jurisPR-BGHZivilR 12/2012 Anm. 1

Gerichtliche Ersetzung einer der Wohnungseigentümergemeinschaft vorbehaltenen Entscheidung / Unverjährbarkeit des Anspruchs auf ordnungsgemäße Verwaltung

Anmerkung zu BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 27.04.2012 - V ZR 177/11
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Der Anspruch des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung ist grundsätzlich unverjährbar.

Orientierungssatz zur Anmerkung
Eine gerichtliche Ersetzung einer der Wohnungseigentümergemeinschaft vorbehaltenen Entscheidung ist nur in Ausnahmefällen möglich.

A. Problemstellung
Zwei an sich voneinander unabhängige Problemkreise sind Gegenstand der besprochenen Entscheidung:
1. Kann eine gerichtliche Entscheidung einen Wohnungseigentümerbeschluss ersetzen?
2. Gibt es eine Verjährung des Anspruchs der Wohnungseigentümer auf ordnungsgemäße Verwaltung?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger haben die - abgetrennte - Dachgeschosswohnung, die ursprünglich mit der danebenliegenden Wohnung zu einer Einheit verbunden war, im Jahr 2005 erworben. Nach dieser Trennung verfügte nur eine der beiden Dachgeschosswohnungen über einen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erforderlichen zweiten Rettungsweg. Ein solcher für die Wohnung der Kläger existierte nicht.

Auf Veranlassung der Kläger wurde das Bauaufsichtsamt der Stadt tätig und forderte zur Abstellung des ordnungswidrigen Zustands auf. In einer Eigentümerversammlung beantragten die Kläger die Erteilung der Zustimmung zur Errichtung einer Feuertreppe durch die Gemeinschaft als zweiten Fluchtweg für ihre Wohnung nach Maßgabe von vorgelegten Architektenplänen. Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt.

Die alternative Fragestellung: „Anbringung eines zweiten Rettungsweges für die Wohnung der Kläger“ wurde der Eigentümerversammlung nicht zur Entscheidung vorgelegt.

Den ablehnenden Beschluss haben die Kläger angefochten und hilfsweise beantragt, die übrigen Miteigentümer zu verurteilen, dem Antrag auf Anbringung eines „fachgerechten zweiten Rettungswegs“ zuzustimmen.

Das Amtsgericht hat den Hauptantrag (Ablehnung der Zustimmung zur Errichtung der Feuertreppe) abgelehnt, die Wohnungseigentümer aber gemäß dem Hilfsantrag der Kläger zur Anbringung eines zweiten Rettungsweges verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.

Es hat im Tenor die Revision zugelassen. Aus der Begründung des Berufungsgerichts ergibt sich: Es ist der Auffassung, dass es höchstrichterlicher Klärung bedarf, ob der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nach § 21 Abs. 4 WEG der Verjährung unterliegt und wie ggf. die Verjährungsfristen dort laufen.

Auf die Revision hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er begründet die Entscheidung wie folgt:

Die Revision sei unbeschränkt zulässig. Aus der Begründung der Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts, es stelle sich die grundsätzliche Frage, ob der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung der Verjährung unterliegt, sei keine Beschränkung der Zulassung herzuleiten. Eine Beschränkung der Zulassung der Revision auf Rechtsfragen wäre unwirksam (BGH, Urt. v. 17.11.2009 - XI ZR 36/09 - BGHZ 183, 169, 172; BGH, Urt. v. 21.09.2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182, 183).

Der BGH ist auch der Auffassung, dass die Revision begründet ist. Das Berufungsgericht habe die Zulässigkeit des Hilfsantrags rechtsfehlerhaft bejaht. Mit diesem Antrag wollten die Kläger eine Regelung erreichen, die bisher nicht zur Abstimmung stand. Dabei stellt sich nach Auffassung des BGH die Frage nach der Mitwirkung an der ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 21 Abs. 4 WEG. Eine Leistungsklage kann in diesem Zusammenhang – so der BGH – erst und nur dann erhoben werden, wenn die Eigentümerversammlung vorher mit dem entsprechenden Thema in einer Wohnungseigentümerversammlung befasst war. Primär zuständig ist die Versammlung der Wohnungseigentümer nach den §§ 21 Abs. 1 und 3, 23 Abs. 1 WEG.

