jurisPR-BGHZivilR 3/2011 Anm. 1

Sicherheitsverlangen und Nachfristsetzung nach § 648a a.F., § 643 BGB

Anmerkung zu BGH, Urteil vom 20.12.2010, VII ZR 22/09
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Leitsatz:
Eine Nachfrist zur Sicherheitsleistung kann gemäß § 648a Abs. 5 Satz 1, § 643 Satz 1 BGB erst dann wirksam gesetzt werden, wenn die Frist zur Sicherheitsleistung, § 648a Abs. 1 BGB, fruchtlos abgelaufen ist.

A. Problemstellung
Kann der Unternehmer dem Bauherrn gleichzeitig mit der Aufforderung zur Stellung einer Sicherheit nach § 648a BGB a.F. eine Nachfrist setzen mit der Wirkung, dass nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist der Bauvertrag nach § 648a Abs. 5 Satz 1 a.F., § 643 Satz 1 BGB gekündigt werden kann oder nach Satz 2 als aufgehoben gilt?

Oder kann eine Nachfrist erst dann gesetzt werden, wenn die Frist zur Sicherheitsleistung selbst abgelaufen ist?

Welche Umstände sind für die Beurteilung der Angemessenheit einer Fristsetzung zur Beibringung der Sicherheitsleistung maßgebend?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die klagende Bauunternehmerin hat im Auftrag der Beklagten Bauverträge zur Sanierung mehrerer Objekte abgeschlossen.

Die Bauarbeiten kamen wegen Streitigkeiten der Bauvertragsparteien über das Vorhandensein und die Beseitigung von Schimmel zum Erliegen. Im Zuge dieser Auseinandersetzung verfasste die Bauunternehmung ein Schreiben vom 01.06.2007, das am Nachmittag des gleichen Tages (einem Freitag), beim Anwalt des Bauherren einging.

Darin forderte sie die Bauherrschaft auf, bis zum Montag, den 11.06.2007 „Sicherheit nach § 648a BGB in einer Höhe zu leisten, die die Auftragssumme der Höhe nach abdeckt“. Gleichzeitig teilte sie mit, dass die Leistung bei nicht rechtzeitigem Eingang der Sicherheit verweigert würde und setzte in diesem Schreiben bereits eine Nachfrist zum 18.06.2007 mit dem Bemerken, nach Ablauf der Nachfrist werde sie den Vertrag kündigen. Am 19.06.2007 erklärte die Bauunternehmung die Kündigung der Verträge, weil die geforderten Sicherheiten nicht geleistet worden seien. Zwei Tage später, am 21.06.2007, leistete die Bauherrschaft Sicherheit durch Bürgschaften.

Die klagende Bauunternehmerin begehrt im Hauptantrag die Feststellung der Beendigung der Bauverträge durch Kündigung vom 19.06.2007 und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin jeglichen Schaden zu ersetzen.

Im Lauf des gerichtlichen Verfahrens wurde die Insolvenz über das Vermögen der Bauunternehmung eröffnet und das Verfahren durch den Insolvenzverwalter aufgenommen.

Das Landgericht hat der Klage des Insolvenzverwalters stattgegeben; die Berufung der Beklagten war erfolglos.

Für die Beurteilung der Rechtslage ist § 648a BGB in der Fassung vor dem 01.01.2009 maßgebend. Nach dessen Absatz 5 gilt: Hat der Unternehmer eine angemessene Frist zur Leistung einer Sicherheit gesetzt (§ 648a Abs. 1 BGB), bestimmen sich seine Rechte nach Ablauf der Frist nach § 643 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Unternehmer, wenn er zur Nachholung der Handlung eine angemessene Frist setzt, den Vertrag kündigen. Erfolgt die Nachholung nicht bis zum Ablauf der Frist, gilt der Vertrag als aufgehoben.

Die Erfüllung dieser Voraussetzungen haben die beiden Tatsacheninstanzen bejaht. Das Berufungsgericht führt aus: Ein Unternehmer ist berechtigt, Sicherheit gem. § 648a BGB a.F. zu verlangen, auch dann wenn er noch Mängelbeseitigungsmaßnahmen vorzunehmen hat. Es reicht aus, wenn die Höhe der Sicherheit für den Auftraggeber feststellbar ist. Eine Bezifferung ist nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht notwendig.

Das Berufungsgericht geht weiter von der Angemessenheit der Fristsetzung (01.06. - 11.06.2007) aus. Eine Frist von sieben Tagen sei nicht zu beanstanden.

