jurisPR-BGHZivilR 13/2009 Anm. 2

Keine verbotene Eigenmacht bei Einstellung der Heizungsversorgung durch den Vermieter bei Gewerberaummietverhältnis (Streit um die "sibirische Methode")

Anmerkung zu BGH, Urteil vom 06.05.2009 - XII ZR 137/07
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof
 

Leitsatz:
1. Nach Beendigung des Mietverhältnisses ist der Vermieter gegenüber dem die Mieträume weiter nutzenden Mieter zur Gebrauchsüberlassung und damit auch zur Fortsetzung vertraglich übernommener Versorgungsleistungen (hier: Belieferung mit Heizenergie) grundsätzlich nicht mehr verpflichtet. 2. Auch aus Treu und Glauben folgt eine nachvertragliche Verpflichtung des Vermieters von Gewerberäumen zur Fortsetzung von Versorgungsleistungen jedenfalls dann nicht, wenn der Mieter sich mit Mietzinsen und Nutzungsentschädigung im Zahlungsverzug befindet und dem Vermieter mangels eines Entgelts für seine Leistungen ein stetig wachsender Schaden droht. 3. Die Einstellung oder Unterbrechung der Versorgung mit Heizenergie durch den Vermieter ist keine Besitzstörung gemäß §§ 858, 862 BGB hinsichtlich der Mieträume.

A. Problemstellung
Die Frage, ob der Vermieter während oder nach Beendigung des Mietverhältnisses seine tatsächliche und rechtliche Position gegenüber dem Mieter durch Einstellung von Heizlieferungen verbessern kann („sibirische Methode“), ist in Literatur und Rechtsprechung hoch umstritten. Der BGH stärkt in einem entsprechenden Streit zwischen Vermieter und Mieter im Rahmen eines Gewerberaummietverhältnisses die Position des Vermieters. Er entscheidet, dass Mietern von Gewerberäumen nach einer wirksamen Kündigung die Heizung abgestellt werden darf, wenn sie keine Nebenkosten mehr zahlen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien schlossen im Juli 2000 einen bis 31.12.2008 befristeten Nutzungsmietvertrag über Gewerberäume in dem vom Beklagten unterhaltenen „Kunsthaus“ in Berlin zum Betrieb eines Cafes. Seit September 2001 zahlte der Kläger keine Nebenkostenvorauszahlungen mehr und berief sich auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen nicht erteilter Nebenkostenabrechnungen. Warmwasser und Heizleistung bezog der Kläger nicht direkt vom Versorgungsunternehmen, sondern vom Vermieter. Dieser stellte zunächst die Warmwasserversorgung ein und drohte dem Beklagten dann im Jahr 2003 die Unterbrechung der Versorgung mit Heizwärme an. Gleichzeitig erklärte der Vermieter mehrfach die Kündigung des Mietvertrages wegen Zahlungsverzugs. Zwischen den Parteien schwebt ein noch nicht entschiedenes Räumungsverfahren.

Der Mieter beantragt, dem Vermieter die angedrohte Versorgungssperre zu untersagen. Das Landgericht hat der Klage im Hinblick auf die Heizungsversorgung stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die zugelassene Revision hat der BGH die Berufungsentscheidung bestätigt. Der XII. Zivilsenat prüft den Unterlassungsanspruch des Mieters unter drei Gesichtspunkten:

- Anspruch auf Heizungsversorgung aus der Pflicht zur Gebrauchsüberlassung nach § 535 Abs. 1 BGB aufgrund des Mietvertrages,
- nachvertragliche Pflichten nach Beendigung des Mietvertrages unter Berücksichtigung von § 242 BGB,
- possessorischer Anspruch wegen Besitzstörung nach § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Sämtliche möglichen Ansprüche verneint er.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts geht der BGH davon aus, dass das Mietverhältnis der Parteien durch die Kündigungen beendet worden ist; die fristlosen Kündigungen seien berechtigt gewesen. Damit erklärt sich auch der erste Leitsatz, der auf das Rechtsverhältnis nach Beendigung des Mietverhältnisses abstellt. Der Ausgangspunkt ist deshalb im vorliegenden Fall etwas überraschend, weil der Räumungsrechtsstreit – so der Tatbestand der Senatsentscheidung – zwischen den Parteien noch in einem anderen Verfahren anhängig ist.

Ein Zurückbehaltungsrecht des Mieters wegen fehlender Nebenkostenabrechnungen durch den Vermieter habe hier die Berechtigung der Kündigung nicht hindern können, weil die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts im Hinblick auf den geringen Umfang der Nebenkostenvorauszahlung und wegen des Mietzinsrückstands rechtsmissbräuchlich wäre. Wegen der offensichtlichen Diskrepanz zwischen nur geringfügig geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen und dem vom Berufungsgericht festgestellten Rückstand mit der Grundmiete habe der Mieter ein Zurückbehaltungsrecht in dem von ihm vorgenommenen Umfang keinesfalls geltend machen dürfen. Auch ein Rechtsirrtum, der nach § 286 Abs. 4 BGB den Verzug ausschließen könne, komme hier nicht in Betracht. Aufgrund dieser Überlegungen kommt der Senat – obwohl ein paralleles Räumungsverfahren zwischen den Parteien noch nicht rechtskräftig entschieden ist – zum Ergebnis, dass das Mietverhältnis wirksam beendet wurde. Deshalb könne es keine Ansprüche auf Aufrechterhaltung der Versorgung gemäß § 535 Abs. 1 BGB geben.

