jurisPR-BGHZivilR 03/2009 Anm. 1

Haftung des Anwalts für Fehler des Gerichts - erneute Überspannung der Anwaltshaftung

Anmerkung zu: BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 18.12.2008 - IX ZR 179/07, NJW 2009, 987
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof
 

Leitsatz
Unterlässt es der Berufungsanwalt, auf ein die Rechtsauffassung seines Mandanten stützendes Urteil des Bundesgerichtshofs hinzuweisen, und verliert der Mandant deshalb den Prozess, wird der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Anwaltsfehler und dem dadurch entstandenen Schaden nicht deshalb unterbrochen, weil auch das Gericht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs übersehen hat.

A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob der Anwalt für einen Fehler des Gerichts haftet, wenn dieser Fehler unter anderem auch darauf zurückgeht, dass er im Verfahren nicht auf neuere Rechtsprechung des BGH hingewiesen hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche gegen ihren Anwalt geltend, die (noch auf positive Vertragsverletzung, heute § 280 BGB n.F.) eines Anwaltsvertrags gestützt werden können.

Vorausgegangen war ein Prozess der Klägerin gegen ihre Mieter. Sie verlangte Betriebskostennachzahlungen. In erster Instanz hatte die Klägerin die Ansprüche vor dem Amtsgericht selber geltend gemacht. Umstritten war im Vorprozess, ob die Mieter zur anteiligen Zahlung von Versicherung und Grundsteuer verpflichtet waren. Das Amtsgericht gab der Klage mit der Begründung statt, die Mieter hätten durch jahrelanges widerspruchsloses Zahlen der Umlage konkludent einer entsprechenden Änderung des schriftlichen Vertrages zugestimmt.

Im Berufungsverfahren, das die Mieter eingeleitet hatten, beauftragte die Klägerin die beklagte Anwaltssozietät mit ihrer Vertretung. Das Berufungsgericht wies die Klage in den fraglichen Punkten ab, weil vorbehaltslose Zahlungen von Mietern, die auch auf Rechtsirrtum beruhen könnten, nicht notwendig zu einer Vertragsänderung führen.

In einem weiteren Vorprozess machte die Anwaltskanzlei ihr Honorar durch Klage geltend. Diese Klage wurde in den Tatsacheninstanzen mit der Begründung abgewiesen, die Anwaltssozietät habe die Klägerin unzureichend vertreten und insbesondere vor dem Berufungsgericht nicht auf die Entscheidung des BGH vom 29.05.2000 (XII ZR 35/00 - NJW-RR 2000, 1463) hingewiesen.

Nach Abschluss dieser beiden Vorverfahren verklagte die Klägerin ihre Anwaltskanzlei auf Schadensersatz in Höhe der nicht durchgesetzten Nebenkosten sowie Gerichts- und Anwaltskosten. Diese Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das wie folgt begründet: Zwar habe der beratende Anwalt die Verpflichtungen aus dem Anwaltsvertrag dadurch verletzt, dass er nicht auf Entscheidungen des BGH zur stillschweigenden Vereinbarung über die Umlegbarkeit von Nebenkosten hingewiesen habe. Er sei zu einem solchen Hinweis auch verpflichtet gewesen. Weil das Berufungsgericht die Entscheidung des BGH jedoch ebenfalls übersehen habe, bestehe kein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Fehler und dem eingetretenen Schaden, der in der Aberkennung des Anspruchs auf Nebenkosten und der Verpflichtung zur Zahlung der anteiligen Gerichts- und Anwaltskosten besteht.

Diese Auffassung teilt der BGH nicht. Auf die zugelassene Revision hat er das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen. Er ist mit dem Berufungsgericht der Auffassung, dass der Beklagte die auf Grund des Anwaltsvertrags obliegenden Verpflichtungen verletzt habe.

Der Anwalt sei verpflichtet, die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich zu ermitteln und in das Verfahren einzubringen. Zwar weise die ZPO die Entscheidung und damit die rechtliche Beurteilung des Streitfalls dem Gericht zu. Es widerspreche jedoch der tatsächlichen und rechtlichen Stellung der Prozessbevollmächtigten in den Tatsacheninstanzen, würde man ihre Aufgaben allein in der Beibringung des Tatsachenmaterials sehen. Der Anwalt sei auch verpflichtet, auf die rechtliche Beurteilung des Gerichts Einfluss zu nehmen (BGH, Urt. v. 04.06.1996 - IX ZR 51/95 - NJW 1996, 2648, 2650).

Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums sei es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken. Zum Beleg hierfür beruft der BGH sich auf Entscheidungen aus früherer Zeit (BGH, Urt. v. 15.11.2007 - IX ZR 44/04 - BGHZ 174, 205, 210 Rn. 15; BGH, Urt. v. 25.06.1974 - VI ZR 18/73 - NJW 1974, 1865, 1866).

Hätte der Anwalt auf neuere Entscheidungen des BGH hingewiesen, aus denen der Schluss zu ziehen sei, dass auch eine jahrelange tatsächliche Übung einen schriftlichen Vertrag ändern könne, hätte das Gericht sich dieser Auffassung anschließen können. Diese Verpflichtungen entfielen nicht deshalb, weil das Gericht seinerseits zu umfassenden rechtlichen Prüfung des Falls unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur verpflichtet war. Der in diesem Zusammenhang oft zitierte Satz „iura novit curia“ betreffe das Verhältnis der juristisch nicht gebildeten Naturalpartei zum Gericht (vgl. Medicus, AnwBl 2004, 257, 260).

Die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung des Rechtsanwalts könne auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass das Gericht eigenverantwortlich und autonom entschieden hat. Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs liege nicht vor. Wenn ein Schaden haftungsrechtlich auf mehreren Ursachen beruht, haften mehrere grundsätzlich als Gesamtschuldner. Der Fehler des Gerichts führe nicht dazu, dass der Schadensbeitrag des Anwalts so sehr in den Hintergrund rücke, dass bei wertender Betrachtung gleichsam nur der Gerichtsfehler als einzige endgültige Schadensursache erscheine.

C. Kontext der Entscheidung
Es unterliegt keinem Zweifel, dass der anwaltliche Berater sich nach ständiger Rechtsprechung am „sichersten Weg“ orientieren muss (BGH, Urt. v. 31.10.1985 - IX ZR 175/84 - NJW-RR 1986, 1281; BGH, Beschl. v. 17.07.2002 - IX ZR 418/98 - NJW 2002, 1417).

Eine Umlegung einzelner sonstiger Betriebskosten kann auch bei einem schriftlich abgeschlossenen Mietvertrag auf Grund jahrelanger Zahlung durch stillschweigende Vereinbarung erfolgen (BGH, Urt. v. 29.05.2000 - XII ZR 35/00 - NJW-RR 2000, 1463; BGH, Urt. v. 07.04.2004 - VIII ZR 146/03; nach Abschluss des Vorprozesses auch BGH, Urt. v. 07.04.2004 - VIII ZR 146/03 - NJW-RR 2004, 877). Es ist daher denkbar (wenngleich nicht zwingend), dass eine solche Übung zu einer vertraglichen Änderung geführt hat. Der unterlassene Hinweis des Anwalts auf diese Rechtsprechung wird dem Anwalt als schadensersatzpflichtiges Unterlassen zugerechnet.

Der Anwalt haftet grundsätzlich für jeden Fehler, auch bei leichter Fahrlässigkeit, mit der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB für mangelndes Verschulden. Da es zu den Verpflichtungen des Anwalts gehört, die höchstrichterliche Rechtsprechung zu kennen, folgt eine solche Hinweispflicht aus der Aufgabe der Rechtsprüfung, die dem Rechtsanwalt obliegt.

Dazu hat der BGH schon frühzeitig den Grundsatz entwickelt: Der Rechtsanwalt hat seine Auffassung laufend an Gesetz, Rechtsprechung und Literatur zu orientieren und zu korrigieren. Er muss alle Gesetze und Vorschriften bis ins Detail kennen oder ermitteln. Das gilt auch für neueste Gesetze und neueste Entscheidungen (BGH, Urt. v. 20.04.1959 - III ZR 141/57 - VersR 1959, 638, 641; Slobodenjuk, NJW 2006, 113). Der Anwalt muss vor diesem Hintergrund seine Ratschläge uneingeschränkt nach herrschender Rechtsprechung ausrichten (Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. § 19 Rn. 65 ff.). Unter Umständen muss er sogar – wie das bereits zu Lasten eines Steuerberaters entschieden wurde (BGH, Urt. v. 15.07.2004 - IX ZR 472/00 - NJW 2004, 3487) – Gesetzesänderungen voraussehen!

