jurisPR-BGHZivilR 14/2020 Anm. 1

Darlegungs- und Beweislast bei Aufstockungsansprüchen von Architekten und Ingenieuren auf Mindestsätze nach § 7 HOAI
BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 14.05.2020 - VII ZR 205/19
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Verlangt der Architekt oder Ingenieur ein nach den Mindestsätzen berechnetes Honorar, obliegt es ihm, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass er mit den von ihm nach den Mindestsätzen abgerechneten Leistungen beauftragt worden ist (Fortführung von BGH, Urt. v. 04.10.1979 - VII ZR 319/78 - BauR 1980, 84).


A.Problemstellung
Wer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Architektenleistungen in einem solchen Umfang übertragen sind, dass die Geltendmachung der Mindestsätze gerechtfertigt ist?

In welchem Umfang ist der Architekt/Ingenieur trotz Unterschreitung der Mindestsätze in seiner Abrechnung an diese nach § 242 BGB gebunden?

Gelten die Mindestsätze auch nach der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 04.07.2019 - C-377/17) über deren Unwirksamkeit noch im Verhältnis zwischen Parteien unmittelbar (horizontale Direktwirkung)?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, ein gemeinnütziges Unternehmen für die Entwicklung des ländlichen Raums, macht gegen den Auftraggeber Honorarnachforderungen aus mehreren Verträgen über die Erbringung von Architekten- und Ingenieurleistungen geltend. Zugrunde lagen die Konzeption und die Errichtung einer Biogasanlage, für die ein Pauschalhonorar vereinbart war. Die klagende Ingenieurfirma hatte sowohl die Verträge vorbereitet als auch im großen Umfang entsprechende Projekte im Zuge der Energiewende in Niedersachsen verwirklicht. Sie rechnete nach Abschluss des Bauvorhabens ihre Leistungen mit einem Betrag von rund 75.000 Euro ab, den die Auftraggeberin bezahlte. Erst Jahre später verlangte die klagende Ingenieurfirma eine Nachzahlung in Höhe des über fünffachen Betrags unter Berufung auf die Mindestsatzregelung in § 7 HOAI (Fassung 2009).

Die Klage blieb in den Tatsacheninstanzen erfolglos. Das Berufungsgericht (OLG Celle, Urt. v. 14.08.2019 - 14 U 198/18 - BauR 2019, 1957) hat die Zurückweisung der Berufung auf zwei Argumentationsschienen gestützt:

Zum einen haben die klagenden Ingenieure nicht den von ihnen zu erbringenden Beweis führen können, dass sie wegen einer unzulässigen Mindestsatzunterschreitung mehr Honorar hätten fordern können.

Zum anderen sei auch zwischen den Parteien eine Berufung auf die Fortgeltung der Mindestsätze (entgegen der konträren Auffassung des OLG Hamm, Urt. v. 23.07.2019 - I-21 U 24/18 - BauR 2019, 1810 = NJW 2020, 247) nicht mehr zulässig, eine Nachforderung sei auch nach § 242 BGB ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14.08.2019 die Revision zugelassen angesichts der konträren Auffassungen zur Weitergeltung der Mindestsätze zwischen dem OLG Celle und dem OLG Hamm.

Ebenso hatte das OLG Hamm die Revision gegen seine Entscheidung zugelassen. Beide Fälle wurden am 14.05.2020 vor dem VII. Zivilsenat des BGH öffentlich verhandelt, die Baurechtswelt hat diese Entscheidungen des BGH zur Klärung der Fragen der Weitergeltung von Mindestsätzen mit großer Spannung erwartet. Bekanntlich hatte der EuGH durch Urteil vom 04.07.2019 (C-377/17) festgestellt, dass Deutschland mit den Mindestsätzen gegen seine Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat und die Mindestsätze daher unwirksam sind. In der Folgezeit hat sich in der Rechtsprechung und Literatur eine breite Kontroverse darüber entwickelt, ob diese Entscheidung unmittelbare Wirkung auf Architekten- und Ingenieurverträge mit der Folge hat, dass sich die Aufraggeber gegenüber den Architekten/Ingenieuren jedenfalls ab dem 28.12.2009 (dem gebotenen Zeitpunkt der (unterlassenen) Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie nach deren Art. 44 Abs. 1) auf die Unwirksamkeit berufen können oder nicht (zur der Kontroverse über eine horizontale Direktwirkung insgesamt sehr aufschlussreich Fuchs, BauR 2020, 348).

