlichen Regelungen durch §648a BGB wird deshalb allenthalben als effiziente Regelung für das manifeste Sicherungsbedürfnis des Bauhandwerkers uneingeschränkt begrüßt . In der Literatur gibt es zwischenzeitlich eine Reihe von Stellungnahmen zu Fragen einer restriktiven oder extensiven Auslegung und zu ersten Streitfragen bei der Anwendung der Vorschrift . Soweit ersichtlich, gibt es bisher nur eine, nämlich die schon zitierte Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 12.3.1996 zu Problemen des §648a BGB . Diese Entscheidung beantwortet verschiedene Fragen des §648a BGB i.S. einer extensiven Auslegung.

Zur Höhe des Sicherungsanspruchs vertritt das OLG Karlsruhe die Auffassung, daß das Recht auf Sicherung nach §648a BGB sich nicht nur auf noch zu erbringende Leistungen bezieht, die zum Zeitpunkt des Sicherungsverlangens noch ausstehen, sondern auch auf bereits erbrachte aber noch nicht abgerechnete Leistungen. Weiter vertritt das OLG Karlsruhe die Auffassung, daß keine übergenauen Anforderungen an die Höhe des Sicherungsverlangens gestellt werden sollten, daß bestehende Mängel das Sicherungsverlangen nicht berühren und daß auch ein überhöhtes Sicherungsverlangen den Fristlauf des §648a Abs.1 Satz 1 BGB in Lauf setzt mit der Folge des Leistungsverweigerungsrechts des Auftragnehmers. Leinemann begrüßt die Entscheidung ausdrücklich und uneingeschränkt.

Alle vom OLG Karlsruhe entschiedenen Auslegungsfragen sind nach meiner Überzeugung aufgrund einer gebotenen restriktiven Interpretation der neuen Vorschrift gegenteilig zu entscheiden.

Das OLG Karlsruhe und die herrschende Meinung zur extensiven Auslegung des §648a BGB verkennen, daß §648a BGB bei dieser Interpretation die Rechte des Bauherren auf unerträgliche Weise verkürzt.

Eine - häufig bei der Einführung von "a"-Pagraphen in das BGB angebrachte Skepsis - ist auch hier angebracht. Die Erfahrungen in der Praxis zeigen, daß sich die Vorschrift für den Unternehmer - jedenfalls bei der von der herrschenden Meinung und der Entscheidung des OLG Karlsruhe befürworteten extensiven Auslegung -vortrefflich als Werkzeug einer legalen Erpressung des Bauherrn mißbrauchen läßt. Der Gesetzgeber hat - einem durchaus berechtigten Sicherheitsbedürfnis des Unternehmers Rechnung tragend - wie so oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Er hat dem Unternehmer (folgt man der herrschenden Meinung) ein Folterwerkzeug in die Hand gegeben, mit dem er legal von seinem Kontrahenten das herauspressen kann, was er haben will, ohne daß er darauf Anspruch hätte.

Den Weg des Drucks zur Durchsetzung unberechtigter Forderungen beschreiten Bauunternehmer häufig schon bei und kurz nach Abschluß des Bauvertrages. Sie geben unterkalkulierte Angebote ab, um einen Auftrag zu bekommen und bessern anschließend diese Unterkalkulation durch an sich unberechtigte Nachträge auf. In vielen Bauunternehmungen werden Spezialisten schon mit dem Tag der Unterzeichnung eines Bauvertrages darauf angesetzt, wirkliche oder scheinbare Behinderungen zu ermitteln und den Bauherren mit Nachträgen zu überziehen. Werden diese vom Bauherren zurückgewiesen, wird der Bauherr mit dem Sicherheitsverlangen nach §648a BGB unter Druck gesetzt.

Als besonders probates Druckmittel erweist sich das Verlangen nach Bürgschaft gemäß §648a BGB dann, wenn der Bauherr -beispielsweise wegen Terminverzug (§5 Nr. 4 VOB/B) oder zu beseitigenden Mängeln (§4 Nr. 7 VOB/B) - den Unternehmer mit Fristsetzungen und Kündigungsandrohungen zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen anhält (§8 Nr. 3 VOB/B). Häufig wird dann vor Ablauf einer solchen Frist ein (übersetztes) Sicherheitsverlangen nach §648a BGB ausgesprochen, um aufgrund des sich daraus ergebenden Leistungsverweigerungsrechts des Auftragnehmers die Arbeiten (scheinbar) berechtigt einstellen zu können.

