BauR 8/2021, Editorial, Seite I

Rechtsberatung durch Architekten?

 Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof  Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Bei der Bauvorbereitung und Begleitung des Bauherrn ist es alltägliche Praxis, dass Architekten ihre Auftraggeber auch bei baurechtlichen Fragen begleiten und beraten. Handelt es sich dabei um erlaubte Rechtsdienstleistungen im Sinne des § 5 RDG oder verstoßen die Architekten damit gegen das grundsätzliche Verbot, Rechtsdienstleistungen nach dem RDG zu erbringen, die nur Rechtsanwälten vorbehalten sind (§§ 3, 1 RDG)?

Eine Architektin vertritt ihren Bauherren im Widerspruchsverfahren gegen eine Bauvoranfrage. Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf nimmt die Architektin auf Unterlassung in Anspruch (§ 9 RDG), es gelingt ihr im Ergebnis jedoch nicht, den Unterlassungsantrag in zulässiger Weise zu stellen. Die Kammer hat in den Instanzen Erfolg, scheitert jedoch beim BGH, weil der Unterlassungsanspruch nicht hinreichend bestimmt formuliert war.

Im Ergebnis wird jedoch materiell-rechtlich der Rechtsanwaltskammer Recht gegeben: Die Tätigkeit der Architektin im Widerspruchsverfahren ist keine zulässige Nebenleistung i.S.d. § 5 Abs. 1 RDG, sondern die Architektin verstößt mit ihrer Tätigkeit im Widerspruchsverfahren gegen das Verbot, Rechtsdienstleistungen zu erbringen (§ 1 Abs. 3 RDG; vgl. BGH, Urt. v. 11.02.2021 – I ZR 227/19, Urteil vom 11.02.2021 mit Anm. Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 7/2021, Anm. 1).

Ergebnis also: Der Architekt darf seinen Auftraggeber baurechtlich nicht beraten oder vertreten.

Umgekehrt: Die Rechtsprechung hat schon frühzeitig analog der Sekundärhaftung des Anwalts eine Sekundärhaftung des Architekten entwickelt. Früher verjährten Ansprüche gegen den Anwalt bekanntlich kenntnisunabhängig in drei Jahren (§ 51b BRAO a.F.). Um den Bauherren nicht schutzlos zu lassen, hatte die Rechtsprechung eine Sekundärhaftung entwickelt: Danach muss der Anwalt und nunmehr auch der Architekt über gegen die gegen ihn selbst gerichtete Verjährung belehren, um den Bauherren vor einer kenntnisunabhängigen kurzen Verjährung zu schützen. Damit wurde eine Verlängerung der Haftung durch die Rechtsprechung eingeführt.

Das mag nach dem alten Recht vor der Schuldrechtsmodernisierung noch nachvollziehbar gewesen sein. Nach neuem Recht setzt die Verjährung jedoch subjektive Tatbestände voraus (§ 199 Abs. 1 Ziff. 2 BGB).

Diese Sekundärhaftung des Architekten haben Rechtsprechung und Literatur dennoch über die Schwelle des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hinweg geschleppt (BGH, Urt. v. 28.01.2016 – VII ZR 266/14, OLG Stuttgart, Urt. v. 28.12.2018 – 10 U 113/18, BauR 2020, 138): Noch immer geht man davon aus, dass der Architekt einer Sekundärhaftung unterliegt (kritisch Reinelt/Pasker, BauR 2010, 983): Er muss nach wie vor über die gegen ihn selbst gerichtete Verjährung bei Meidung einer Verlängerung der Haftung informieren und belehren.

Warum? Weil man zunächst im Wege der Rechtschöpfung Schlagworte formuliert, hier: „Der Architekt ist Sachwalter des Bauherren“ (OLG Celle, Urteil vom 25.09.2014 – 5 O 75/12; Tschäpe, ZfBR 2015, 315) und aus solchen Schlagworten rechtliche Folgen, hier eine umfassende Rechtsberatungspflicht des Architekten entwickelt, ein Vorgang, den Bernd Rüthers als „Inversion“ bezeichnet hat: Man erfindet rechtliche Termini und zieht aus diesen rechtliche Folgerungen (vgl. „Nutzen und Schaden von Schlagworten“, Reinelt, BauR 8, 2012, Seite V editorial). Ob das eine sinnvolle Methode der Rechtsfindung ist, sei dahingestellt.

Ergebnis: Der Architekt als Sachwalter muss seinen Auftraggeber über gegen ihn – den Architekten – gerichtete Ansprüche rechtlich beraten.

Das unstimmige Ergebnis der divergenten Betrachtungsweisen:

Der Architekt darf zwar rechtlich nicht beraten, er muss es aber.

Solche Unstimmigkeiten, die gegen den logischen Grundsatz vom ausgeschlossenen Widerspruch verstoßen, dürfen nach meiner Überzeugung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keinen Bestand haben.