NJW 1970, 19

Zivilrechtliche Haftung für Demonstrationsschäden

Von Wiss. Assistent Dr. Ekko Reinelt, Regensburg

 

In letzter Zeit haben in Rechtsprechung und Schrifttum straf- und verfassungsrechtliche Fragen zum Phänomen der Demonstration Bedeutung gewonnen. Ein noch nicht rechtskräftiges Urteil des LG Berlin befaßt sich nunmehr mit der zivilrechtlichen Haftung für Demonstrationsschäden. In dieser Entscheidung wird die Auffassung vertreten, daß jeder Teilnehmer an einer gefährlichen Demonstration für Schäden haftet, die im Verlauf dieser Demonstration entstehen. Das Gericht faßt die tragenden Grundsätze seiner Entscheidung auf folgende Weise zusammen:

1. Wer durch sein Vorhaben eine Gefährdung verursacht, ist verpflichtet, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

2. Ist er dazu außerstande, hat er von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen. Dies gilt nicht, wenn die Gefährdung so geringfügig ist, daß sie gegenüber dem mit dem Vorhaben verfolgten Zweck nicht ins Gewicht fällt.

3. Nimmt er von diesem Vorhaben nicht Abstand, handelt er schuldhaft und ist gem. § 823 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.

Das LG Berlin findet in dem Verhalten eines beteiligten Demonstranten (des Beklagten) einen Verstoß gegen diese Grundsätze und leitet daraus eine Verpflichtung zum Schadensersatz ab, obwohl nicht festgestellt werden konnte, daß der Beklagte Sachbeschädigungen verübt oder dazu angestiftet hat.

Bevor man die zivilrechtliche Schadensverantwortlichkeit unter allgemeine Grundsätze subsumiert, sollten die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen durchgeprüft werden. Die zivilrechtliche Haftung eines Demonstranten setzt in jedem Fall voraus, daß in seiner Person die Voraussetzungen eines deliktischen Haftungstatbestandes verwirklicht sind oder er sich ein Verhalten eines anderen zurechnen lassen muß. In Frage kommt eine Haftung eines Demonstranten für im Verlauf der Demonstration entstandene Schäden nach § 823 Abs. 1 und Abs. 2 i. Verb. m. einem Schutzgesetz und nach § 826. Schadensverantwortlichkeit nach § 823 Abs. 1 setzt voraus, daß zwischen einem Erfolg und einer Handlung bzw. Unterlassung ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Bei § 826 muß dieser Zusammenhang zwischen Handlung und Schaden bestehen. Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 i. Verb. m. einem Schutzgesetz, etwa § 223 oder § 303 StGB, ist nur gegeben, wenn ein Schaden adäquate Folge des Verstoßes gegen das Schutzgesetz ist. Der Kausalzusammenhang muß in allen Fällen grundsätzlich konkret nachgewiesen werden. Unproblematisch ist die Anwendung der §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 (223 oder 303 StGB) auf das Verhalten eines Demonstranten, der nachweislich selbst Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen begangen hat. Wirken bei der Begehung der deliktischen Handlung mehrere bewußt und gewollt mit, wird also der deliktische Erfolg als solcher bewußt und gewollt gemeinsam verwirklicht, so sind die betreffenden Demonstranten Mittäter nach § 830 Abs. 1 Satz 1. Nach § 830 Abs. 1 Satz 1 tritt eine Haftung dieser Personen für den ganzen Schaden ein, selbst wenn die Handlung eines Mittäters nur einen Teilschaden bewirkt hat. Auch wenn einige Demonstranten nicht selbst nachweisbar unmittelbar an der schadenverursachenden Handlung beteiligt waren, so können sie für den Schaden haften.

Hierbei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
1. Die Demonstranten haben von vornherein bestimmte Gewaltakte, etwa Sachbeschädigungen oder Körperverletzung, verabredet.

2. Die Demonstration ist als friedliche geplant oder entwickelt sich spontan) In ihrem Verlauf kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen einzelner Demonstranten. Im ersten Fall ist zu prüfen, ob eine Haftung der nicht unmittelbar handelnden Demonstranten nach § 823 Abs. 1 oder § 823 Abs. 2 oder § 826 deshalb besteht, weil die gemeinsame Verabredung der entsprechenden Gewaltakte jeden der dabei beteiligten Demonstranten zum Mittäter der unerlaubten Handlung macht. Das setzt voraus, daß bereits die Verabredung gewaltsamer Handlungen als gemeinschaftliche Verursachung i. S. des §830 Abs. 1 Satz 1 anzusehen ist. Da aber Mittäterschaft nur vorliegt, wenn der konkrete deliktische Erfolg bewußt gemeinsam verwirklicht wird, kommt eine Haftung der lediglich an der Verabredung beteiligten Demonstranten nur dann in Betracht, wenn von vornherein die Verletzung ganz bestimmter Gegenstände oder Personen geplant ist. Hat man sich nur ganz allgemein auf Gewaltakte irgendeiner Art geeinigt, so scheidet aus diesen Gründen Mitäterschaft durch Handeln aus. Hier greift aber der vom LG Berlin angesprochene Gedanke ein: Wer durch Beteiligung an der Verabredung gewaltsamer Handlungen eine. Gefahr mit heraufbeschworen hat, ist aus vorangegangenem Tun zur Verhinderung deliktischer Handlungen verpflichtet. Unterläßt er das, obwohl er hätte handeln können, dann hat er den Tatbestand des §823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 durch Unterlassen verwirklicht.