Die neue Vorschrift, die nach deren Absatz 7 zwingend ist und nach allgemeiner Auffassung auch durch individuelle Vereinbarungen weder bei Abschluß des Bauvertrages noch zu einem späteren Zeitpunkt ganz oder teilweise abbedungen werden kann, gibt dem Bauhandwerker bekanntlich den Anspruch, zu jeder Zeit während der Ausführung des Bauvorhabens Sicherheit bis zur Höhe des voraussichtlichen Vergütungsanspruchs einschließlich nachträglicher Zusatzaufträge zu verlangen. Verstreicht die Frist, hat der Unternehmer das Recht, die Baustelle stillzulegen, muß also weder weiterarbeiten noch Mängel beseitigen.

Nach Ablauf dieser Frist hat der Bauhandwerker es in der Hand, ob er eine weitere Nachfrist verbunden mit einer Kündigungsandrohung setzt oder nicht. Setzt er diese Frist, gilt der Bauvertrag als aufgehoben (§643 Satz 2 BGB). Aus der zwingenden Natur der Vorschrift nach §648a Abs.7 BGB folgt zugleich, daß dies auch für den Bereich des VOB-Vertrages gilt, es also auch im Falle des VOB-Vertrages nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist keiner zusätzlichen Kündigung nach §9 VOB/B mehr bedarf, ja der Bauhandwerker es auch nicht mehr in der Hand hat, ob er eine Kündigung ausspricht oder nicht . Der Unternehmer wird allerdings in der Regel besser beraten sein, wenn er diese Nachfrist verbunden mit der Kündigungsandrohung nicht setzt und eine Kündigung des Bauvertrages nicht ausspricht. Denn im Falle der Aufhebung des Bauvertrages nach §643 BGB bekommt er grundsätzlich eine Vergütung nur für die bisher erbrachten Teile der Leistung und einen (den Vertrauensschaden abdeckenden) Entschädigungsanspruch nach §642 Abs. 2 BGB bzw. § 9 Nr. 3 VOB/B. Diese Regelung ist für ihn ungünstiger als diejenige, die sich ergibt, wenn der Auftraggeber seinerseits den Vertrag ordentlich kündigt, was dieser nach §649 oder §8 Nr. 1 VOB/B jederzeit tun kann. Bei ordentlicher Kündigung durch den Besteller hat der Bauunternehmer Anspruch auf die gesamte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen, wobei ungeachtet gewisser Darlegungserfordernisse auf seiten des Auftragnehmers der Auftraggeber grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für Art und Umfang der ersparten Aufwendungen trägt .

Wenn der Bauunternehmer also die für ihn günstigste Lösung anstrebt, wird er die Baustelle einfach einstellen und die Aktionen des Bauherren abwarten. Wenn dieser bis dahin die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung des Bauwerkvertrages etwa nach §8 Nr. 3 VOB/B nicht geschaffen haben sollte, bleibt ihm - will er das Bauwerk fertigstellen - keine Wahl als die, das Sicherheitsverlangen des Bauunternehmers uneingeschränkt zu erfüllen oder aber den Bauvertrag ordentlich zu kündigen.

Jetzt gelangt der Bauherr zwischen Skylla und Charybdis: Mit einer Kündigung begibt er sich in eine wirtschaftlich und rechtlich desolate Situation. Er muß mit entsprechenden Mehraufwendungen (die vorzulegen sind) und Zeitverzug die Baustelle durch einen anderen Unternehmer fertigstellen und die gesamten Vergütungsansprüche des bisherigen Unternehmers (abzüglich der von ihm zu beweisenden ersparten Aufwendungen) erfüllen.

Die Alternative - uneingeschränkte Erfüllung des Sicherheitsverlangens nach §648a BGB - ist ebenso problematisch.

Wie zu zeigen sein wird, gerät der Bauherr damit in gleicher Weise in eine fatale Situation, wenn er das optimal ausgereizte Sicherheitsverlangen nach §648a BGB erfüllt.