Der BGH weist durch die besprochene Entscheidung die Revision gegen das Berufungsurteil des OLG Celle ab. Mit der heftig umstrittenen Frage, die Anlass der Zulassung der Revision war, nämlich ob die Mindestsätze des § 7 HOAI (2009) im Verhältnis zwischen Parteien angesichts der Rechtsprechung des EuGH vom 04.07.2019 (C-377/17 - NVwZ 2019, 1120) weiter gelten, befasst sich der Senat in der vorliegenden Entscheidung nicht. Die Zurückweisung der Revision begründet er vielmehr damit, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzung einer Unwirksamkeit einer Honorarvereinbarung wegen Verstoßes gegen das Preisrecht der HOAI nach allgemeinen Grundsätzen derjenige trägt, der hieraus günstige Rechtsfolgen ableitet, nämlich der Architekt/Ingenieur (vgl. BGH, Urt. v. 13.09.2001 - VII ZR 380/00 - BauR 2001, 1926). Diesen Nachweis habe die klagende Ingenieurfirma nicht geführt.

Wenn also der Architekt oder Ingenieur als Auftragnehmer sich auf die Unwirksamkeit einer mit dem Auftraggeber geschlossenen Honorarvereinbarung wegen Unterschreitung der in der HOAI festgelegten Mindestsätze beruft, muss er die Unterschreitung schlüssig darlegen und die dafür erforderlichen Tatsachen angeben. Er muss dann auch die Darlegung und den Beweis erbringen, dass er mit den nach den Mindestsätzen abgerechneten Leistungen beauftragt worden ist (BGH, Urt. v. 04.10.1979 - VII ZR 319/78 - BauR 1980, 84).

Die Auslegung der Verträge und damit die Feststellung des Umfangs der erbrachten Leistungen sind Aufgabe des Tatrichters. Wie immer sind bei der Auslegung sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der konkret beauftragte Leistungsumfang muss festgestellt werden.

Die Architekten/Ingenieure hatten sich mit dem Einwand der Bauherrenseite auseinanderzusetzen, es seien nur Teilleistungen aus den jeweils vertragsgegenständlichen Leistungsphasen beauftragt worden. Ein Großteil der Planungsleistungen sei von einem Generalunternehmer erbracht worden.
Die Architekten/Ingenieure haben dieses Argument mit der Begründung zu widerlegen versucht, sie seien auch, wenn nur Teilleistungen aus den einzelnen Leistungsphasen ausgeführt werden, als Architekten/Ingenieure jeweils für alle Leistungsphasen verantwortlich. Deshalb seien die Honorare für sämtliche Leistungsphasen in vollem Umfang geschuldet, gleichgültig ob diese Leistungsphasen vollständig oder teilweise erbracht worden seien.

Diesen Einwendungen folgt der BGH nicht. Für die übertragenen Leistungen darf nur ein Honorar berechnet und vereinbart werden, das dem Anteil der übertragenen Leistungen an der gesamten Leistungsphase entspricht. In solchen Fällen ist das Honorar daher nach § 8 Abs. 2 HOAI (2009) zu reduzieren (vgl. BGH, Urt. v. 11.12.2008 - VII ZR 235/06 Rn. 10 - BauR 2009, 521). Die Auslegung des Tatrichters, wonach die vollständige Leistung deshalb nicht geschuldet, sondern zu kürzen sei, hat der BGH nicht beanstandet.

C. Kontext der Entscheidung
Wenn – wie hier – davon auszugehen ist, dass die klagende Ingenieurgesellschaft planerisch nicht allein tätig gewesen ist, sondern große Teile von der Generalunternehmerin und anderen Planern erbracht worden sind, muss es Abzüge in Bezug auf die nicht erbrachten Teilleistungen geben (§ 8 Abs. 2 HOAI). Deshalb haben die Instanzgerichte mit Recht ausgeführt, dass eine substantiierte Abgrenzung von Planungsleistungen anderer und den eigenen Leistungen erforderlich ist. Das volle Honorar kann nur verlangt werden, wenn alle Leistungen vollständig erbracht sind. § 8 Abs. 2 HOAI (2009) regelt:

„Werden nicht alle Leistungen einer Leistungsphase übertragen, so darf für die übertragene Leistung nur ein Honorar berechnet und vereinbart werden das dem Anteil der übertragenen Leistungen an der gesamten Leistungsphase entspricht …“

Zutreffend hatte hier das Berufungsgericht auch die Entscheidung des Erstgerichts zur Substantiierungs- und Beweislast bestätigt. Der Auftragnehmer, der den angeblich höheren Mindestsatz gegenüber der vereinbarten Pauschalvergütung verlangt, ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Mindestsätze unterschritten worden sind. Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Frage, wer die Beweislast dafür trägt, dass eine Pauschalvereinbarung getroffen worden ist, die unterhalb der Mindestsätze liegt, also um die Ermittlung des Inhalts der Abrede (hierzu BGH, Urt. v. 25.07.2002 - VII ZR 143/01).

