jurisPR-BGHZivilR 7/2017 Anm. 1 Gewährleistungsrechte ohne Abnahme? BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 19.01.2017 - VII ZR 301/13 Leitsatz 2. Der Besteller kann berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Allein das Verlangen eines Vorschusses für die Beseitigung eines Mangels im Wege der Selbstvornahme genügt dafür nicht. In diesem Fall entsteht ein Abrechnungsverhältnis dagegen, wenn der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten zu wollen. A. Problemstellung B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hatte ebenfalls den Kostenvorschussanspruch bejaht und die Berufung des Beklagten mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der BGH hat nach Zulassung der Revision die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Ein Kostenvorschussanspruch könne auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht bejaht werden. Der Besteller könne Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach einer – hier nicht erfolgten – Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen (Rn. 23 ff.). Eine Abnahme sei nach den bisherigen tatrichterlichen Feststellungen auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (Rn. 43 ff.). Zwar könne der Besteller in bestimmten Fällen berechtigt sein, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrages verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (Rn. 44). Allein das Verlangen eines Vorschusses für die Beseitigung des Mangels im Weg der Selbstvornahme genüge dafür nicht (Rn. 45). Die weiteren Voraussetzungen, unter denen ein solches Vorschussverlangen ausnahmsweise doch zu einem Abrechnungs- und Abwicklungsverhältnis führt, in dessen Rahmen die Rechte aus § 634 Nr. 2 bis 4 BGB geltend gemacht werden können, seien bislang nicht festgestellt. C. Kontext der Entscheidung Nachdem der Senat die Rechtsfrage bislang ausdrücklich offengelassen hatte (Rn. 27 m.w.N.), hat er sie nun in diesem Verfahren sowie zwei weiteren Urteilen vom 19.01.2017 (VII ZR 193/15 und VII ZR 235/15) dahin entschieden, dass der Besteller Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen kann. Er erteilt damit Vorschlägen, die Mängelrechte des Bestellers an andere Merkmale als die Abnahme anzuknüpfen, unter Hinweis auf die Gesetzessystematik (Rn. 32 bis 36) eine Absage. Die Auslegung, dass dem Besteller die Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme zustehen, führe auch zu einem interessengerechten Ergebnis (Rn. 37 bis 42): Die Interessen des Bestellers seien durch die ihm vor Abnahme aufgrund des allgemeinen Leistungsstörungsrechts zustehenden Rechte angemessen gewahrt (Rn. 40 f.). Der Senat verweist auf Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB, Schadensersatz statt der Leistung nach den §§ 281, 280 BGB, Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung, §§ 280 Abs. 2, 286 BGB, Rücktritt nach § 323 BGB oder Kündigung aus wichtigem Grund entsprechend § 314 BGB (Rn. 40). Der Besteller habe hiernach die Wahl, ein faktischer Zwang zur Erklärung der Abnahme für ein objektiv nicht abnahmefähiges Werk bestehe – so der Senat – entgegen verbreiteter Meinung nicht (Rn. 42). Allerdings: kein Grundsatz ohne Ausnahme! In Anknüpfung an Senatsrechtsprechung zum früheren Recht (Rn. 44 m.w.N.) statuiert der Senat mögliche Ausnahmen zum Grundsatz, dass der Besteller berechtigt sein soll, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (Rn. 44). Voraussetzung ist, dass der Unternehmer das Werk als fertiggestellt zur Abnahme anbietet und der Besteller mit seiner Forderung gegenüber dem Unternehmer nicht mehr zu einem (Nach-)Erfüllungsanspruch zurückkehren kann. Auf mögliche