II. Die Folgen der herrschenden Meinung für die Baupraxis

1. Die Finanzierung eines Großbauvorhabens geschieht in der Regel dadurch, daß mehrere Kapitalanleger sich für die Erstellung eines Bauvorhabens zusammenfinden und einen Anteil Eigenkapital zur Verfügung stellen. Der größere Teil des Objekts wird objektbezogen durch Banken finanziert. Die Finanzierung eines solchen Großbauvorhabens kann - von Ausnahmefällen abgesehen - nicht beliebig erweitert werden, sondern ist auf das konkrete Projekt beschränkt. Gesichert ist die Realisierung des Objekts dann, wenn Eigenkapital und Fremdkapital aufgrund entsprechender Finanzierungszusagen für die Verwirklichung des Projektes im Rahmen eines abgeschlossenen Vertrages, in der Regel Pauschalvertrags, zur Verfügung stehen.

In der Praxis der Realisierung von größeren Bauvorhaben zeigt sich in neuerer Zeit eine stark zunehmende Tendenz von Bauunternehmen, Bauleistungen außerordentlich fehlerbehaftet und unzuverlässig, teilweise sogar bewußt abweichend von vertraglichen Grundlagen und in der Regel nicht innerhalb der vorgegebenen zeitlichen Bedingungen, nämlich Fristen und Termine, zu realisieren. Zum Teil geht dies sicherlich zurück auf die Beschäftigung unzureichend qualifizierter und ausgebildeter Bauarbeiter, weil kompetente Facharbeiter entweder nicht zu bekommen oder nicht zu bezahlen sind und der Unternehmer deshalb seine meist knappe oder unzureichende Kalkulation, mit der es ihm gelungen ist, den Auftrag zu erhalten, anders nicht einhalten kann. Selbstverständlich gewährt das Gesetz dem Bauherren in solchen Fällen entsprechende Möglichkeiten, durch Mängelbeseitigungsaufforderungen, Verlangen von Rückbau vertragswidrig eingebauter Teile und Fristsetzungen zur Einhaltung von Terminplänen auf den Bauunternehmer einzuwirken und ggf. eine außerordentliche Kündigung vorzubereiten (§8 Nr. 3 VOB/B i.V.m. §4 Nr. 7 VOB/B, §5 Nr. 4 VOB/B). Entsprechendes gilt für die Kündigung eines BGB-Bauvertrages aus wichtigem Grund . In aller Regel ist jedoch eine Kündigung einem Bauherren nur im Ausnahmefall einer ganz katastrophalen Entwicklung zu empfehlen. Sie wirft notwendigerweise das Bauvorhaben um Monate zurück und verteuert das Objekt (durch Mehrkosten der Fertigstellung und der Finanzierungszinsen) erheblich. Die dadurch entstehenden Schäden und Kosten, deren Realisierbarkeit beim Bauunternehmer aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen fraglich sein kann, will oder kann der Bauherr in der Regel nicht riskieren. Nach einer Beendigung eines Bauvertrages zum bisherigen Unternehmer, sei es aufgrund ordentlicher oder außerordentlicher Kündigung, müßte der Bauherr nämlich mit den entsprechenden Mitteln für den Ersatzunternehmer in Vorlage treten. Ob und wie er seine Ansprüche beim ersten Bauunternehmer realisieren kann, ist fraglich. Der Bauherr versucht daher meistens, mit dem alten Bauunternehmer weiter zuarbeiten und ihn zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung anzuhalten.

Der Bauunternehmer, der unterkalkulierte Angebote abgegeben hat, setzt nunmehr alle Mittel ein, um durch Nachträge seine Kalkulation aufzubessern. In diesem Zusammenhang gewährt der Gesetzgeber ihm mit dem neuen §648a BGB - jedenfalls in der Interpretation der herrschenden Meinung - ein vortreffliches Instrument zur Verwirklichung seiner Absichten.

Wenn sich die Situation im Bauablauf zu Lasten des Bauherren zuspitzt und der Bauunternehmer erkennt, daß das Risiko einer außerordentlichen Kündigung sich verwirklichen könnte, oder wenn der Bauunternehmer seine Unterkalkulation durch entsprechende Nachträge nicht aufbessern kann, weil der Bauherr diese nicht anerkennt, hilft dem Bauunternehmer nämlich zu seiner Freude die neue Vorschrift des Gesetzgebers in der Auslegung der herrschenden Meinung: Der Bauunternehmer "zieht" den §648a BGB wie der Viehräuber das Schießeisen und fordert den Bauherren zur Stellung der Sicherheit auf. Die überwiegend vertretene Meinung kommt ihm dabei zu Hilfe: Sie vertritt die Auffassung, daß der Bauunternehmer in der Regel die Obergrenze des voraussichtlichen Vergütungsanspruchs ausschöpfen könne , daß er kein Risiko bei einem erhöhten Sicherungsverlangen hat, weil in jedem Fall die Folgen des §648a BGB ausgelöst werden , etwaige Mängel des Verlangens dessen Zulässigkeit nicht berühren (Leinemann, a. a. O.) und das Sicherungsverlangen bis zur Höhe des voraussichtlichen Vergütungsanspruchs beliebig, also iterativ, wiederholt werden kann.

