jurisPR-BGHZivilR 18/2012 Anm. 1

Wirksamkeit der Unterschrift des Rechtsanwaltes unter einen bestimmenden Schriftsatz

Anmerkung zu BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 26.07.2012 - III ZB 70/11
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Ein Rechtsanwalt, der unter Angabe seiner Berufsbezeichnung einen bestimmenden Schriftsatz für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet, übernimmt mit seiner Unterschrift auch dann die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes, wenn vermerkt ist, dass der andere Anwalt "nach Diktat außer Haus" ist.

A. Problemstellung
Die Rechtsprechung hat sich schon mehrfach mit unleserlichen Schriftzügen am Ende von bestimmenden Schriftsätzen (Berufungsschrift, Berufungsbegründungsschrift) durch Anwälte befasst. Hindert eine unlesbare Unterschrift eines zunächst nicht identifizierbaren Anwalts, der für einen anderen unterzeichnet, die Wirksamkeit der Einlegung von Berufung oder Berufungsbegründung?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin verlangt vom Beklagten wegen behaupteter entgeltlicher Arbeitnehmerüberlassung Zahlung. Das Amtsgericht hat die Klage, die dem als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 08.04.2011 zugestellt worden ist, abgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte hat am 09.05.2011 (einem Montag) Berufung eingelegt. Innerhalb verlängerter Frist ist ein das Rechtsmittel begründender Schriftsatz per Fax bei dem Berufungsgericht eingegangen. Am Ende des Schriftsatzes findet sich maschinenschriftlich dessen Vor- und Nachname und die Berufungsbezeichnung „Rechtsanwalt“. Maschinenschriftlich ist vermerkt: „nach Diktat außer Haus“. Es folgt ein handschriftlicher Schriftzug, unter den „Rechtsanwältin“ gedruckt ist. Der Schriftzug ist nicht lesbar.

Nach entsprechendem Hinweis des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung sei nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und die Berufung deshalb unzulässig, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt: Die Berufungsbegründung wurde von einer Rechtsanwältin E.B. unterzeichnet. Das ergibt der Vergleich mit ihrer auch auf dem Personalausweis geleisteten Unterschrift, dessen Kopie beigefügt sei.

Das Berufungsgericht verwirft die Berufung als unzulässig. Zur Begründung führt es aus: Weder auf dem Fax noch auf dem Original der Berufungsbegründung sei eine ordnungsgemäße Unterschrift vorhanden. Es reiche nicht aus, dass der Schriftsatz von einem zugelassenen Anwalt unterzeichnet sei und dessen Identität nachträglich festgestellt werden könne. Weder aus der Berufungsbegründung noch aus dem sonstigen Akteninhalt ergebe sich, wer die Berufungsbegründung unterschrieben hat. Der Briefbogen zeige lediglich den Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Ein Namensstempel der Rechtsanwältin E.B. sei nicht angebracht gewesen, und ihre Identität habe sich bei Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auch sonst nicht ergeben. Dagegen legt die Klagepartei Rechtsbeschwerde ein.

Der BGH hält die Rechtsbeschwerde nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO für zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht habe die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Die Entscheidung verletze die Klägerin in ihren Verfahrensrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Sie verstoße auch gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers sei zwar nach den §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO Voraussetzung der Wirksamkeit einer rechtzeitigen Berufungsbegründung. Wird die Berufungsbegründung per Telefax übermittelt, muss die Kopiervorlage eigenhändig unterschrieben sein (BGH, Beschl. v. 23.06.2005 - V ZB 45/04 - NJW 2005, 2709).

Der Berufungsbegründungsschriftsatz ist aber mit einem individuellen, nicht nur als Handzeichen oder Paraphe anzusehenden, wenn auch nicht leserlichen handschriftlichen Schriftzug unterzeichnet. Er stammt von einer postulationsfähigen Rechtsanwältin. Zwar ist deren Identität erst nach Ablauf der Berufungsbegründung erläutert worden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – so der BGH – ist aber für die Prüfung der Identität und Postulationsfähigkeit des Unterzeichners nicht der Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist maßgebend, sondern der der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung (BGH, Beschl. v. 26.04.2012 - VII ZB 83/10 - MDR 2012, 796).