Vor Anrufung des Gerichts – so der BGH – muss der Wohnungseigentümer sich um die Beschlussfassung der Versammlung bemühen, weil seiner Klage sonst das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Eine Ausnahme könne nur dann anerkannt werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Antrag in der Eigentümerversammlung nicht die erforderliche Mehrheit finden wird und demgemäß die Befassung der Versammlung eine unnötige Formelei wäre. Der BGH verweist auf seine Entscheidung vom 15.01.2010 (V ZR 114/09 - BGHZ 184, 88 Rn. 14 f.).

Da im vorliegenden Fall die Frage, wie eine Beschlussfassung verlaufen wäre, völlig offen war, also eine Ablehnung des Beschlusses nicht habe unterstellt werden können, könne der Hilfsantrag auf Schaffung eines Rettungswegs ohne vorherige Befassung der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht zum Gegenstand einer Leistungsklage gemacht werden. Das führt nach Auffassung des BGH zur notwendigen Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Nach der Zurückverweisung wird das Berufungsgericht sich mit der Frage befassen müssen, ob und aus welchen Gründen gegebenenfalls eine Vorbefassung der Eigentümer aufgrund der vom Senat zitierten Ausnahmesituation möglicherweise entbehrlich war. In diesem Zusammenhang weist der V. Zivilsenat darauf hin, dass die Einhaltung der Brandschutzvorschriften ordnungsgemäßer Verwaltung nach § 21 Abs. 4 WEG entspricht. Damit korrespondiert der Anspruch auf Herstellung korrekter öffentlich-rechtlicher Verhältnisse mit dem Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung im Rahmen des WEG.

Wichtig ist die Feststellung des Senats: Der Anspruch des Wohnungseigentümers auf ordnungsgemäße Verwaltung ist grundsätzlich unverjährbar. Wenn eine Maßnahme im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung notwendig ist, erfordert diese ständig ihre Durchführung. Man kann sich demgemäß nicht auf den Standpunkt stellen, dass der Anspruch des Wohnungseigentümers auf ordnungsgemäße Verwaltung der Verjährung unterliege. Es ist also nicht so, dass der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung insoweit immer neu entsteht und dann die daraus resultierende Handlungspflicht der Wohnungseigentümergemeinschaft oder der Verwaltung im Einzelfall der Verjährung unterliegt. Vielmehr ist der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung unverjährbar, ebenso wie der Mängelbeseitigungsanspruch eines Mieters (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.02.2010 - VIII ZR 104/09 - BGHZ 184, 253).

Der Sinn der Verjährung liegt – so der BGH – darin, eine Beweisnot des in Anspruch Genommenen wegen Zeitablaufs auszuschließen. Die Verjährung soll – so der V. Zivilsenat – den Schuldner davor schützen, wegen länger zurückliegender Vorgänge in Anspruch genommen zu werden, die er nicht mehr aufklären kann, weil ihm Beweismittel für etwa begründete Einwendungen abhanden gekommen oder Zeugen nicht mehr auffindbar sind. So liegt es beim Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nicht. Die Durchsetzung eines Anspruchs auf ordnungsgemäße Verwaltung nach § 21 Abs. 4 WEG hat vielmehr eine ständige Bedeutung für die zukünftige Verwaltung. Eine derart gleichsam ständig neu entstehende Dauerverpflichtung kann – so der BGH – nicht verjähren (Schmid, WuM 2010, 655, 657, DWE 2009, 2, 3).

C. Kontext der Entscheidung

Im konkreten Fall bedeutet das für die beiden aufgeworfenen Fragen:

- Eine Leistungsklage auf Durchführung einer bestimmten Maßnahme (hier Schaffung eines „fachgerechten zweiten Rettungswegs“) kann in der Regel mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht in zulässiger Weise erhoben werden, wenn nicht zuvor die Wohnungseigentümergemeinschaft mit einem entsprechenden Beschluss befasst ist. Ein Anspruch auf gerichtliche Ersetzung einer an sich der Gemeinschaft vorbehaltenen Entscheidung kommt nur als letztes Mittel in Betracht, nachdem zuvor alles versucht worden ist, eine dem Gesetz entsprechende Tätigkeit der Eigentümerversammlung zu erreichen. Die Eigentümerversammlung ist primär zuständig. Einem Antrag, der auf die Ersetzung einer grundsätzlich durch die Eigentümergemeinschaft vorzunehmenden Regelung abzielt, fehlt – von den genannten Ausnahmefällen abgesehen – das Rechtsschutzbedürfnis (OLG Hamm, Beschl. v. 10.09.2007 - 15 W 358/06; Engelhardt in: MünchKomm BGB, 5. Aufl., § 21 Rn. 48).