Schließlich sei auch nichts dagegen einzuwenden, dass die Nachfrist bereits gleichzeitig mit dem Sicherungsverlangen gesetzt werde. Dem Auftraggeber werde von Anfang an deutlich, was der Unternehmer verlangt. Ebenso wie bei § 326 BGB a.F. könne auch im vorliegenden Fall die Nachfristsetzung zugleich mit der Aufforderung bzw. der Mahnung verbunden werden. Es sei nicht ersichtlich, warum das im Falle der §§ 648a, 643 BGB nicht gelten solle.

Der BGH widerspricht der Auffassung des Berufungsgerichts. Wortlaut und Systematik des Gesetzes seien eindeutig. Die Rechte des Unternehmers bestimmen sich erst dann aus § 643 BGB, wenn der Besteller die Sicherheit nicht fristgemäß geleistet hat. Eine Nachfrist könne folglich erst dann gesetzt werden, wenn die Frist zur Sicherheitsleistung abgelaufen ist (so auch Bamberger/ Roth-Voit, BGB, 2. Aufl., § 648a; Messerschmidt/ Voit-Cramer, Privates Baurecht, § 648a Rn. 71; a.A. ohne weitere Begründung Ingenstau/ Korbion/Joussem, VOB, 15. Aufl., Anhang 2 Rn. 177). Der BGH teilt nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, dass dem Besteller keine Nachteile entstehen, wenn ihm sofort schon mit dem Sicherheitsverlangen eine Nachfrist gesetzt wird. Denn die Nachfrist wird zu einem Zeitpunkt gesetzt, zu dem überhaupt noch nicht feststeht, ob ein Schwebezustand eintritt. Der Vergleich mit § 326 Abs. 1 BGB a.F. – so der BGH – trage nicht. Denn mit der Mahnung tritt dort der Verzug ein, so dass die Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 BGB a.F. vorliegen, wenn dem Schuldner die Mahnung gleichzeitig mit der Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung zugeht.

Anders sei es aber, wenn eine Nachfrist voraussetzt, dass zuvor eine andere Frist abgelaufen ist. Das aber sei gerade nach der Systematik des § 648a Abs. 5 Satz 1 BGB a.F. i.V.m § 643 Satz 1 BGB der Fall. Der Vertrag habe daher nach Ablauf der bereits im ursprünglichen Sicherheitsverlangen gleichzeitig gesetzten Nachfrist nicht gekündigt werden können.

Zusätzlich macht der VII. Zivilsenat deutlich: Für die Angemessenheit der Frist muss die Erwägung mit einfließen, ob die Rechtslage klar ist oder ob Beratungsbedarf besteht. Im letzteren Fall kann es geboten sein, längere Fristen zu setzen. Es müsse dabei auch berücksichtigt werden, dass möglicherweise anwaltliche Beratung notwendig sein kann. Auch sei darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Beschaffung einer Bürgschaft nicht an Wochenenden oder Feiertagen möglich ist. Im vorliegenden Fall standen nur fünf Werktage für Beschaffung und Aushändigung der Bürgschaft (einschließlich vorheriger anwaltlicher Beratung) zur Verfügung. Das ist nach Auffassung des Senats zu wenig.

Aus diesen Gründen hebt der BGH auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil auf und weist die Klage im Hauptantrag ab.

C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil befasst sich mit der alten Fassung des § 648a BGB. Diese ist durch das Zusammenspiel von § 648a Abs. 5 BGB a.F. und § 643 BGB gekennzeichnet.

Die ab 01.01.2009 geänderte Vorschrift des § 648a BGB (in der Fassung des Forderungssicherungsgesetzes vom 23.10.2008, BGBl I, 2022) hebt diese Verbindung auf und statuiert in Abs. 5, dass das Leistungsverweigerungsrecht oder das Recht zur Kündigung bereits nach angemessener Fristsetzung zur Leistung der Sicherheit entsteht. Einer Nachfristsetzung bedarf es nach der neuen Vorschrift nicht mehr. Die vom BGH zugunsten des Bauherren entschiedene Problematik, dass das Sicherheitsverlangen nach § 648a BGB a.F. nicht zugleich mit der Nachfristsetzung verbunden werden kann, stellt sich nach neuem Recht deshalb nicht.

Nachdem der BGH jedoch die Revision auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen hat, hat er implizit bestätigt, dass ein rechtsgrundsätzliches Interesse für eine revisionsgerichtliche Entscheidung auch nach altem Recht besteht (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und § 543 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Denn es ist damit zu rechnen, dass noch eine große Zahl von Bauverträgen Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung sein können, in denen sich die Frage nach der Auslegung der alten Vorschrift stellt.