Häufig bleibt dem Bauherren keine andere Möglichkeit, als diese Sicherheit zu stellen. Stellen kann er sie faktisch nur durch eine entsprechende Bürgschaft der das Bauvorhaben finanzierenden Bank. Mit der Stellung dieser Bürgschaft ist der Liquiditätsrahmen, der zum Zweck der Errichtung des Bauvorhabens gegründeten Gesellschaft oder des Einzelbauherren regelmäßig ausgeschöpft. Jetzt hat der Bauhandwerker den Bauherren an der Angel. Der Bauhandwerker muß zwar nach Stellung der Bürgschaft nach §648a BGB weiterarbeiten und kann die Leistung nicht weiter einstellen, er kann aber in Zukunft beliebigen Pfusch produzieren, seine Vertragswidrigkeiten fortsetzen und die Zeitschiene vernachlässigen, ohne daß er eine außerordentliche Kündigung befürchten muß. Denn der Liquiditätsrahmen der das Bauvorhaben errichtenden Gesellschaft oder des Kapitalanlegers kann meist nicht erweitert werden. Um eine außerordentliche Kündigung und die Neubeauftragung eines anderen Bauunternehmers durchsetzen zu können, müßte der Bauherr über einen ausreichend großen zusätzlichen Liquiditätsrahmen verfügen, um den neuen Unternehmer vorzufinanzieren. Dazu ist er jedoch nach Stellung der Bürgschaft nach §648a BGB über die volle durch den Vertrag und eventuelle Nachtragsaufträge definierten Höhe nicht mehr in der Lage, weil die gesamte Finanzierung des Bauvorhabens - vielleicht mit einem gewissen Spielraum - auf ein konkretes Objekt und dessen Kosten abgestellt ist. Das Recht auf außerordentliche Kündigung des Bauvertrages durch den Bauherren steht nur noch auf dem Papier. Faktisch kann er es nicht mehr ausüben, weil er den Ersatzunternehmer nicht mehr vorfinanzieren kann.

In dieser Situation ist der Bauherr nach Stellung der Bürgschaft nach §648 a BGB in voller Höhe der voraussichtlichen Vergütung aufgrund des ausgeschöpften Liquiditätsrahmens dem Bauhandwerker hoffnungslos ausgeliefert. Der Bauherr muß sich - will er das Bauvorhaben überhaupt noch verwirklichen - auch unberechtigten Nachtragsforderungen beugen, muß ggf. neue das Bauvorhaben wesentlich verteuernde Terminpläne schlucken, auch wenn sie letztlich auf einen Verzug des Unternehmers zurückgehen und kann bei der Fortführung und Fertigstellung des Bauvorhabens nur noch auf den "good will" des Bauhandwerkers hoffen, dem er nunmehr die Sicherheit nach § 648 a gestellt hat. Auf spätere gerichtliche Klärung kann der Bauherr nicht zählen. Der wirtschaftliche Zwang zur Fertigstellung des Bauvorhabens in naher Zeit nötigt ihn zum Abschluß von Vereinbarungen, die ihm später zu realisierende Rechte aus der Hand schlagen. Selbst wenn es nicht zu solchen Vereinbarungen kommen sollte, muß er mit umfangreichen Bauprozessen rechnen, deren Ende nach jahrelangem Streiten rechtlich und tatsächlich ungewiß ist.

Wer als Bauherr einmal diese Erfahrung gemacht hat, läßt in Zukunft die Finger von entsprechenden Projekten. In der Auslegung der herrschenden Meinung erweist sich daher der §648a BGB (ebenso wie die vollständige Abschaffung des Fördergebietsgesetzes) als ein Instrument der Verhinderung von Bauinvestitionen.