Wenn der Schriftsatz für einen anderen Rechtsanwalt unterzeichnet wird, der „nach Diktat außer Haus“ ist, wird deutlich gemacht, dass die Berufungsbegründung von diesem Rechtsanwalt erstellt, aber wegen Ortsabwesenheit nicht selbst unterschrieben werden konnte. Die Unterzeichnerin leistet damit anstelle des abwesenden Rechtsanwalts, der den Schriftsatz verfasst hat, erkennbar für diesen die Unterschrift und übernimmt als Unterbevollmächtigte in Wahrnehmung des Mandats der Klägerin die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsbegründung (BGH, Urt. v. 31.03.2003 - II ZR 192/02 - NJW 2003, 2028; BGH, Beschl. v. 05.11.1987 - V ZR 139/87 - NJW 1988, 210; BGH, Beschl. v. 27.05.1993 - III ZB 9/93 - NJW 1993, 2056). Der BGH ist deshalb der Auffassung, dass die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden durfte. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung bekräftigt die bisherige Rechtsprechung: Ein aus unleserlichen Zeichen bestehender Schriftzug, der über eine Paraphe hinausgeht, stellt jedenfalls dann eine Unterschrift i.S.d. § 130 Nr. 6 ZPO dar, wenn seine individuellen charakteristischen Merkmale die Wiedergabe eines Namens (wenn auch nicht lesbar) erkennen lassen (BGH, Beschl. v. 26.04.2012 - VII ZB 83/10 - MDR 2012, 796). Diese Entscheidung bestätigt auch, dass der Rechtsanwalt, der die Berufungsschrift für den dort bezeichneten Prozessbevollmächtigten mit dem Zusatz „i.V.“ unterzeichnet (im vorliegenden Fall „für“ den Bevollmächtigten „außer Haus“), erkennbar als Unterbevollmächtigter handelt und mit seiner Unterschrift die Verantwortung für den Inhalt des bestimmenden Schriftsatzes übernimmt.

Die Entscheidung des III. Zivilsenats geht (in Übereinstimmung mit der oben zitierten des VII. Zivilsenats) allerdings weiter als eine ältere Entscheidung des XI. Zivilsenats vom 17.11.2009 (XI ZB 6/09 - MDR 2010, 226). Diese zuletzt genannte Entscheidung stellt auf die Frage ab, ob der Verfasser aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände bei Ablauf der Frist identifizierbar ist.

Im vorliegenden Fall ist er das aus der Sicht des Gerichts nicht. Die Identifizierbarkeit steht aber aufgrund der nachträglichen Überlassung der Kopie des Personalausweises zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts fest. Der III. Zivilsenat interpretiert also – wie der VII. Zivilsenat – Identifizierbarkeit nicht aus der Sicht des entscheidenden Gerichts zum Ablauf der Frist, sondern offenbar objektiv (anders offenbar die Entscheidung des XI. Zivilsenats vom 17.11.2009 - XI ZB 6/09). Wer den Personalausweis kennt und prüft, kann natürlich die Identität des Unterzeichners vor Ablauf der Begründungsfrist feststellen. Dem Gericht war das allerdings erst nach Ablauf der Begründungsfrist möglich.

D. Auswirkungen für die Praxis
Nachdem der III. Zivilsenat dezidiert auf den Zeitpunkt der Entscheidung abstellt, wird man davon ausgehen müssen, dass es für die Sicht des entscheidenden Gerichts über die Identifizierbarkeit nur auf diesen letzteren Zeitpunkt ankommt, also etwaige Unklarheiten auch nachträglich beseitigt werden können. Diese Auffassung überzeugt. Sie lässt sich letztlich auch aus dem Gedanken der richterlichen Hinweispflicht nach § 139 ZPO herleiten. Die Situation ist vergleichbar mit derjenigen in Bezug auf die Hinweispflicht nach § 139 ZPO bei Wiedereinsetzungsanträgen (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 09.02.2010 - XI ZB 34/09, m. Anm. Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 6/2010 Anm. 2). Wenn ein Wiedereinsetzungsgesuch erkennbar unvollständig ist und es unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben enthält, hat das Gericht die Verpflichtung, nach § 139 ZPO gegebenenfalls auch nach Fristablauf entsprechende Erläuterungen oder Vervollständigungen zu verlangen (BGH, Beschl. v. 09.02.2010 - XI ZB 34/09; BGH, Beschl. v. 13.06.2007 - XII ZB 232/06 - NJW 2007, 3212; BGH, Beschl. v. 03.04.2008 - I ZB 73/07 - GRUR 2008, 837). Wenn aber in solchen Fällen sogar eine Hinweis- und Aufklärungspflicht besteht, muss erst recht eine Erläuterung über die Identität der unterzeichnenden postulationsfähigen Anwältin vor Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung beachtet werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde zum BGH nach § 574 ff. ZPO, die von einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen ist (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO), ergibt sich bei Verwerfung der Berufung als unzulässig aus § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Anders als bei der Nichtzulassungsbeschwerde kommt es hier nicht auf die Erreichung einer bestimmten Beschwer an (Nichtzulassungsbeschwerde: § 26 Nr. 8 EGZPO, Beschwer über 20.000 Euro, verlängert durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz bis zum 31.12.2014 - BGBl 2011 I, 2082).