Von Bedeutung auch für die Neufassung des § 648a BGB bleiben aber die Ausführungen des VII. Zivilsenats zur Angemessenheit der Fristsetzung. Danach kann die Angemessenheit einer Fristsetzung nicht pauschal bestimmt werden. Vielmehr richtet sich die Angemessenheit der Frist nach den Umständen des einzelnen Falles. Insbesondere muss eine längere Frist einkalkuliert werden, wenn es sich um einen schwierigen Fall handelt, der anwaltliche Beratung notwendig macht. Im vorliegenden Fall war die Höhe der verlangten Sicherheit nicht ohne Weiteres klar. Es stand weiter die Frage im Raum, ob der Unternehmer weitere Vorleistung ohne zusätzliche Vergütung erbringen musste oder nicht. Schließlich musste Zeit einkalkuliert werden, eine Bürgschaft bei der Bank zu beschaffen. Diese Umstände schlossen im vorliegenden Fall nach Auffassung des BGH aus, eine Frist von sieben Kalendertagen oder fünf Werktagen als ausreichend anzusehen.

Die Entscheidung interpretiert das Zusammenspiel zwischen § 648a BGB a.F. und § 643 BGB überzeugend. Sie folgt erfreulicherweise nicht einem gelegentlich zu beobachtenden juristischen Modetrend, Wortlaut und die Systematik gesetzlicher Vorschriften mit einer amorphen Berufung auf „Interessen“ beiseite zu schieben (vgl. Reinelt, BauR 1997, 766; Reinelt „Irrationales Recht“, ZAP-Sonderheft für Dr. Egon Schneider zum 75. Geburtstag, 2002, S. 52).

D. Auswirkungen für die Praxis
§ 648a BGB ist durch das Bauhandwerkersicherungsgesetz (BGBl I 1993, 509) mit Wirkung ab 01.05.1993 eingeführt worden. Die Vorschrift wurde zunächst ergänzt durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen (BGBl I 2000, 330) durch Erweiterung der Bemessungsgrundlage für die Sicherheit und eine Vermutungsregelung (5 %) für die Höhe des negativen Interesses (§ 648a Abs. 5 Satz 4, 5 BGB). Die gesamte Vorschrift wurde schließlich durch das Forderungssicherungsgesetz (BGBl 2008, 2022) anders strukturiert: nunmehr Anspruch des Unternehmers auf Sicherheitsleistung, nicht nur Leistungsverweigerungsrecht mit Kündigungsfolge (§ 648a Abs. 1 BGB); Verzicht auf die Nachfristsetzung des § 643 BGB in § 648a Abs. 5 BGB. Einer Nachfristsetzung nach § 648a Abs. 5 BGB i.V.m § 643 BGB bedarf es daher nach neuem Recht nicht mehr. Die vom VII. Zivilsenat gegen den Unternehmer entschiedene Frage der Verbindung des Sicherheitsverlangens mit der Nachfristsetzung wird sich deshalb in künftigen Fällen nicht mehr stellen.

Von erheblicher Bedeutung auch für das neue Recht bleibt aber: Der Unternehmer muss berücksichtigen, dass die Fristsetzung in jedem Fall angemessen zu sein hat. Dafür bedarf es einer genauen Abwägung der Umstände, die aus der Sicht des Bestellers für die Beschaffung und Klärung der damit zusammenhängenden Tatsachen und Rechtsfragen erforderlich sind. Zwar ist eine nicht angemessene Fristsetzung nicht wirkungslos. Ein entsprechendes Verlangen setzt eine angemessene Frist in Lauf (BGH, Urt. v. 31.03.2005 - VII ZR 346/03 - NJW 2005, 1939). Bei einer zu kurzen, nicht angemessenen Frist läuft der Unternehmer aber Gefahr, dass die von ihm gewünschten Rechtsfolgen (Entstehen des Kündigungsrechts oder Aufhebung des Vertrages) nach Ablauf der von ihm gesetzten Frist (noch) nicht eingetreten sind.

Die zutreffenden Erwägungen des VII. Zivilsenats schließen es aus, pauschal auf eine Sieben- Tages-Frist abzustellen, wie sie in der Gesetzesbegründung zu § 648a BGB (BT-Drs. 12/1836, S. 8, „Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (Bauhandwerkersicherung) und andere Gesetze“ BGBl I 1993, 509) als Regelfall angeführt und in der Rechtsprechung gelegentlich zu schematisch als ausreichend angesehen wird. Vielmehr müssen in jedem einzelnen Fall die praktischen Abläufe für Beratung und Beibringung der Sicherheit genau durchdacht und erörtert werden.

Im Interesse einer klaren Sicherung seiner Rechtsposition sollte der Unternehmer daher in jedem Fall die Umstände einkalkulieren, die zum Lauf einer längeren Frist führen können und diese bei seiner Fristsetzung berücksichtigen.