III. Folgerungen

1. Das zur Verstärkung der Sicherheit des Bauhandwerkers gegen Insolvenz des Bauherren gut gemeinte Bauhandwerkersicherungsgesetz und §648a BGB in der Interpretation der herrschenden Meinung sind weit davon entfernt, einen angemessenen Ausgleich der Rechte von Bauherren und Bauunternehmern zu bieten. Was Gottfried Benn über Literatur gesagt hat, gilt für das Gesetz in der Interpretation der herrschenden Meinung auch hier:

"Das Gegenteil von Kunst ist gut gemeint."

2. Welche Folgerungen sind hieraus für die Auslegung des §648a BGB zu ziehen?

Eine gesetzliche Vorschrift, die den Interessenausgleich zwischen Besteller und Unternehmer nach der Auslegung der herrschenden Meinung in der geschilderten Weise kraß vernachlässigt, kann und muß restriktiv ausgelegt werden. Folgende Auslegungsgrundsätze zu §648a BGB scheinen mir zur Verwirklichung eines angemessenen Interessenausgleichs im Rahmen des §648a BGB nach den täglichen Erfahrungen in der Baurechtspraxis geboten:

a) Entgegen der herrschenden Meinung und der Entscheidung des OLG Karlsruhe bezieht sich §648a BGB nicht auf Bauleistungen, die bereits erbracht aber noch nicht abgerechnet sind. Die gegenteilige Auslegung durch die herrschende Meinung, wonach zu erbringende Leistungen zum Zeitpunkt des Sicherheitsverlanges (so das Gesetz) identisch sind mit bereits erbrachten Leistungen, ist bereits mit dem Wortlaut des § 648 a Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren und stellt daher eine Auslegung contra legem dar. Sicherheit verlangt werden kann nach §648a Abs.1 Satz 1 BGB nur für die "von ihm (dem Unternehmer) zu erbringenden Vorleistungen". Zu erbringende Vorleistungen sind nach dem eindeutigen Wortlaut solche Leistungen, die zum Zeitpunkt des Verlangens noch ausstehen, also gerade noch nicht erbracht sind. Zu erbringende Leistungen sind nicht identisch mit erbrachten Leistungen. Eine gegenteilige Auffassung verstößt gegen das logische Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Der Wortlaut des § 648 a Abs. 1 Satz 1 BGB läßt lediglich die restriktive Auslegung zu: Sicherheit kann nur verlangt werden für solche Leistungen, die zum Zeitpunkt des Sicherheitsverlangens noch nicht erbracht sind.

2. §648a BGB gewährt ein Leistungsverweigerungsrecht. Im Zusammenhang mit dem Leistungsverweigerungsrecht des §320 BGB und der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach §326 BGB hat die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, daß die eigene Vertragstreue des Gläubigers Voraussetzung dafür ist, daß er die entsprechenden Rechte wahrnehmen kann . Wenn der Gläubiger vertragsuntreu ist, verstößt die Geltendmachung der Einrede des nicht erfüllten Vertrages und das Verlangen nach Schadensersatz gegen §242 BGB und ist deshalb unbeachtlich. Diese sogenannte "cleanhands"-Doktrin ist auf den Anwendungsbereich des §648a BGB zu übertragen. Das bedeutet: das Verlangen nach Stellung einer Sicherheit setzt voraus, daß der Bauhandwerker seinerseits in vollem Umfang "vertragstreu" ist. Seine vertraglichen Verpflichtungen hat er bis zum Zeitpunkt des Verlangens nur erfüllt, wenn er bisher eventuell geltende Termine und Fristen eingehalten und vorhandene Mängel nach entsprechenden Mängelrügen beseitigt hat. Ein Sicherungsverlangen nach §648a BGB durch einen vertragsuntreuen Bauhandwerker ist nach §242 BGB rechtsunwirksam. Insbesondere muß das dann gelten, wenn das Sicherheitsverlangen nach §648a BGB nach einer entsprechenden Kündigungsandrohung des Bauherren (beispielsweise wegen Fristüberschreitung oder angemahnter Mängelbeseitigung) erfolgt, um unter Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht eine bereits eingetretene vom Auftragnehmer zu vertretende Störung nachträglich zu sanktionieren.

Wenn das Sicherheitsverlangen des Bauhandwerkers nach § 648a BGB wirksam ist und nicht gegen §242 BGB verstößt (weil er nämlich vertragstreu war), sind gleichwohl auch für noch nicht zuvor gerügte Mängel die mutmaßlichen Nachbesserungskosten bzw. eine angemessene Minderung bei nicht beseitigbaren Mängeln von dem zu ermittelnden Betrag in Abzug zu bringen, weil der Sinn des § 648a BGB darin besteht, das Vorleistungsrisiko abzusichern. Dieses wird durch nachzubessernde Mängel und Minderungen reduziert.

