jurisPR-BGHZivilR 19/2011 Anm. 2

Frachtrechtliche Haftung des Spediteurs bei Sammelladungstransport

BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 07.04.2011 - I ZR 15/10
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsatz
Die frachtrechtliche Haftung des Spediteurs/Frachtführers, der die Versendung von Transportgut im Wege einer Sammelladung veranlasst hat, endet grundsätzlich mit der Ablieferung des Gutes an den vom Sammelladungsspediteur benannten Empfänger. Das kann auch ein Empfangsspediteur sein. Die Beförderung des Gutes vom Empfangsspediteur zum Empfänger (sogenannter speditioneller Nachlauf) unterfällt nicht mehr dem Anwendungsbereich des § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 25.10.1995 - I ZR 230/93 - TranspR 1996, 118).

A. Problemstellung
§ 460 Abs. 2 Satz 1 HGB ordnet die frachtrechtliche Haftung des Sammelladungsspediteurs an. Die besprochene Entscheidung befasst sich mit der Reichweite dieser Haftung und klärt damit eine Rechtsfrage des seit 1998 geltenden speditionsrechtlichen Haftungssystems.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Versenderin beauftragte die Versicherungsnehmerin zu festen Kosten mit der Besorgung eines Transports von Digitalkameras und Speicherkarten im Wert von 124.215 Euro zu einer auf der Kanalinsel Guernsey ansässigen Empfängerin. Die Versicherungsnehmerin übertrug die Abwicklung des Transports der Beklagten, die ihrerseits die Streithelferin zu 1 mit der Durchführung der Beförderung per LKW beauftragte. Das Gut wurde zunächst im Wege eines Sammeltransports zum Lager der Streithelferin zu 1 transportiert, wo diese eine neue Sammelladung u.a. mit dem Gut zusammenstellte und diese nach Großbritannien zur Streithelferin zu 2 beförderte, bei der die Sammelladung vollständig ankam. Die Streithelferin zu 2, die mit der Weiterbeförderung an die Empfängerin beauftragt war, setzte ihrerseits ein Transportunternehmen ein, in dessen Gewahrsam die Sendung abhanden kam.

Der klagende Verkehrshaftpflichtversicherer der Versicherungsnehmerin entschädigte die Empfängerin im Wert der Sendung wegen des Verlustes und nahm die Beklagte auf Erstattung des von ihr gezahlten Ersatzbetrages sowie Bezahlung im Vorprozess angefallener Prozesskosten aus frachtrechtlicher Haftung des Sammelladungsspediteurs in Anspruch.

Das Landgericht gab der Klage überwiegend statt. Auch das Berufungsgericht bejahte die frachtrechtliche Haftung der Beklagten, erkannte der Klägerin jedoch nur einen Betrag von 2.247,50 Euro nebst Zinsen zu, weil sich die Beklagte mit Erfolg auf den Einwand der unterlassenen Anzeige des besonderen Wertes der Sendung (Nr. 3.6 ADSp i.V.m. Art. 17 Abs. 1 CMR) berufen könne.

Der BGH hat die Revision der Klägerin zugelassen, die jedoch keinen Erfolg hatte. Auf die Anschlussrevision der Streithelferin zu 1 der Beklagten wies der I. Zivilsenat die Klage vielmehr vollständig ab.

In seinem Urteil legt der BGH die tatrichterlichen Feststellungen zugrunde, dass der Beklagten ein Speditionsauftrag (§ 453 HGB) erteilt war und das abhanden gekommene Gut teilweise als Bestandteil einer Sammelladung i.S.d. § 460 Abs. 1 HGB befördert wurde. Er verneint jedoch eine Haftung der Beklagten als Frachtführer gemäß § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB i.V.m. Art. 17 Abs. 1 CMR, weil nach dem unstreitigen Sachverhalt der von ihr veranlasste Sammelladungstransport mit der Ankunft des Gutes im Lager der Streithelferin zu 1 beendet gewesen sei. Eine Haftung der Beklagten als Spediteur gemäß § 461 Abs. 1 HGB i.V.m. § 67 Abs. 1 VVG a.F. sei nicht dargetan.

C. Kontext der Entscheidung
Der Spediteur, der im Sinne einer Organisation der Beförderung verpflichtet ist, die Versendung des Gutes zu besorgen (§§ 453, 454 HGB), haftet als solcher grundsätzlich nicht für die von ihm eingesetzten Frachtführer als seine Erfüllungsgehilfen, sondern nur für deren ordentliche Auswahl, es sei denn, er hat Fixkosten vereinbart oder die Versendung im Wege der Sammelladung bewirkt mit der Rechtsfolge einer frachtrechtlichen Haftung (§§ 459, 460 HGB).

Gegenstand der vorliegenden Entscheidung war eine solche Haftung des Spediteurs als Sammelladungsspediteur. Gemäß § 460 Abs. 1 HGB ist der Spediteur berechtigt, die Versendung des Gutes zusammen mit dem Gut eines anderen Versenders und eines für seine Rechnung über eine Sammelladung geschlossenen Vertrages zu bewirken. Die Rechtsfolge der Sammelladungsspedition besteht u.a. darin, dass der Spediteur gemäß § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB hinsichtlich der Sammelladung die Rechte und Pflichten eines Frachtführers oder Verfrachters hat.