Hier war nicht umstritten, dass die Abrechnungen – vollständige Erbringung der Leistungsphasen vorausgesetzt – nicht den Mindestsätzen entsprachen. Es ging also nicht um die Beweislast für den Abschluss von Pauschalvereinbarungen, sondern um die Frage der Darlegungs- und Beweislast dafür, ob die Architekten/Ingenieure angesichts geschlossener Pauschalverträge noch einen Aufstockungsanspruch unter Berufung auf die Mindestsätze beanspruchen können. Wenn die Architekten/Ingenieure solche Aufstockungsansprüche geltend machen, sich also auf die Mindestsätze als Begründung für Mehrvergütung berufen, sind sie dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass die Abrechnungen für die erbrachten Leistungen unter den Mindestsätzen liegen. Das ist durchaus etwas anderes als die umstrittene Frage, wer für den Abschluss einer Pauschalvereinbarung darlegungs- und beweispflichtig ist. Mit Recht hat daher der VII. Zivilsenat die Berufungsentscheidung in diesem Punkt bestätigt.

Das OLG Celle hatte die Revision für die Frage zugelassen, ob die Mindestsätze nach wie vor zwischen den Parteien angewendet werden dürfen. Diese Frage war jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn die Argumentationsschiene, die Klägerin habe ihren Leistungsumfang nicht schlüssig dargelegt, hat das Berufungsurteil selbstständig getragen.

D. Auswirkungen für die Praxis
Wie der Senat bestätigt, ist die – ggf. auch ergänzende – Vertragsauslegung Angelegenheit des Tatrichters. Die Auslegung kann revisionsrechtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob revisionsrechtlich beachtliche Gerichtspunkte vernachlässigt worden sind. Das hat der Senat sorgfältig geprüft und überzeugend verneint (Rn. 20 ff. des Besprechungsurteils).

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Aus der Sicht des VII. Zivilsenats kam es auf die weiteren zwischen den Parteien heftig umstrittenen Fragen nicht an, nämlich einmal auf die Bindung an die Schlussrechnung nach § 242 BGB und zum anderen auf die Frage, ob die Mindestsätze auch im Verhältnis unter Privaten noch Gültigkeit besitzen oder nicht (horizontale Direktwirkung). Erstaunlicherweise hat das OLG Celle die von ihm verneinte Frage der Fortgeltung der Mindestsätze im Verhältnis zwischen den Parteien als einen Aspekt des § 242 BGB gegen das Begehren der Aufstockung auf die Mindestsätze behandelt, nicht als eigenen Entscheidungsgrund. Die Frage der Bindung der Architekten an die Schlussrechnung nach § 242 BGB stellte sich jedoch im vorliegenden Fall ganz unabhängig von der Frage der Fortgeltung der Mindestsätze. Denn:

Wie das Berufungsurteil ergibt, handelte es sich im vorliegenden Fall um einen besonders krassen Fall des § 242 BGB. Das Berufungsgericht hatte deshalb zu Recht die Bindung der Klägerin an die ursprünglichen Schlussrechnungen bejaht. Dafür waren folgende Gründe maßgebend:

  • Die Parteien hatten auf der Basis von Vertragsformularen, die die Architekten/Ingenieure selbst entwickelt hatten, den Eindruck erweckt, diese kennen sich mit der HOAI aus.
  • Die Klägerin war eine halbstaatliche Gesellschaft, nämlich ein gemeinnütziges Unternehmen für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ihre Firma enthielt das Wort „niedersächsisch“.
  • Im Briefkopf war ein Minister als Vorsitzender des Aufsichtsrats benannt.
  • Die Klägerin vermittelte insgesamt in besonderem Maße den Anschein von Seriosität und Verlässlichkeit.
  • Es gab vielfältige Geschäftsbeziehungen der Parteien, die Honorare im unteren Preissegment der HOAI waren nicht fernliegend. Es ging im vorliegenden Fall um Pilotprojekte für die Errichtung von Biogasanlagen im Zusammenhang mit der (auch) in Niedersachsen verfolgten Energiewende.
  • Die Nachforderung betrug ein Vielfaches der auf Veranlassung der Architekten geschlossenen Pauschalvereinbarungen.

Wäre es aus der Sicht des BGH für die Entscheidung über die Revision noch auf diese Fragen angekommen, hätte die Bindung an die Schlussrechnung nach § 242 BGB unabhängig von der Frage der Fortgeltung der Mindestsätze bejaht werden müssen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats verfolgten Erleichterung für die Loslösung von einer ursprünglichen Schlussabrechnung der Architekten/Ingenieure mit Rücksicht auf die Mindestsätze.

Bis Mitte der Neunzigerjahre war es selbstverständlich: Der Architekt ist an seine Schlussrechnung gebunden. Erst beginnend mit einer Entscheidung des Senats vom 05.11.1992 (VII ZR 52/91 - NJW 1993, 659) hat sich eine Rechtsprechung entwickelt, die diese Bindung bei Berufung auf die Mindestsätze stark gelockert hat (vgl. auch BGH, Urt. v. 22.05.1997 - VII ZR 290/95 - BGHZ 136, 1).

Diese neue Rechtsprechung des Senats enthielt zwar auch Einschränkungen der Lösungsmöglichkeit von der Schlussrechnung mit Berufung auf die Mindestätze nach § 242 BGB (BGH, Urt. v. 27.10.2011 - VII ZR 163/10 - NJW 2012, 848; BGH, Urt. v. 19.11.2015 - VII ZR 151/13). Allerdings hat die neuere Rechtsprechung in diesem Zusammenhang nur sehr beschränkt dem Auftraggeber die Berufung auf § 242 BGB gestattet. Jedoch: Auch nach der erneuerten Rechtsprechung darf der Architekt oder Ingenieur sich nicht auf Mindestsätze berufen, wenn er durch sein Verhalten ein besonderes Vertrauen des Auftraggebers erweckt hat, er werde sich an eine Pauschalvereinbarung halten und der Bauherr in diesem Vertrauen entsprechende Dispositionen getroffen hat. In einem solchen Fall ist bei Unzumutbarkeit die nachträgliche Geltendmachung des Mindesthonorars treuwidrig (OLG Jena, Urt. v. 10.10.2016 - 1 U 509/15). Die nachträgliche Geltendmachung eines um das Fünffache erhöhten Honorars mit Berufung auf die Mindestsätze führt bereits für sich genommen zu einer Unzumutbarkeit der Nachforderung (OLG Köln, Urt. v. 12.12.2006 - 3 U 191/05 - NJW-RR 2007, 455: Unzumutbarkeit einer Nachforderung, wenn ein Differenzbetrag zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen ca. 60% des vereinbarten Honorars ausmacht). Es darf nicht verkannt werden: Die bequeme von der geänderten Rechtsprechung gestützte Situation mit den Mindesthonoraren ist häufig von Architekten missbraucht worden, um Bauherren auf das Glatteis günstiger Festpreisvereinbarungen zu locken, um dann hinterher mit der Keule der Mindestsätze zuzuschlagen. Eine etwas großzügigere Anwendung des § 242 BGB durch die höchstrichterliche Rechtsprechung und eine engere Bindung an die Schlussabrechnung der Architekten/Ingenieure wäre – unabhängig von der Weitergeltung der Mindestsätze – durchaus angebracht.

Die Frage der Geltung der Mindestsätze im Verhältnis zwischen Parteien (horizontale Direktwirkung) musste vom Senat hier nicht entschieden werden. Sie ist jedoch Gegenstand des gleichzeitig am 14.10.2015 vor dem VII. Zivilsenat verhandelten Falles des OLG Hamm (BGH-Az.: VII ZR 174/19; OLG Hamm, Urt. v. 23.07.2019 - I-21 U 24/18). Hier hat der Senat erneut den EuGH zur Frage der Geltung der horizontalen Direktwirkung der Mindestsätze der Rechtsprechung des EuGH angerufen. In seiner Entscheidung hierzu hat der VII. Zivilsenat allerdings angedeutet, dass er eher der Entscheidung des OLG Hamm als derjenigen des OLG Celle folgen und die horizontale Direktwirkung der EuGH-Entscheidung verneinen würde.