ZAP Kolumne 2013, Seite 1201

ZAP Kolumne

Anhörungsrüge bei nicht begründeten Zurückweisungsbeschlüssen des BGH – impossibilium (nulla?) obligatio
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Der BGH leidet unter einer Fülle von Anhörungsrügen bei Zurückweisungsbeschlüssen, die nur mit der nach dem Gesetz zulässigen Pauschalbegründung versehen sind (§ 544 Abs. 4 S. 2, Abs. 2 ZPO). Vielleicht entsteht auch eine gewisse Verärgerung gegen die Rechtsanwälte, die solche Anhörungsrügen einreichen. Dabei ist der Rechtsanwalt nach dem sichersten Weg, den er den Mandanten schuldet, zur Einreichung solcher Anhörungsrügen verpflichtet.

Zur crux mit der Anhörungsrüge hat der BGH am 15. 8. 2013 – I ZR 119/12 gerade wieder – unter Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung – eine symptomatische Entscheidung getroffen: Eine Anhörungsrüge wurde als unzulässig zurückgewiesen. Die Ausführungen der Klägerin genügten nach Auffassung des Senats nicht den Anforderungen an die Darlegung eines eigenen Gehörsverstoßes durch den Senat.

Wie in fast allen Fällen hatte der Senat die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht begründet, sondern sich in zulässiger, wenngleich für die Parteien immer unbefriedigender Weise auf die im Gesetz vorgesehene Pauschalbegründung nach § 544 Abs. 4 S. 2, Abs. 2 ZPO zurückgezogen, die die Erwägungen für die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht erkennen lässt. Um sich den Weg zur Verfassungsbeschwerde offen zu halten, muss die Partei – jedenfalls wenn sie den sichersten Weg gehen will – auch gegen solche Beschlüsse, die keine Begründung enthalten, Anhörungsrüge einlegen. Andernfalls läuft sie nach der Rechtsprechung des BVerfG Gefahr, dass der Rechtsweg nicht erschöpft wurde und die Verfassungsbeschwerde deshalb unzulässig ist (BVerfG, Beschl. v. 8. 12. 2010 – 1 BvR 1382/10, NJW 2011, 1497). Denn das BVerfG hält eine Anhörungsrüge nur in solchen Fällen für überflüssig, in denen sie „evident“ unzulässig wäre. Aber wer weiß schon im Vorhinein, wie das Verfassungsgericht (meistens durch die vorentscheidende, mit drei Richtern besetzte Kammer) die Frage der Evidenz beurteilen wird (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 20. 5. 2013 – 1 BvR 1024/12; Nichtannahmebeschl. v. 17. 1. 2013 – 1 BvR 1578/12). Der sicherste Weg für den Anwalt bedeutet also: Einlegung der Anhörungsrüge.

Nach der ständigen, vom BVerfG gebilligten Rechtsprechung des BGH ist aber eine Anhörungsrüge nur dann zulässig, wenn eine eigenständige, neue, vom BGH zu verantwortende Verletzung rechtlichen Gehörs dargelegt wird (BGH, Beschl. v. 13. 12. 2007 – I ZR 47/06, BVerfGE, 107, 395, 410, NJW 2003, 1924, NJW 2008, 2126, 2127; BVerfG, Beschl. v. 5. 5. 2008 – 1 BvR 562/08, NJW 2008, 2635, 2636).

Wie der I. Senat in der eingangs erwähnten Entscheidung ausführt, muss sich eine Anhörungsrüge mit eigener Gehörsverletzung durch den BGH auseinandersetzen und in diesem Zusammenhang die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG darlegen. Die schlichte Behauptung einer Gehörsverletzung ist nicht ausreichend. Vielmehr ist erforderlich, Umstände vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass der BGH bei seiner Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers übergangen haben muss (BGH, Beschl. v. 19. 3. 2009 – V ZR 142/08, NJW 2009, 1609, Rn. 6 ff. m. w. N.).

Ein solcher Vortrag (von einer eigenständigen Gehörsverletzung durch den BGH) ist bei einer nicht begründeten Nichtzulassungsbeschwerde schlechterdings unmöglich. Wie soll hier konkret eine eigenständige Gehörsverletzung belegt werden, wenn die Entscheidung nicht begründet ist? Die Rechtsprechung des BGH stellt unerfüllbare Anforderungen.