Wie wohl bei den meisten Demonstrationsfällen ist auch in dem vom LG Berlin zu beurteilenden Sachverhalt ein konkreter Kausalnachweis in Form einer Mitwirkung, einer Anstiftung oder einer Beihilfe zu einer bestimmten unerlaubten Handlung gerade nicht erbracht. Auch läßt sich eine Verabredung von Gewaltakten nicht nachweisen, so daß eine deliktische Haftung durch Unterlassen ausscheidet.

Denkbar wäre in solchen Fällen eine Schadensverantwortlichkeit eines jeden Demonstrationsteilnehmers nach § 823 Abs. 2 i. Verb. m. § 125 StGB. Nach ERMAN und SOERGEL-SIEBERT) ist § 125 StGB ein Schutzgesetz. Die Kommentare beziehen sich dabei ohne Begründung auf eine Entscheidung des OLG Karlsruhe.) In dieser Entscheidung wird aber gerade das Gegenteil vertreten: § 125 StGB könne im Gegensatz zu § 227 StGB "wohl nicht" als Schutzgesetz angesehen werden. Daß diese Auffassung des OLG Karlsruhe zutreffen dürfte, ergibt sich zwar nicht zwingend aus der systematischen Stellung der Strafvorschrift, aber aus dem von ihr geschützten Rechtsgut. Schutzgesetze sind nur solche gesetzlichen Bestimmungen, die unmittelbar und vorwiegend den Schutz eines anderen bezwecken. Ist eine Vorschrift ganz vorwiegend - im öffentlichen Interesse erlassen und der Einzelne nur in Form einer Reflexwirkung geschützt, dann ist die Bestimmung kein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2.6) Obwohl der Tatbestand des § 125 StGB als objektive Strafbarkeitsbedingung Gewalttätigkeit gegen Personen oder Sachen fordert, ist primär geschütztes Rechtsgut dieser Bestimmung die öffentliche Ordnung. Ihre Sicherung kommt dem Einzelnen nur mittelbar zugute. Würde der Begriff des Schutzgesetzes auch Bestimmungen erfassen, die nur mittelbar Individualintereinen schützen, so wäre die tatbestandlich genaue Fixierung schadensersatzpflichtiger Handlungen im § 823 Abs. 1 überflüssig. Es ließen sich dann nämlich alle Fälle über eine generalklauselartige Anwendung des § 823 Abs. 2 lösen, weil, abgesehen von reinen Ordnungsvorschriften, jede Norm irgendwie letztlich auch im Individualinteresse besteht. Eine Haftung für Demonstrationsschäden nach § 823 Abs. 2 BGB, 125 StGB scheidet also aus.

Der einzige Fall einer Haftung ohne konkreten Kausalnachweis im BGB ist die Schadensherbeiführung durch Beteiligte nach § 830 Abs. 1 Satz 2. Eine Haftung von Demonstranten, die weder als Allein- noch Mittäter, als Anstifter oder Gehilfen an einer deliktischen Handlung beteiligt sind, ist somit nur möglich, wenn alle Teilnehmer einer Demonstration der zweiten Fallgruppe als Beteiligte i. S. des § 830 Abs. 1 Satz 2 angesehen werden können. Die Beteiligung setzt voraus, daß mehrere wissentlich an einer gefährlichen, zur Schadensverursachung geeigneten Tätigkeit teilgenommen haben. Beteiligtsein heißt bei einer Tätigkeit mitwirken, die zunächst nur eine Gefährdung hervorruft, aber in ihrer weiteren Entwicklung zu der den Schaden unmittelbar bewirkenden Handlung geführt hat. Entscheidend für die Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 ist also das gemeinsame Vorgehen einer Gruppe von Personen, die sich zu einem gemeinsamen Zweck zusammengefunden haben. Nun könnte man meinen, bei einer verabredeten oder auch einer spontanen Demonstration werde ja eben ein gemeinsamer Zweck, nämlich der die Demonstration veranlassende, verfolgt. Es ist aber fraglich, ob man den gemeinsamen Zweck einer bestimmten Meinungsäußerung bzw. die schlichte Teilnahme an einer friedlich konzipierten Demonstration als solche bereits für die Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 genügen lassen kann. Eine solche Interpretation würde die Grenzen der Beteiligung bei dem Massenphänomen der Demonstration zu weit ziehen, weil sie jede Teilnahme an einer Demonstration durch die Überspannung der zivilrechtlichen Haftung zu einer unerlaubten Handlung und damit zu einem illegalen Vorgang stempeln könnte. Denn jede Demonstration - auch die friedlich geplante - birgt die Gefahr spontaner gewaltsamer Handlungen Einzelner in sich und ist damit ein gefährliches Vorhaben. Geht man von der richtigen Annahme aus, daß dennoch zumindest bestimmte Demonstrationen friedlicher Art durch Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 u. Art. 8 Abs. 1 GG geschützt sind, dann gibt es in gewissem Umfang ein Recht auf Demonstration.

Daraus folgt, daß die weite, dieses Recht negierende Interpretation des Begriffs der Beteiligung bei einer Demonstration nicht richtig sein kann. Der gemeinsam verfolgte Zweck, der die Demonstranten zu Beteiligten nach § 830 Abs. 1 Satz 2 machen kann, ist nur die Teilnahme an den unmittelbar gefährdenden Handlungen im Verlauf der Demonstration. Nur die Demonstranten sind demzufolge Beteiligte, bei denen festzustellen ist, daß sie etwa Steine aufgehoben, geworfen oder sonst Gewalt angewendet, also an dem unmittelbar gefährdenden Vorgang selbst mitgewirkt haben, ohne daß sich feststellen läßt, daß ihre Beteiligung ursächlich für die Schadensherbeiführung geworden ist.