ZAP Kolumne 2014, Seite 483

ZAP Kolumne

Der Anwalt zwischen Weisungsgebundenheit und Unabhängigkeit
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Im Anwaltsblatt 2014, 301 geht STEMPFLE kritisch ins Gericht mit einem Beschluss des V. Senats des BGH v. 13. 9. 2013 (V ZR 136/13, Anwaltsblatt 2013, 826). Der BGH hat dort die Mandatsniederlegung einer BGH-Anwältin gebilligt, die das Verlangen eines Mandanten auf Ergänzung eines Schriftsatzes zum BGH mit einem bestimmten Inhalt abgelehnt hatte. Die Aussage des BGH: Eine Partei hat keinen Anspruch darauf, dass ein beim BGH zugelassener Rechtsanwalt Schriftsätze nach ihren Vorgaben fertigt.

STEMPFLE kommt in seinem Aufsatz mit dem (polemischen) Titel "Wem dient der BGH-Anwalt? Den Mandanten, dem BGH oder sich selbst?" zu dem Ergebnis: Änderungswünsche eines Mandanten an Schriftsatzentwürfe seien in gleicher Weise zu berücksichtigen wie beim Instanzanwalt. Ein Unterschied in der Behandlung der BGH-Anwälte und Instanzanwälte sei nicht erkennbar, der Beschluss deshalb unhaltbar.

STEMPFLE schreibt (S. 303): "Die einseitige Interessenwahrnehmung ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht des Anwalts. Der Anwalt hat selbstverständlich Weisungen seines Mandanten hinsichtlich der Prozessführung entgegenzunehmen, zu prüfen und – sofern nicht zwingend rechtliche Gründe entgegenstehen – entsprechend umzusetzen. Dazu zählen natürlich auch Wünsche des Mandanten an den schriftsätzlichen Vortrag".

Richtig ist: Der Mandant entscheidet, wie seine Rechte verfolgt werden (etwa zunächst im Wege von Verhandlungen oder durch Klage). Die Weisungsgebundenheit des Anwalts hat aber Grenzen: Die Auffassung von STEMPFLE, der BGH-Anwalt müsse schreiben was (und wie?) der Mandant es verlangt, lässt sich weder in Bezug auf Instanzanwälte noch gar auf BGH-Anwälte aufrechterhalten. Diese apodiktische Aussage ist jedenfalls in ihrer Allgemeinheit falsch. Der postulationsfähige Anwalt ist und bleibt für den Inhalt seines unterzeichneten Schriftsatzes verantwortlich. Niemand kann ihn zwingen, etwa "auf besonderen Wunsch des Mandanten...." in durchsichtig vorsichtiger Distanzierung Schriftsätze oder Teile davon zu verfassen, die er selber für unzutreffend hält. Zwar deutet die für den Anwaltsvertrag maßgebliche Geschäftsbesorgungsregelung der § 675 i. V. m. §§ 662, 665 BGB grundsätzlich auf eine Weisungsbefugnis des Auftraggebers hin.

Aber die Regelung der BRAO (§ 1 Abs. 1: " Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege" und § 3 Abs. 1 "Der Rechtsanwalt ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten") modifiziert diese Abhängigkeit deutlich. Sie konstatiert die Unabhängigkeit des Anwalts, die auch für die Abfassung seiner Schriftsätze von Bedeutung ist. STEMPFLE ignoriert das vollständig und plädiert unter Ausblendung der gesetzlichen Vorschriften unverständlicherweise für eine unbeschränkte Weisungsbefugnis des Mandanten.

Der Mandant kann möglicherweise in tatsächlicher Hinsicht beim Instanzanwalt Unvollständigkeiten ergänzen lassen, jedoch in Bezug auf den rechtlichen Vortrag schon von vornherein keine verbindlichen Weisungen erteilen, die der Rechtsauffassung des Anwalts entgegenstehen. Er kann den Anwalt nicht zwingen, rechtliche Ausführungen zu machen, die dieser für unzutreffend hält. Rechtliche Prüfung und der darauf bezogene Vortrag sind originäre Aufgabe des Instanzanwalts wie des BGH-Anwalts. Dabei unterscheidet sich die Tätigkeit des BGH-Anwalts von derjenigen des Instanzanwalt dadurch, dass in der letzten Instanz ausschließlich Rechtsausführungen auf der Basis des bereits früher festgestellten Sachvortrags möglich sind. Wie soll der Mandant (wenn er nicht ausnahmsweise rechtskundig ist) sinnvolle Weisungen für den rechtlichen Vortrag geben, an die der BGH-Anwalt gebunden ist? Deshalb geht die scharfe Kritik von STEMPFLE an der zutreffenden Entscheidung des V. Senats aus meiner Sicht vollständig an der Sache vorbei. Vielleicht glaubt STEMPFLE auch nicht ganz an seine eigenen Thesen. Denn zumindest beiläufig unterbreitet er den Vorschlag: "in die Mandatsvereinbarung mit einem BGH-Anwalt gesondert aufzunehmen, was selbstverständlich ist: Nämlich dass Wünsche des Mandanten an die Prozessführung des BGH-Anwalts zu berücksichtigen sind." Diese These stimmt jedenfalls nicht, soweit es um die Gestaltung des einzelnen Schriftsatzes geht. Dass kein BGH-Anwalt eine derart lebensfremde Mandatsvereinbarung schließen würde, die ihm Inhalt und Fassung eines Schriftsatzes aufzwingt, liegt auf der Hand.