Ein besonders krasses Beispiel einer weit gespannten Haftung des Anwalts enthält die BGH-Entscheidung vom 25.06.1974 (VI ZR 18/73 - NJW 1974, 1865, 1866), auf die der Senat in seiner hier besprochenen Entscheidung ausdrücklich Bezug nimmt. In jener Entscheidung hatte der BGH die Auffassung vertreten, dass der Anwalt sogar die Konsequenzen für fehlerhafte richterliche Rechtsansichten zweier Kollegialgerichte zu übernehmen habe.

Hintergrund jener Entscheidung: Gegenüber einer von einem Bauunternehmer geltend gemachten Restforderung berief sich der den Bauherrn vertretende Anwalt auf ein Zurückbehaltungsrecht mit dem Ziel, eine Zug-um-Zug-Verurteilung zu erreichen. Das erstinstanzliche Gericht wies fehlerhaft darauf hin, dass Gewährleistungsansprüche möglicherweise verjährt seien und deshalb ein Zurückbehaltungsanspruchsrecht nicht mehr geltend gemacht werden könne. Es hielt deshalb den Anwalt für verpflichtet, hilfsweise eine Aufrechnung mit Gegenansprüchen wegen vorhandener Mängel nach § 390 Satz 2 a.F. BGB geltend zu machen. Der Hinweis des Gerichts war falsch. Denn bereits damals war anerkannt, dass Zurückbehaltungsrechte – ebenso wie die Aufrechnung – auch mit verjährten Forderungen begründet werden konnten, wenn sich die Forderungen nur unverjährt gegenüberstanden (heute ist das ausdrücklich in § 215 BGB n.F. so geregelt).

Die erstinstanzliche Entscheidung hat auf Grund des falschen Hinweises das Zurückbehaltungsrecht rechtsirrtümlich nicht beachtet. Im Berufungsverfahren machte der Rechtsanwalt dann Aufrechnung geltend (§ 390 Satz 2 BGB). Das hat aber das Berufungsgericht nicht gelten lassen mit dem Argument, die Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung erst in zweiter Instanz sei wegen der unterlassenen Beachtung des richterlichen Hinweises in erster Instanz nicht mehr sachdienlich und daher als verspätet zurückzuweisen (heute: §§ 530, 296 Abs. 1 und 4 ZPO). Beide Entscheidungen waren – ausgehend vom fehlerhaften Hinweis der ersten Instanz – verfehlt.

Gleichwohl gab dieses Verfahren dem BGH seinerzeit Anlass zu der kühnen Aussage, der Rechtsanwalt sei auch verpflichtet, einem falschen Hinweis des Gerichts Rechnung zu tragen und ihm nachzukommen (also statt Zurückbehaltung, Aufrechnung geltend zu machen, obwohl Zurückbehaltung substantiell etwas ganz anderes ist als Aufrechnung mit Gegenforderungen und vielleicht vom Mandanten gar nicht gewünscht war).

Die beiden falschen Entscheidungen der ersten Instanz haben damals nichts daran geändert, dass der BGH den Anwalt in der Entscheidung aus dem Jahr 1974 tatsächlich für schadensersatzpflichtig gehalten hat: Er hätte infolge des (fehlerhaften) Hinweises des Gerichts bereits in erster Instanz Hilfsaufrechnung geltend machen müssen.

Der BGH entscheidet damit: Der Anwalt hat die Konsequenzen für fehlerhafte richterliche Rechtsansichten zweier Kollegialgerichte zu übernehmen.

Auch in den folgenden Jahren hat der BGH seine Anforderungen an die Haftung des Anwalts, die sich damit fast einer Gefährdungshaftung nähert, aufrechterhalten (BGH, Urt. v. 28.09.1982 - VI ZR 221/80 - VersR 1983, 34; BGH, Urt. v. 08.10.1981 - III ZR 190/79 - NJW 1982, 437; BGH, Urt. v. 21.09.2000 - IX ZR 127/99 - NJW 2001, 675; BGH, Urt. v. 15.07.2004 - IX ZR 472/00 - NJW 2004, 3487).