Auch nachvertragliche Pflichten des Vermieters führten im vorliegenden Fall nicht dazu, dass der Beklagte verpflichtet sei, die Versorgung des Klägers mit Heizenergie aufrechtzuerhalten. Zwar seien entsprechende nachvertragliche Pflichten aus Treu und Glauben nach § 242 BGB grundsätzlich denkbar. Das gelte aber jedenfalls dann nicht, wenn bereits die Beendigung des Mietverhältnisses auf Zahlungsverzug des Mieters beruht und der Vermieter entsprechende Versorgungsleistungen mangels Vorauszahlungen des Mieters auf eigene Kosten erbringen müsste. Der Vermieter liefe dann Gefahr, die von ihm verauslagten Kosten für die Versorgung nicht erstattet zu erhalten. Dementsprechend bestehe im vorliegenden Fall auch keine über die Vertragsbeendigung andauernde Leistungspflicht des Beklagten.

Damit werden petitorische Ansprüche des Mieters im konkreten Fall verneint.

Aber auch possessorische Ansprüche bestünden nicht: Die Einstellung der Versorgungsleistung stelle keine Besitzstörung nach § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB dar. Sie sei nicht als verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB zu werten.
Im Folgenden befasst der BGH sich ausführlich mit der umstrittenen Frage, ob die Versorgungssperre durch den Vermieter eine Besitzstörung darstellt. Er weist darauf hin, dass die herrschende Meinung diese Frage bejaht (OLG Köln, Beschl. v. 26.04.2004 - 1 U 67/03 - NZM 2005, 67; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 28.09.2004 - 5 W 236/04, 5 W 236/04-75 - OLGR Saarbrücken 2005, 218; OLG Celle, Urt. v. 28.04.2005 - 11 U 44/05 - NZM 2005, 741; OLG Koblenz, Beschl. v. 24.07.2000 - 3 W 472/00 - OLGR Koblenz 2001, 2; Staudinger/Bund, BGB, 2007, § 858 Rn. 53; Bub/Treier/Kraemer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III. B Rn. 1220; Gaier, ZWE 2004, 109, 113; grundsätzlich auch KG Berlin (8. Zivilsenat), Beschl. v. 29.08.2005 - 8 U 70/05 - KGR Berlin 2005, 945 = ZMR 2005, 951, für den Fall des unbeendeten Mietverhältnisses; ebenso Palandt/Bassenge, BGB, 68. Aufl., § 862 Rn. 4; a.A. KG Berlin (12. Zivilsenat), Urt. v. 08.07.2004 - 12 W 21/04 - NZM 2005, 65; LG Berlin, Beschl. v. 22.12.2008 - 12 O 480/08 - Grundeigentum 2009, 518; AG Bergheim, Urt. v. 15.12.2003 - 27 C 744/03 - ZMR 2005, 53; AG Hohenschönhausen, Beschl. v. 10.07.2007 - 9 C 120/07 - Grundeigentum 2007, 1127; Ulrici, ZMR 2003, 895, 896; Mummenhoff, DWW 2005, 312, 315; Scholz, NZM 2008, 387; Krause, Grundeigentum 2009, 484).

Der BGH schließt sich der Mindermeinung an. Er teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, dass in der Unterbrechung der Versorgungsleistung – nach der Begründung offensichtlich unabhängig von der Frage der wirksamen Beendigung des Vertragsverhältnisses – keine Besitzstörung liegt. Die zur Nutzung des Mietobjekts erforderlichen Energielieferungen seien nicht Bestandteil des Besitzes und können nach Auffassung des BGH daher auch nicht Gegenstand des Besitzschutzes sein. Verbotene Eigenmacht nach den §§ 858, 862 BGB setze voraus, dass in die tatsächliche Sachherrschaft eingegriffen worden ist. Ein Eingriff liege aber nur dann vor, wenn der Besitzer im Bestand der tatsächlichen Sachherrschaft beeinträchtigt werde. Die Einstellung von Versorgungsleistungen jedoch beeinträchtige weder den Zugriff des Besitzes auf die Mieträume noch schränke sie die sich aus dem bloßen Besitz ergebenden Nutzungsmöglichkeiten ein. Die Auffassung, die Einstellung von Versorgungsleistungen führe zu einer „kalten Räumung“ oder einer unzulässigen Selbstvollstreckung (so Erman/A. Lorenz, BGB, 12. Aufl., § 858 Rn. 3, m.w.N.), teilt der BGH nicht.