- Was die diskutierte Frage der Verjährung angeht, gilt Folgendes: Ist das Gemeinschaftseigentum instandsetzungsbedürftig, dann bleibt es bei dieser Instandsetzungsbedürftigkeit auch dann, wenn diese schon länger als die übliche Verjährungsfrist von drei Jahren andauert. Ähnlich wie der Mängelbeseitigungsanspruch des Mieters bleibt der Instandsetzungsanspruch des Eigentümers und damit auch der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung als Dauerverpflichtung erhalten.

Diese Auffassung entspricht dem Charakter des Wohnungseigentümerverhältnisses als Dauerverhältnis, vergleichbar insoweit dem Dauerschuldverhältnis des Mietvertrages, bei dem sich die durative Verpflichtung zur Erhaltung der Mietsache des Vermieters und die iterative Verpflichtung des Mieters der Zahlung des Mietzinses gegenüberstehen.

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BGH macht deutlich: Nur ausnahmsweise können die Gerichte für die Durchführung bestimmter Instandsetzungsmaßnahmen unmittelbar in Anspruch genommen werden, ohne dass die Wohnungseigentümergemeinschaft vorher im Beschlusswege mit entsprechenden Fragen befasst ist. Es empfiehlt sich daher für betroffene Wohnungseigentümer, auf einer Beschlussfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft zu bestehen, bevor gerichtliche Maßnahmen in diesem Zusammenhang eingeleitet werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Entscheidung behandelt das Thema der Revisionszulassung. Häufig finden sich in Berufungsurteilen für eine angestrebte Beschränkung der Zulassung der Revision Begründungen, die darauf deuten lassen, dass das Berufungsgericht bestimmte Rechtsfragen geklärt haben will.

Die Revision kann beschränkt zugelassen werden, wenn es sich um einen eindeutig abgrenzbaren selbstständigen Teil des Streitstoffs handelt (BGH, Urt. v. 26.05.2009 - VI ZR 174/08 - VersR 2009, 1269; BGH, Urt. v. 19.10.2010 - VI ZR 237/09 - NJW 2011, 155; BGH, Beschl. v. 24.01.2012 - VIII ZR 206/11 - WuM 2012, 163). Die Beschränkung der Zulassung kann sich auch aus den Gründen des Berufungsurteils ergeben (BGH, Urt. v. 17.06.2004 - VII ZR 226/03 - BauR 2004, 1650; BGH, Urt. v. 12.11.2003 - XII ZR 109/01 - NJW 2004, 1324).

Allerdings kann die Revisionszulassung nicht auf bestimmte Rechtsfragen beschränkt werden. Enthält das Berufungsurteil eine derart unwirksame Beschränkung der Zulassung, ist nicht die Revisionszulassung unwirksam, sondern deren Beschränkung mit der Folge, dass das Revisionsgericht das Urteil voll überprüfen kann und muss (BGH, Urt. v. 20.05.2003 - XI ZR 248/02; BGH, Beschl. v. 14.07.1983 - X ZB 9/82 - NJW 1984, 614; BGH, Urt. v. 08.11.2007 - III ZR 102/07; BGH, Urt. v. 26.10.2004 - XI ZR 255/03 - NJW 2005, 664).

Der BGH lässt im vorliegenden Fall offen, ob die Ausführungen des Berufungsgerichts in der Begründung zur Frage der Verjährung der Ansprüche zu einer beschränkten Zulassung führen oder ob – wie der Tenor nahelegt – die Revision vom Berufungsgericht ohne unwirksame Beschränkung auf die Rechtsfrage zugelassen werden sollte. In jedem Fall ist nämlich davon auszugehen, dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist.

Ein weiterer Aspekt der Entscheidung: Im Rahmen der Zurückverweisung dürfte auch zu klären sein, ob der von der Klagepartei gestellte Hilfsantrag dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 ZPO genügt. Der Antrag richtet sich darauf, die Beklagten zu verurteilen, dem Antrag auf Anbringung eines „fachgerechten zweiten Rettungsweges“ für die Wohnungseinheit zuzustimmen. Sollte ohne vorherige Beschlussfassung über einen solchen Antrag entschieden werden, was nach der vom V. Zivilsenat des BGH geäußerten Rechtsauffassung nur in extremen Ausnahmefällen möglich wäre, stellt sich die Frage, ob der Antrag für eine gerichtliche Entscheidung ausreichend bestimmt ist.