Ständiger Rechtsprechung des BGH zufolge dürfen aber andererseits Anforderungen an die Darlegung grundsätzlich nicht überspannt oder unzumutbar erschwert werden (vgl. statt vieler BGH, Beschl. v. 21. 11. 2011 – NotZ (Brfg) 6/11, NJW-RR 2012, 121; BGH, Urt. v. 6. 12. 2012 – III ZR 66/12, NJW-RR 2013, 296).

Nach der Rechtsprechung des BGH erfordert § 321a Abs. 2 S. 5 ZPO eine eigenständige Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung. Eine Wiederholung der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in der Anhörungsrüge erfüllt auch dann nicht die Voraussetzungen für die Darlegung der Gehörsverletzung durch das Revisionsgericht, wenn sie damit begründet wird, dass der angegriffene Beschluss über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde keine Begründung enthält (BGH, Beschl. v. 19. 3. 2009 – V ZR 142/08, NJW 2009, 1609). In dieser Entscheidung stellt der BGH die erstaunliche These auf, dass die Anforderungen an die Gewährung von Rechtsschutz auch in diesen Fällen das Darlegungserfordernis nicht überspannt. Dem Beschwerdeführer werde nur auferlegt, die eigene Rechtsansicht aufgrund der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde nochmals zu prüfen und in der Anhörungsrüge aufzuzeigen, dass die Entscheidung des Revisionsgerichts auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht.

Wenn der BGH aber einerseits der Auffassung ist, dass es nicht genügt, die bisherige Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu wiederholen, um die Anhörungsrüge zulässig zu machen, andererseits aber verlangt, dass in der Anhörungsrüge aufgezeigt werden müsse, die Entscheidung beruhe auf einer (eigenständigen) Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den BGH, werden unerfüllbare Anforderungen gestellt: impossibilium obligatio! Das steht im Widerspruch zur sonstigen Rechtsprechung des höchsten Zivilgerichts, dass keine überzogenen Ansprüche an die Darlegung einer Partei gestellt werden dürfen (ständige Rechtsprechung d. BGH, Urt. v. 28. 7. 2011 – VII ZR 223/10; BGH, Urt. v. 14. 1. 1999 – VII ZR 277/97, BGHZ 140, 263, 266 ff., Urt. v. 11. 2. 1999 – VII ZR 399/97, BGHZ 140, 365, 368 ff.). Das Postulat erfüllbarer Darlegungen gilt nicht nur für die Instanzgerichte, sondern natürlich für den BGH selber auch. Mit seiner Rechtsprechung zu den Darlegungserfordernissen der Verletzung rechtlichen Gehörs bei nicht begründeten Zurückweisungsbeschlüssen setzt sich der BGH in Widerspruch zu seinen Vorgaben, keine unerfüllbaren Darlegungsanforderungen zu stellen.

Ergebnis also: Während die höchstrichterliche Rechtsprechung sich grundsätzlich darüber einig ist, dass unerfüllbare Darlegungsanforderungen verfassungsrechtlich unzulässig sind, macht sie genau solche Voraussetzungen entgegen der eigenen Rechtsprechung zur Voraussetzung der Statthaftigkeit und Zulässigkeit der Anhörungsrüge. Die Folge: Unendlich häufig werden überflüssige, nach der Rechtsprechung des BGH unzulässige Anhörungsrügen erhoben, die die Gerichte zusätzlich beschäftigen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind und den BGH unter Umständen auch in Richtung auf die Anwälte verärgern, die (notgedrungen) für ihre Partei solche Anhörungsrügen einlegen. Es wäre zu begrüßen, wenn die Parteien und der BGH von derart von vornherein evident unzulässigen und unbegründbaren Anhörungsrügen befreit werden würden. Eine Lösung bestünde darin: Bei der Erhebung von Verfassungsbeschwerden gegen nicht begründete Zurückweisungen von Nichtzulassungsbeschwerden (§ 544 Abs. 4 S. 2, Abs. 2 S. 2 ZPO) sollten die in diesen Fällen immer und von vornherein als unzulässig erkennbaren Anhörungsrügen grundsätzlich nicht mehr für die Erschöpfung des Rechtswegs gefordert werden. Solange das BVerfG aber hierzu keine eindeutige Linie vertritt und der Betroffene nicht von vornherein einkalkulieren kann, ob seine Anhörungsrüge als evident unzulässig und deshalb überflüssig oder als vielleicht doch zulässig und deshalb für die Erschöpfung des Rechtswegs als notwendig beurteilt wird, werden sowohl der BGH als auch die beteiligten Anwälte und Parteien in diesen Fällen mit der Farce sinnloser Anhörungsrügen leben müssen.