Eine Entscheidung des IX. Senats aus dem Jahr 2007 hat dann die Hoffnung geweckt, dass die überzogenen Anforderungen an die Haftung des Anwalts reduziert werden (BGH, Urt. v. 01.03.2007 - IX ZR 261/03 - NJW 2007, 2485).

Die hier besprochene Entscheidung des Senats vom 18.12.2008 macht diese Hoffnung zunichte: Der BGH greift vielmehr ausdrücklich seine alte Rechtsprechung aus dem Jahr 1974 auf und nimmt den Anwalt voll in die Haftung, obwohl der Fehler der Rechtsanwendung im Verantwortungsbereich des Gerichts liegt. Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis des Gerichts darauf, es sei ja nichts Ungewöhnliches, dass haftungsrechtlich mehrere Ursachen von verschiedenen Schädigern gesetzt werden und diese daher als Gesamtschuldner haften (Rn. 20 der Entscheidung), irreführend. Denn eine Haftung des Gerichts besteht in vorliegendem Fall nach Auffassung des Senats gerade nicht. Das Spruchrichterprivileg nach § 839 Abs. 2 BGB führt bekanntlich dazu, dass der Richter selbst nur bei vorsätzlicher Amtspflichtverletzung, also Rechtsbeugung (§ 339 StGB), haftet, dies in bemerkenswertem Gegensatz zum Anwalt, dem ein Übermaß an Pflichten zugewiesen wird, für deren Verletzung er schon bei leichtester Fahrlässigkeit einzustehen hat (vgl. Reinelt, ZAP 2000, Fach 23, 491).

Von einer gesamtschuldnerischen Haftung zwischen Gericht und Anwalt kann also nicht die Rede sein. Vielmehr wird durch die Entscheidung des BGH die Verantwortung schadensersatzrechtlich ausschließlich auf den Anwalt abgeschoben, obwohl es doch die ureigenste Aufgabe des Gerichts ist, das Recht (richtig) anzuwenden.

Vor diesem Hintergrund war es überzeugend, dass das Berufungsgericht zwar einen Anwaltsfehler bejaht, jedoch den Zurechnungszusammenhang verneint hat. Der Zurechnungszusammenhang ist – über die adäquate Kausalität hinaus – einer wertenden Betrachtung zugänglich. Diese muss dazu führen, dass die Verletzung eigener Verpflichtung des Gerichts (falsche Rechtsanwendung) nicht in den Verantwortungsbereich des Anwalts verlagert werden darf. Vielmehr bleibt das Gericht für die richtige Rechtsanwendung verantwortlich. Der Satz „iura novit curia“, den der IX. Zivilsenat im vorliegenden Zusammenhang wegen der Einschaltung eines Anwalts beiseiteschiebt, hat nicht nur die Bedeutung, dass das Gericht das Recht kennen muss, sondern auch den Sinn, dass es die ausschließliche Verantwortung für seine richtige Anwendung trägt.

D. Auswirkungen für die Praxis
Die überdimensioniert scharfe Anwaltshaftung war bereits einmal Anlass für das BVerfG einzugreifen. Mit Beschluss vom 12.08.2002 (1 BvR 399/02 - NJW 2002, 2937) beanstandet das BVerfG ausdrücklich eine frühere Entscheidung des IX. Zivilsenats wegen einer überdimensionierten Anwaltshaftung (BGH, Urt. v. 17.01.2002 - IX ZR 182/00 - NJW 2002, 1048). Dort hatte der BGH einen Anwalt für schadensersatzpflichtig gehalten, weil er an einem unklar formulierten Prozessvergleich mitgewirkt hatte. Die Tatsache, dass der Prozessvergleich vor dem Richter abgeschlossen worden ist, hatte nach damaliger Auffassung des IX. Zivilsenats keinen Einfluss auf die Schadensersatzhaftung des Anwalts. Dazu sagt aber das BVerfG in seiner Entscheidung vom 12.08.2002 (1 BvR 399/02 - NJW 2002, 2937):

Das rechtsfehlerhafte Unterlassen eines Gerichts, das die Folgen eines anwaltlichen Fehlers perpetuiert, obwohl ihr Eintritt durch prozessordnungsgemäße Beweisaufnahme hätte verhindert werden können, kann haftungsrechtlich dem Anwalt nicht zugerechnet werden.

Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legitimiert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung aufzubürden.

Mit anderen Worten: Der Anwalt darf nicht für eine missverständliche Formulierung haftbar gemacht werden, obwohl dieser Fehler bei korrektem Vorgehen des Gerichts nicht zu einem Schaden geführt hätte (vgl. auch Medicus, AnwBl 2004, 257).

Was aber für die Mitwirkung an einem Prozessvergleich gilt, muss erst recht für unterlassene rechtliche Hinweise im Prozessvortrag gelten. Es bleibt dabei, dass es Aufgabe der Gerichte ist, das Recht richtig anzuwenden. Was das BVerfG zur damaligen Entscheidung des IX. Zivilsenats aus dem Jahr 2002 gesagt hat, gilt auch hier:

„Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legitimiert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung aufzubürden. Diese Verschiebung der Haftung zu Lasten des Rechtsanwalts ohne Grundrechtsbezug ist unzulässig. Rechtskenntnis und Anwendung sind vornehmlich Aufgabe der Gerichte. Kein Rechtsanwalt könnte einem Mandanten mehr zur Anrufung der Gerichte raten, wenn er deren Fehler zu verantworten hätte.“

Die Verschiebung der Verantwortlichkeit im Haftungsprozess vom Gericht auf den Anwalt auch in der hier besprochenen Entscheidung des BGH begegnet mit Rücksicht auf Art. 12 GG, Art. 20 Abs. 3 GG erheblichen Bedenken. Ob der IX. Zivilsenat den Beschluss des BVerfG vom 12.08.2002 übersehen, für nicht anwendbar gehalten oder ihm keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat, weil Beschlüsse der Kammern des BVerfGs im Gegensatz zu Senatsurteilen keine Gesetzeskraft haben (§ 31 BVerfGG), bleibt offen.

Es muss jedenfalls in der Praxis damit gerechnet werden, dass der BGH trotz der Schranken, die das BVerfG in der zitierten Entscheidung ausdrücklich gesetzt hat, seine strikte Linie der Anwaltshaftung in Form einer der Gefährdungshaftung angenäherten, überspannten Schadensersatzhaftung fortsetzt (vgl. hierzu Reinelt, ZAP 2000, Fach 23, 491). Ob diese Verschiebung der Verantwortung des Gerichts für seine eigene Entscheidung auf den Anwalt unter gleichzeitiger erneuter Überdehnung der Anwaltshaftung und Bejahung eines entsprechenden Zurechnungszusammenhangs vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG haltbar ist, kann mit Fug bezweifelt werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Verklagt auf Schadensersatz ist die Sozietät der beratenden Anwälte, die nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung als BGB-Gesellschaft teilrechtsfähig und damit passiv legitimiert ist (BGH, Urt. v. 29.01.2001 - II ZR 331/00 - NJW 2001, 1056; vgl. auch Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 32/2007 Anm. 2).

Neben der Sozietät haften alle (Außen-)Sozien mit ihrem persönlichen Vermögen (BGH, Urt. v. 27.09.1999 - II ZR 371/98 - BGHZ 142, 315, 318; BGH, Urt. v. 29.01.2001 - II ZR 331/00 - BGHZ 146, 341, 358) analog §§ 128 ff. HGB, es sei denn, dass Vertrauensschutz für Altfälle eingreifen würde (BGH, Urt. v. 07.04.2003 - II ZR 56/02 - NJW 2003, 1803; Reinelt, BrBp 2003, 44).

Der BGH verweist in Rn. 8 seiner besprochenen Entscheidung darauf, es entspreche auch dem Selbstverständnis der Anwaltschaft (§ 1 Abs. 3 BORA), nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken. Das mag sein.

Den Anwalt jedoch dafür haftbar zu machen, dass das Gericht falsch entschieden hat, entspricht aber mit Sicherheit weder diesem Selbstverständnis noch den verfassungsrechtlichen Vorgaben.