Weisungen des Mandanten in Bezug auf die schriftsätzliche Gestaltung vor dem BGH beachten zu müssen, wäre in der Tat für den BGH-Anwalt nicht zumutbar. Der BGH entscheidet bekanntlich nur über Rechtsfragen. Bei der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde oder Revision muss der BGH-Anwalt nach § 559 ZPO (mit ganz wenigen Ausnahmen für die Berücksichtigung neuer Tatsachen) von dem Parteivorbringen ausgehen, das aus dem Berufungsurteil und dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Weiterer und insbesondere neuer Sachvortrag ist grundsätzlich ausgeschlossen. Der BGH entscheidet demgemäß ausschließlich auf der Basis des bisher festgestellten Sachverhalts über die in der Begründung thematisierten Rechtsfragen.

Die Petita der Mandanten zur Ergänzung von Schriftsätzen von BGH-Anwälten betreffen in nahezu 100 % der Fälle nach unserer Erfahrung einen Wunsch nach Ergänzung oder "Richtigstellung" von Sachverhalten. Das ist im Revisionsverfahren unzulässig und spielt für die Entscheidung des BGH keine Rolle. Es ist weder für den BGH-Anwalt noch für das Gericht zumutbar, mit rechtlich irrelevanten Forderungen auf ergänzenden Sachvortrag überschwemmt zu werden. Allenfalls der Instanzanwalt gibt gelegentlich rechtliche Anregungen, die der BGH-Anwalt überdenken kann. Hält er sie für rechtlich relevant, wird er sie einfügen, ansonsten nicht. Aber Ergänzungswünsche des Mandanten in tatsächlicher Hinsicht kann und braucht er nicht zu beachten.

Angesichts der erheblichen Arbeitsbelastung des BGH – der ausgeschiedene Präsident hatte in der Neujahrsansprache vor einem totalen Kollaps der zwölf Senate angesichts immenser Arbeitsüberlastung gewarnt – dient es weder dem Interesse der Rechtspflege noch dem Mandanten, neuen oder ergänzenden und damit völlig überflüssigen Sachvortrag in die Revisionsinstanz zu bringen. Zur Beurteilung der Rechtsfragen ist der Mandant (anders als im bestimmten Umfang der Instanzanwalt) ohnehin nicht in der Lage.

Vor diesem Hintergrund ist die von STEMPFLE konstruierte "Klarstellung, dass Änderungswünsche eines Mandanten beim Schriftsatzentwurf grundsätzlich zu berücksichtigen sind", im Mandatsverhältnis zum BGH-Anwalt insgesamt verfehlt. Natürlich hat der BGH-Anwalt wie jeder Anwalt dem Interesse des Mandanten zu dienen, dies jedoch in seiner Eigenschaft als "unabhängiges" Organ der Rechtspflege nach § 1 BRAO, als der berufene "unabhängige Vertreter" und unter Berücksichtigung der unabdingbaren Filterfunktion (hierzu REINELT ZAP 2009, F. 4, S. 805: Entwicklungen im anwaltlichen Berufsrecht und Singularzulassung beim BGH) nur insoweit, als die notwendigen rechtlichen Auseinandersetzungen auf der Basis des festgestellten Sachverhalts vollständig dargestellt werden müssen. Wie das zu geschehen hat, kann letztlich nur der Rechtsanwalt beim BGH, mit Sicherheit nicht der Mandant und der Instanzanwalt auch nur eingeschränkt beurteilen.

Im Übrigen gelten für das Verhältnis zwischen Mandanten und Instanzanwalt ähnliche Überlegungen: Auch dort muss der Anwalt keineswegs jeden Änderungswunsch des Mandanten an Schriftsatzentwürfe erfüllen. Lückenhafter Sachvortrag muss auf Weisung natürlich vervollständigt werden. Der Instanzanwalt hat aber darüber hinaus zu entscheiden, ob die vom Mandanten verlangte Ergänzung für dessen Position nützt oder schadet. Denn er übernimmt durch die Unterzeichnung des Schriftsatzes die Verantwortung für dessen Inhalt. Eine uneingeschränkte Weisungsgebundenheit aus dem Geschäftsbesorgungsverhältnis (§ 675 i. V. m. § 665 ff.) ist mit der Stellung des Anwalts als "unabhängiges" Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und als der "berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten" (§ 3 BRAO) nicht zu vereinbaren. Die Verantwortung für den Inhalt der Schriftsätze liegt nicht nur haftungsrechtlich, sondern auch von der Gestaltungsbefugnis ausschließlich beim anwaltlichen Vertreter.

Besteht der Mandant unabdingbar auf der Weitergabe seiner Ausführungen, seien sie sachgerecht oder nicht, und hält der Anwalt die Ausführungen für irrelevant, bleibt nur die (natürlich nicht zu Unzeit mögliche) Kündigung des Mandatsverhältnisses. Der Anwalt sollte dann (soweit nicht bereits geschehen, jedenfalls bei nahem Fristablauf) den Schriftsatz in der von ihm befürworteten Fassung einreichen, um Schaden abzuwenden, dann aber das Mandat niederlegen. Dass gerade der BGH-Anwalt, der lediglich rechtliche Ausführungen zu machen hat, das Mandat niederlegen kann, wenn der Mandant unabdingbar auf inhaltlichen Weisungen für den Schriftsatz besteht, hat der V. Senat des BGH zutreffend entschieden.