Der durch das Transportrechtsreformgesetz neu geregelte § 460 HGB entspricht mit kleineren – hier jedoch entscheidungserheblichen – Änderungen § 413 Abs. 2 HGB a.F. Danach galt, dass der Spediteur die Rechte und Pflichten eines Frachtführers hatte, wenn er die Versendung des Gutes zusammen mit den Gütern anderer Versender auf Grund eines für seine Rechnung über eine Sammelladung geschlossenen Frachtvertrags bewirkte. In seinem Urteil vom 25.10.1995 (I ZR 230/93 - TranspR 1996, 118) hatte der BGH zu dieser Bestimmung entschieden, dass die Haftung des Spediteur-Frachtführers, der die Versendung im Wege der Sammelladung bewirkt hat, grundsätzlich nicht mit der Übergabe des Gutes an den von ihm eingeschalteten Empfangsspediteur endet, sondern auch für die Zeit des sog. speditionellen Nachlaufs fortbesteht, sofern der Speditionsauftrag die Auslieferung an den Endempfänger umfasst. § 460 Abs. 1 HGB regelt nunmehr, dass der Spediteur befugt ist, die Versendung des Gutes zusammen mit Gut eines anderen Versenders aufgrund eines für seine Rechnung über eine Sammelladung geschlossenen Frachtvertrages zu bewirken. Macht der Spediteur von dieser Befugnis Gebrauch, so hat er „hinsichtlich der Beförderung in Sammelladung“ nach § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB die Rechte und Pflichten eines Frachtführers oder Verfrachters.

In der vorliegenden Entscheidung führt der BGH aus, dass § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB nach dem klaren Wortlaut die Anwendung der frachtrechtlichen Bestimmungen auf die Beförderung des Gutes „in Sammelladung“ beschränke. Der Spediteur haftet daher – so der BGH unter Bezugnahme auf die Begründung des Gesetzentwurfs – nur für den Teil der Beförderung nach Frachtrecht, auf den sich die von ihm veranlasste Beförderung in Sammelladung bezieht (vgl. BT-Drs. 13/8445, S. 112). § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB sollte gerade in dieser Beschränkung des Anwendungsbereichs „genauer als das bisherige Recht“ sein (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 13/8445). Die Sammelversendung endet aber – so die Entscheidung weiter – mit der Ablieferung des Gutes an den vom Sammelladungsspediteur benannten Empfänger. Das kann auch ein Empfangsspediteur sein. Die Beförderung des Gutes vom Empfangsspediteur zum Empfänger (sog. Nachlauf) unterfällt grundsätzlich nicht mehr dem Anwendungsbereich des § 460 Abs. 1 HGB, weil hierbei regelmäßig eine speditionelle Tätigkeit – im Allgemeinen auch ohne eine „gesammelte“ Versendung i.S.d. § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB – verrichtet wird, für die das frachtrechtliche Regelungsregime nicht geschaffen ist.

Die unter der Geltung des § 413 Abs. 2 Satz 1 HGB a.F. ergangene Rechtsprechung, nach welcher die frachtrechtliche Haftung des Sammelladungsspediteurs grundsätzlich noch nicht mit der Übergabe des Gutes an einen Empfangsspediteur endete, sondern auch für die Zeit des sog. speditionellen Nachlaufs fortbestand (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.1995 - I ZR 230/93 - TranspR 1996, 118), ist durch diese Entscheidung überholt, mit welcher der BGH nicht nur der Begründung des Gesetzentwurfs zu der „in einem wesentlichen Punkt“ geänderten Neuregelung der Sammelladungsspedition in § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB, sondern auch der überwiegenden Literatur folgt.

Im vorliegenden Fall unterlag deshalb die Beklagte beim Verlust des Gutes nicht mehr der Frachtführerhaftung gemäß § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB i.V.m. Art. 17 Abs. 1 CMR, weil unstreitig der von ihr veranlasste Sammelladungstransport mit der Ankunft des Gutes im Lager der Streithelferin zu 1 beendet war. Ein weiterer Auftrag der Beklagten an ihre Streithelferin zu 1, die streitgegenständliche Sendung im Wege eines Sammelladungstransports zur Endempfängerin weiterzubefördern, war weder festgestellt noch vorgetragen. Da das Gut unstreitig erst nach der Übergabe an die Streithelferin zu 2 verloren ging, als es sich im Gewahrsam des von dieser beauftragten Transportunternehmens befand, erfolgte der Verlust außerhalb der von der Beklagten bewirkten „Beförderung in Sammelladung“ und damit des Anwendungsbereichs des § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB und des von ihm angeordneten frachtrechtlichen Haftungsregimes.

D. Auswirkungen für die Praxis
Die vorliegende Entscheidung klärt eine durch die Neuregelung des § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB aufgeworfene Rechtsfrage zum speditionsrechtlichen Haftungssystem in ausdrücklicher Abgrenzung zur früheren BGH-Rechtsprechung. Bei einer Sammelladungsspedition ist zukünftig zu beachten, dass die frachtrechtliche Haftung beschränkt ist auf die Beförderung des Gutes „in Sammelladung“ und insbesondere den sog. Nachlauf nicht erfasst. Für solche anderen Leistungen, die der Spediteur außerhalb der Beförderung in Sammelladung erbringt, bleibt es vielmehr bei der Geltung des Speditionsrechts, soweit sich nicht aus anderen Rechtsgründen eine weiter gehende Frachtführerhaftung ergibt. Der Prozessvortrag ist hierauf einzurichten