3. § 648 a Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach Sicherheit bis zur Höhe des voraussichtlichen Vergütungsanspruchs verlangt werden kann, ist mit einem Teil der Literatur so zu interpretieren, daß die Höchstgrenze der Sicherheit nicht unbesehen verlangt werden kann . Vielmehr muß die Sicherheit nach dem im Einzelfall eintretenden Vorleistungsrisiko und damit nach billigem Ermessen nach §315 BGB durch den Bauhandwerker bestimmt werden, wobei diese Bestimmung gemäß § 315 Abs. 3 BGB nur verbindlich ist, wenn sie der Billigkeit entspricht, was gerichtlich überprüft werden kann. Die Höhe bestimmt sich nach dem höchsten aktuellen Vorleistungsrisiko des Unternehmers zum Zeitpunkt des Sicherungsverlangens begrenzt durch das tatsächliche Vorleistungsrisiko des Unternehmers (Kleine-Möller/Merl/Oelmaier, a.a.0.). Ohne daß man hier verbindliche Regelungen für sämtliche Fälle aufstellen könnte, wird man im Regelfall eines Pauschal- oder Einheitspreisvertrages mit vereinbartem und üblichem Zahlungsplan davon ausgehen können, daß dieses Vorleistungsrisiko sich auf etwa 2 ausstehende Raten nach dem Zahlungsplan beschränkt. Der Bauunternehmer, der ohne seinerseits die vertraglichen Verpflichtungen vollständig erfüllt zu haben, eine Sicherheit nach §648a BGB verlangt und nach einem solchen fruchtlosen Verlangen die Bauarbeiten einstellt oder aber eine Sicherheit verlangt, deren Höhe sich im nachhinein bei gerichtlicher Überprüfung durch das Gericht als nicht billig herausstellt (§315 Abs.3 BGB), hat seine Arbeiten - wie die nachträgliche Beurteilung ergibt - zu Unrecht eingestellt und ist damit mit der Ausführung der Bauleistungen in Verzug geraten mit allen daraus sich ergebenden Konsequenzen. Die gegenteilige Entscheidung des OLG Karlsruhe und die zustimmende Auffassung von Leinemann , wonach auch ein überhöhtes Sicherheitsverlangen die Folgen des §648 a BGB auslöst, verschieben das Risiko eines überhöhten Verlangens einseitig und ungerechtfertigt auf den Bauherren. Will der Unternehmer dieses ihn originär treffende Risiko vermeiden, muß er sich dem Bauherren über Art und Höhe einer Sicherheitsleistung nach §648a BGB durch Nachtragsvereinbarung einigen. Damit schließt er für sich das Risiko aus, bei einer ex-post-Betrachtung, die Folge eines unberechtigten Verlangens (eventuell eintretender Verzug) tragen zu müssen.

4. Es kann nicht der Sinn des §648a Abs.7 BGB sein, daß der Unternehmer ein Sicherungsverlangen stellt, der Bauherr dieses erfüllt und nach dessen Erfüllung erneut zu Sicherheitsleistungen aufgefordert und damit immer wieder unter Druck gesetzt wird. § 648 a BGB setzt nicht zwingend voraus, daß es der Unternehmer in der Hand hat, iterativ während des Bauablaufs immer wieder bis zur Erreichung der Höchstgrenze Sicherheit zu verlangen. Man kann durchaus die Auffassung vertreten, daß §648a BGB nur ein einmaliges Sicherheitsverlangen gestattet, das der Bauhandwerker im Rahmen billigen Ermessens nach §315 BGB bestimmt. Diese Bestimmung nachträglich durch weitere Sicherheitsverlangen unter Berufung auf §648a Abs.7 BGB zu unterlaufen, ist nicht der Sinn der neu eingeführten Vorschrift des §648a BGB. In jedem Fall muß es aber möglich sein, daß die Parteien sich im Streitfall über die Höhe der zu bestellenden Sicherheit durch individuelle Vereinbarung festlegen. Ein trotz einer solchen Festlegung nachträglich gestelltes weiteres Sicherheitsverlangen des Bauhandwerkers unter Berufung auf §648a Abs.7 BGB ist als Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium nach §242 BGB rechtlich nicht durchsetzbar.