C. Kontext der Entscheidung
Obwohl die Entscheidung des Senats unter Berücksichtigung der möglichen petitorischen und possessorischen Ansprüche sorgfältig begründet ist, hat die h.M., die in vergleichbaren Fällen Besitzschutzansprüche bejaht, durchaus Einiges für sich. Es stellt sich die Frage, ob zum ungestörten Besitz nicht auch die bestimmungsgemäße Nutzung gehört, zu der – jedenfalls in unseren Breiten – nicht nur eine theoretische Beheizbarkeit, sondern tatsächliche Heizleistungen notwendig sind. Ob wirklich ein Unterschied darin zu sehen ist, ob der Vermieter beispielsweise aktiv Heizkörper abmontiert (und damit in die „tatsächliche Sachherrschaft eingreift“) oder die Lieferung der Heizleistung unterlässt (und damit entsprechenden faktischen Druck durch Entzug der Nutzbarkeit der Räume schafft), kann bezweifelt werden. Die Einwirkung durch verbotene Eigenmacht auf die Mieträume kann sowohl durch körperliche Einwirkung (Abtrennung oder Beseitigung vorhandener Verbindungen) als auch – das erscheint ohne weiteres vertretbar – durch Einstellung der vereinbarungsgemäßen Lieferung der Heizwärme geschehen. Man kann es daher durchaus auch so sehen, dass die Versorgung von Räumen – seien es Wohnräume oder Gewerberäume – mit Heizung und Heizleistung zum Bestand und zur Nutzbarkeit eines vermieteten Objekts gehört und der Eingriff mit der „sibirischen Methode“ als verbotene Eigenmacht zu werten ist, die Besitzschutzansprüche nach § 862 BGB auslöst.

D. Auswirkungen für die Praxis
Für die Behandlung der possessorischen Ansprüche ist nach der Begründung der Senatsentscheidung – anders als bei den anderen Anspruchsgrundlagen – die Frage der Beendigung des Mietverhältnisses ohne Bedeutung. Die Entscheidung des BGH, die bei Einstellung der Heizleistung verbotene Eigenmacht und damit Besitzschutzansprüche verneint, gilt nach ihrer Begründung nicht nur bei beendeten, sondern auch bei laufenden Gewerberaummietverhältnissen.
Bisher ging die h.M. davon aus, dass Mieter auch nach einer wirksamen Kündigung nicht von Strom, Wasser und Heizung abgeschnitten werden dürfen und ein entsprechendes Vorgehen des Vermieters im Wege der Selbstjustiz problematisch ist.

Allerdings: Versorgungssperren durch Energieversorger wurden schon bisher in der Rechtsprechung nicht als verbotene Eigenmacht gewertet (LG Saarbrücken, Beschl. v. 11.05.2009 - 5 T 236/09; LG Düsseldorf, Urt. v. 08.02.2006 - 34 O (Kart) 219/05 - RdE 2006, 205).

Die gleichen Rechtsgrundsätze wendet der BGH jetzt im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter von Gewerberäumen an.

Es fragt sich allerdings, ob und inwieweit die Entscheidung des BGH sich auf Gewerberäume (noch dazu auf beendete Mietverhältnisse) beschränkt, oder ob die Rechtsprechung nicht auch auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar ist. Der Deutsche Mieterbund, der das Urteil „problematisch“ genannt hat, geht in einer sofort veröffentlichten Stellungnahme davon aus, dass die Begründung des Gerichts nicht auf Wohnräume übertragbar sei; Wohnraummieter müssten auch künftig nicht fürchten, dass nach einem Streit über Nebenkosten oder im Laufe eines Räumungsprozesses der Vermieter die Heizung abdreht (Handelsblatt vom 06.05.2009). Diese apodiktische Aussage ist fraglich: Ob die Rechtsprechung auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar ist, hatte der XII. Zivilsenat des BGH nicht zu entscheiden. Für die Beurteilung der entsprechenden Frage bei Wohnraummietverhältnissen wäre der VIII. Zivilsenat zuständig. Die den Besitzschutz verneinende Argumentation des Senats scheint von ihrer Struktur her ohne weiteres auch auf Wohnraummietverhältnisse übertragbar zu sein. Es kann also – entgegen der Verlautbarung des Mieterbunds – keineswegs als gesichert angesehen werden, dass eine Heizungssperre in Wohnraummietverhältnissen mit possessorischem Rechtsschutz bekämpft werden kann.

Die Praxis wird sich darauf einstellen müssen, dass Vermieter Aktionen vergleichbarer Art, die von der herrschenden Meinung bisher als unzulässige Selbsthilfe (§§ 229, 230 BGB) und als verbotene Eigenmacht mit der Folge von Besitzschutzansprüchen gewertet worden sind (§§ 862, 858 BGB), zur Verstärkung der Position in einer Auseinandersetzung mit Mietern in unangreifbarer Weise einsetzen können. Die „sibirische Methode“ scheitert nach der Rechtsprechung des XII. Zivilsenats nicht an possessorischen Einwendungen. Ob petitorische Einwendungen greifen oder nicht, ist jeweils eine Frage des Einzelfalles.