Konstellationen bei Schadensersatzbegehren und Minderung weist der Senat hin (Rn. 44). Für das vor allem interessierende Selbstvornahmerecht nach den §§ 634 Nr. 2, 637 BGB, hier insbesondere – wie im Fall und in der weiteren am 19.01.2017 entschiedenen Sache VII ZR 193/15 – der Anspruch auf Vorschuss für die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten, klärt der Senat, dass das Vorschussverlangen allein nicht genügt, da der Besteller auch nach einem Kostenvorschussverlangen berechtigt bleibt, den (Nach-)Erfüllungsanspruch geltend zu machen (Rn. 45). Vielmehr muss hinzu kommen, dass der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen, also endgültig und ernsthaft eine (Nach-)Erfüllung durch ihn ablehnt, selbst für den Fall, dass die Selbstvornahme nicht zu einer mangelfreien Herstellung des Werks führt. Erst in dieser Konstellation kann der Besteller nicht mehr zum (Nach-)Erfüllungsanspruch gegen den Unternehmer zurückkehren (Rn. 46). Ausnahmen mit der Folge, dass der Besteller die Rechte aus § 634 Nr. 2 bis 4 BGB geltend machen kann, gibt es damit nur, wenn – auf unterschiedlichen Wegen – die Vertragsdurchführung einen nach einer Abnahme und gescheiterter Nacherfüllung vergleichbaren Zustand erreicht, sie also das Erfüllungsstadium verlassen hat. „Mängelrechte ohne Abnahme“ gibt es daneben in einem weiteren Fall: Ist eine Abnahme nach der Natur der Sache ausgeschlossen und hat der Unternehmer die Leistung in Erfüllung seiner gesamten Verbindlichkeiten erbracht, ist das Mängelrecht der §§ 634 ff. BGB anzuwenden, wenn die Leistung mangelhaft (unvollständig) ist (BGH, Urt. v. 06.06.2013 - VII ZR 355/12 Rn. 16, 17). D. Auswirkungen für die Praxis Vor Abnahme des Werkes stehen in Bezug auf Mängel nur die Rechte aus dem Erfüllungsstadium zu, d.h. neben dem Erfüllungsanspruch (§ 631 Abs. 1 BGB) die Rechte des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, namentlich die in der Besprechungsentscheidung (Rn. 40 f.) genannten Ansprüche: Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB, Schadensersatz statt der Leistung nach den §§ 281, 280 BGB, Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung, §§ 280 Abs. 2, 286 BGB, Rücktritt nach § 323 BGB oder Kündigung aus wichtigem Grund entsprechend § 314 BGB. In der Praxis erscheint allerdings die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen neben oder statt der Leistung vor Abnahme des Werkes durchaus problematisch. Denn nur eine fällige Leistung kann in einen Schadensersatzanspruch umgewandelt werden. Vor Ablauf einer vereinbarten Fertigstellungsfrist wird dies nicht der Fall sein; den §§ 4 Abs. 7, 5 Abs. 4 VOB/B entsprechende Regelungen fehlen im BGB-Werksvertragsrecht. Erst nach der Abnahme gibt es die Rechte nach § 634 BGB:
Nacherfüllungsanspruch (§§ 634 Nr. 1, 635 BGB), Recht auf Selbstvornahme (§§ 634
Nr. 2, 637 BGB), Minderung der Vergütung oder Rücktritt vom Vertrag (§§ 634 Nr.
3, 323, 326 Abs. 5, 636, 638 BGB), Ansprüche auf Schadensersatz und Ersatz
vergeblicher Aufwendungen (§§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 283, 311a, 284 BGB). Verweigert er – berechtigt – die Abnahme, bleibt es grundsätzlich bei den Rechten aus dem Erfüllungsstadium, verlässt er jedoch mit seinem Begehren das Erfüllungsstadium, so dass er nicht mehr zu einem (Nach-)Erfüllungsanspruch zurückkehren kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergeht, kann er ausnahmsweise auch ohne Abnahme Mängelrechte nach § 634 BGB geltend machen; erklärt der Besteller – ggf. unter Mängelvorbehalt – die Abnahme, stehen ihm die Mängelrechte nach § 634 BGB zu. E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung |