ZRP 1999, 150

Neue Haftungsregelung im Arzneimittelgesetz

Rechtsanwalt Dr. Ekkehart Reinelt, München

 

Die SPD-Fraktion bat bereits in der letzten Legislaturperiode einen Entwurf zur Änderung und Verschärfung der Arzneimittelhaftung in den Bundestag eingebracht. Dieser soll nunmehr nach dem Regierungswechsel erneut zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Er verfolgt das Ziel, den durch Arzneimittel Geschädigten eine erleichterte Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zu ermöglichen. Dazu dienen u. a.: Einführung eines Entschädigungsfonds, Beweiserleichterungen für den Fehlerbereichsnachweis, aber vor allem eine Beweislastumkehr in bestimmten Fällen für den Kausalzusammenhang zwischen Verabreichung eines Medikaments und eingetretenem Schaden. Der Entwurf bedeutet einen gravierenden Eingriff in die gesamte Dogmatik des Zivilrechts. Er führt zu kaum lösbaren Problemen des Ausgleichs im Innenverhältnis mehrerer potentieller Schädiger und ist auch verfassungsrechtlich bedenklich.

I. Sachstand

Die Fraktion der SPD hatte am 4. 3. 1998 einen Gesetzesvorschlag zur Änderung des Arzneimittelgesetzes unterbreitet (BT-Dr 13/10019 vom 21. 4. 1998, BR-Dr 265/98). Die Beschlußfassung über diesen Gesetzentwurf und den Entwurf der seinerzeitigen Bundesregierung wurde zurückgestellt. Nach dem Regierungswechsel beabsichtigt die SPD-Fraktion, ihren Gesetzentwurf erneut einzubringen. Die dort vorgesehene Neuregelung der Arzneimittelhaftung in § 84 AMG wirft erhebliche und grundlegende Bedenken auf. Wenn der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion Wirklichkeit wird, würde der Haftungstatbestand in § 84 AMG wie folgt lauten:

§ 84. (1) Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch beim Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich unmittelbar oder mittelbar verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn

1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder der Herstellung haben oder

2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.

(3) Die Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers ist ausgeschlossen, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, daß die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels ihre Ursache nicht im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben. Kann der pharmazeutische Unternehmer nicht nachweisen, daß

1 . die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbar sind oder

2. die Arzneimittelinformation den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprach oder der Schaden auch bei ordnungsgemäßer Information eingetreten wäre,

so wird vermutet, daß die Verletzung infolge der Anwendung des Arzneimittels eingetreten ist.

II. Stellungnahme

1. Einfügung der Worte "unmittelbar" oder "mittelbar"

Nach der Begründung des Gesetzes soll diese Einfügung dazu führen, daß sogenannte sekundär Geschädigte in den Schutzbereich der Haftungsregelung einbezogen werden. Beispiel: HIV-Infektion durch ein kontaminiertes Präparat beim Ehemann, Ansteckung der Ehefrau, dann Begründung eigener Ansprüche der Ehefrau. Es ist zweifelhaft, ob diese Einfügung überhaupt eine Änderung der tatsächlichen Rechtslage bedeutet. Wenn man die Auffassung vertritt, daß der Schutzbereich des § 84 Nr. 1 AMG sich auf den Arzneimittelverbraucher/Patienten beschränkt, wäre die Einfügung konstitutiv eine Änderung. Vertritt man dagegen die Auffassung, daß der Schutzbereich des § 84 AMG auch Dritte einbezieht (jedenfalls dann, wenn sie in besonderer Nähe zum Verletzten stehen), wäre es keine konstitutive Änderung.

Beide Regelungen sind mit dem Wortlaut des Textes vereinbar. Ein haftungsbegründender Kausalzusammenhang zwischen der Verabreichung eines Medikaments kann auch dann bestehen, wenn ein Dritter geschädigt wird, der das Präparat nicht eingenommen hat. Allerdings ist fraglich, ob dessen Verletzung dann noch vom Normzweck des § 84 AMG gedeckt ist.

Um den Streit über die Auslegung und damit die Belastung der Gerichte geringer zu halten, wäre es zu empfehlen, den Kreis der einzubeziehenden mittelbar Geschädigten auf solche Personen zu beschränken, die mit dem Geschädigten besonders eng, etwa in der Form einer Lebensgemeinschaft, verbunden sind.

2. Beweislaständerung in § 84 111 AMG neu

a) Gesetzestechnisches. Die Änderungen (mit Ausnahme der Einfügung der Worte "mittelbar" und "unmittelbar", vgl. oben) betreffen nicht den Abs. 1. Das bedeutet: Die den notwendigen Kausalzusammenhang anzeigende Formel

"infolge der Anwendung"

bleibt in Abs. 1 bestehen. Grundsätzlich wird also nach wie vor Kausalitätsbeweis verlangt.

Dieses Tatbestandsmerkmal wird jedoch durch die beabsichtigte Einfügung zu 3 b) "so wird vermutet, daß die Verletzung infolge der Anwendung des Arzneimittels eingetreten ist" ausgehebelt. Aus dieser Vermutungsregelung folgt, daß für die Bejahung der Haftung in Wirklichkeit ein nachgewiesener Kausalzusammenhang nicht mehr erforderlich ist. Konsequent und gesetzestechnisch richtig wäre es daher, dementsprechend auch Abs. 1 zu ändern und die dort einen notwendigen Kausalzusammenhang markierenden Begriffe "infolge der Anwendung" zu ersetzen durch "nach Anwendung". In Wirklichkeit wird nämlich statt eines Kausalzusammenhangs im Ergebnis ein schlichter "post hoc ergo propter hoc-Schluß" für die Haftung als ausreichend angesehen, soweit der dem pharmazeutischen Unternehmer auferlegte Beweis in Richtung auf Widerlegung des Kausalzusammenhangs nicht gelingt.

b) Aufgabe der bisherigen Dogmatik. Im deutschen Zivilrecht setzt eine Prüfung von Vertretbarkeit, Verantwortungsbereichen und Verschulden erst nach Bejahung eines entsprechenden Kausalzusammenhangs zwischen einer Handlung und einem Erfolg ein. Die Neufassung vermengt die Bereiche des Vertretenmüssens mit der Frage der Prüfung des Kausalzusammenhangs und vermutet einen Kausalzusammenhang, wenn zuvor durch den pharmazeutischen Unternehmer nicht nachgewiesen werden kann, daß die schädlichen Wirkungen vertretbar sind oder der Schaden auch bei ordnungsgemäßer Information über die Nebenfolgen eingetreten wäre.

Es ist dem deutschen Zivilrecht grundsätzlich fremd, Kausalitätsfragen, die einen ontologischen, allerdings auch durch Wertungen eingeengten Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg betreffen, im Ergebnis von einer Prüfung der Verantwortungsbereiche und des Vertretenmüssens abhängig zu machen. Im übrigen gibt es eine Haftung für einen vermuteten, aber nicht nachgewiesenen Kausalzusammenhang im Zivilrecht grundsätzlich nicht (Ausnahme § 83 0 12 BGB, dazu vgl. unten). Die Anknüpfung einer widerlegbaren Kausalitätsvermutung an eine verneinte Vertretbarkeit und einen nicht gelungenen Gegenbeweis mit der Folge der Fiktion eines nicht bestehenden Kausalzusammenhangs ist dogmatisch und systematisch verfehlt.

3. Unklares Verhältnis der entsprechenden Ergänzung des § 84 III Nr. 2 zu § 94 lit. b des Gesetzentwurfs

Der Gesetzentwurf beabsichtigt neben der dargestellten Änderung des § 84 AMG in § 94 lit. b die Einrichtung eines Entschädigungsfonds. Dieser soll für alle Schäden eintreten, die nach § 84 AMG dem Verletzten nicht ersetzt werden, weil der Ersatzpflichtige bei mehreren möglichen Verursachern nicht ermittelbar ist. Der Textvorschlag lautet im neu vorgesehenen § 94 lit. b 1 (Einrichtung eines Entschädigungsfonds):

§ 94b. (1) Es wird ein Entschädigungsfonds eingerichtet. Dieser hat für alle Schäden einzutreten, die nach § 84 dem Verletzten nicht ersetzt werden, weil der Ersatzpflichtige bei mehreren möglichen Verursachern nicht ermittelbar ist.

Wenn der pharmazeutische Unternehmer den ihm obliegenden Nachweis, daß die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels vertretbar waren oder Schaden auch bei Information eingetreten wäre, wie meist, nicht führen kann und das Gesetz daran die Kausalitätsvermutung anknüpft (die in der Regel vom Arzneimittelhersteller auch nicht widerlegt werden kann, weil er Umstände aus der Sphäre des Patienten beweisen müßte), haftet der Hersteller schon nach der geplanten Neufassung des § 84 AMG. Diese Haftung tritt ein, ohne daß der wirkliche Verursacher ermittelbar ist.

Umgekehrt knüpft die Eintrittspflicht des beabsichtigten Entschädigungsfonds nach § 94 lit. b daran an, daß der Ersatzpflichtige bei mehreren möglichen Verursachern den Verantwortlichen nicht ermitteln kann. Auch wenn § 94 lit. b die Eintrittspflicht des Entschädigungsfonds nur vorsieht, wenn ein Anspruch nach § 84 AMG sonst nicht gegeben ist, ist der Hinweis im Kausalsatz bei § 94 lit. b "weil der Ersatzpflichtige bei mehreren möglichen Verursachern nicht ermittelbar ist" unverständlich, weil gerade in diesem Fall ohne weiteres die Haftung nach § 84 AMG bei Nichtwiderlegung der gesetzlichen Vermutung gegeben sein kann, ohne daß der Verursacher ermittelbar ist. Im übrigen ist nach dem Gesetzentwurf auch nicht klar, welche Voraussetzungen wirklich erfüllt sein müssen und welche Darlegungen und Beweise der Anspruchsteller gegebenenfalls zu erbringen hat, um Leistungen aus dem Entschädigungsfonds in Anspruch zu nehmen.

Da der Entschädigungsfonds nach der Begründung des Gesetzentwurfs nur dann einspringen soll, wenn die Ansprüche des Geschädigten daran scheitern, daß ein Kausalitätsnachweis nicht geführt werden kann (andererseits aber auch ohne Kausalitätsnachweis in § 84 111 n. F. gehaftet werden soll), kann eine sinnvolle Regelung nur so aussehen: Die Leistungen aus dem Entschädigungsfonds kann nur in Anspruch nehmen, wer nachweist, daß alle Voraussetzungen des § 84 AMG erfüllt sind und mehrere potentiell Haftende in Betracht kommen, der Anspruch letztlich aber ausschließlich an der mangelnden Klärung der Passivlegitimation scheitert. Diese Voraussetzungen müssen vom Geschädigten dargelegt und bewiesen werden.

4. Überspannung der Darlegungs- und Beweislast des pharmazeutischen Unternehmers

Die durch den Entwurf vorgesehene Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Haftungstatbestand des § 84 S. 3 und 4 n. E widerspricht den vom BGH entwickelten Grundsätzen, wonach Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast eines Betroffenen nicht überspannt werden dürfen. Das gilt vor allem dann, wenn einem Teil angesonnen wird, Darlegungen und Beweise zu liefern, die aus der Sphäre des anderen 1 Teils stammen. Insbesondere gilt dies für Negativbeweise.

Grundsätzlich muß jeder nur Vorgänge beweisen, die sich in seiner eigenen Sphäre abspielen. Von diesem Grundsatz entfernt sich der SPD-Entwurf deutlich.

Die Neufassung des § 84 AMG durch den SPD-Entwurf vom 4. 3. 1998 (der im übrigen zurückgeht auf den entsprechenden Vorschlag des Schlußberichts des 3. Untersuchungsausschusses ("HIV-Infektionen durch Blut und Blutpräparate") vom 25. 10. 1994, löst auch das Verhältnis der bisherigen Nrn. 1 und 2 des Abs. 2 zum neu einzufügenden Abs. 3 und den dort vorgesehenen Nrn. 1 und 2 nicht schlüssig. Die neue Regelung führt zu einer vielfach gestuften Darlegungs- und Beweislast des pharmazeutischen Unternehmers. Dabei ist zunächst Abs. 2 der bisherigen Fassung ("die Ersatzpflicht besteht nur, wenn 1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben oder 2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist" in der beabsichtigten Neufassung weitgehend sinnlos, weil er im Ergebnis durch die Neufassung des Abs. 3 und die dort vorgesehenen Nrn. 1 und 2 ausgehebelt wird und daher kaum mehr selbständige Bedeutung haben wird. Es trifft eben - nach der beabsichtigten Neuregelung - nicht (mehr) zu, daß die Ersatzpflicht nur besteht, wenn die in Abs. 2 Nrn. 1 und 2 der bisherigen Regelung enthaltenen Voraussetzungen eintreten, weil der neu vorgesehene Abs. 3 die Ersatzpflicht (per argumentum e contrario) bejaht, wenn die schädlichen Wirkungen ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben und der Unternehmer entsprechende ihm auferlegte Beweise nicht führen kann. '

Nach der Neufassung hat der Geschädigte nur noch zu beweisen:

- Der pharmazeutische Unternehmer hat ein Arzneimittel in Verkehr gebracht,
- es wurde beim Verbraucher angewendet,
- es hat bei bestimmungsgemäßem Gebrauch generell (nicht notwendigerweise im konkreten Fall) schädliche Wirkungen,
- der Verbraucher ist nicht unerheblich an Körper oder Gesundheit verletzt oder gestorben.

Danach obliegt dem Unternehmer eine mehrfach gestaffelte Darlegungs- und Beweislast:

1. Die schädlichen Wirkungen des Arzneimittels haben ihre Ursache nicht im Bereich der Entwicklung oder Herstellung (dieser Beweis kann in der Regel nicht geführt werden, weil dieser Bereich außerordentlich weit gefaßt wird. So wurde beispielsweise dieses Merkmal bejaht bei durch Viren verunreinigten Blutpräparaten, obwohl Viren ja nicht originär bei der Entwicklung oder Herstellung entstehen, sondern allenfalls nicht eliminiert werden) oder

2. schädliche Wirkungen des Arzneimittels waren nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbar (Abwägung Nutzen - Risiko - Relation, bisher sehr hohe Anforderungen der Rechtsprechung an die positive Nutzen - Risiko - Relation) oder

3. Gebrauchsinformation entsprach den Erkenntnissen oder

4. der Schaden wäre auch bei ordnungsgemäßer Information eingetreten (Beweis kaum zu führen).

Kann er einen dieser Beweise nicht führen, gilt die Kausalitätsvermutung und er muß den Beweis führen, daß die Verletzung nicht infolge der Anwendung des Arzneimittels eingetreten ist. Dieser Negativbeweis ist kaum zu führen, weil der Unternehmer die Umstände nicht kennt, die mögliche andere Kausalitätsverläufe aus dem Bereich des Patienten betreffen und ihm überhaupt erst die entsprechenden Darlegungen, geschweige denn Beweisführungen ermöglichen. Die aufgestellte Beweisanforderung eines so umfassenden Negativbeweises aus einer nicht vom pharmazeutischen Hersteller beherrschbaren Sphäre widerspricht dem von den Gerichten insoweit herausgearbeiteten Zumutbarkeitsgesichtspunkt.

5. Auswirkungen auf das Innenverhältnis mehrerer Haftender

Die Auswirkungen der beabsichtigten Neuregelung mit der unter bestimmten Voraussetzungen vermuteten Kausalität auf das Innenverhältnis sind nicht ausreichend durchdacht.

Wenn mehrere materiellrechtlich ersatzpflichtig, also Haftungstatbestände eindeutig verwirklicht sind, regelt § 93 AMG die gemeinsame gesamtschuldnerische Haftung. Nach S. 2 dieser Vorschrift hängen die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes und die Ausgleichspflicht davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.

Durch die neu beabsichtigte Regelung entsteht ein Haftungstatbestand jedoch nicht schon dann, wenn materiellrechtliche Voraussetzungen eindeutig bestehen oder nicht bestehen, sondern der Haftungstatbestand wird als Folge einer bestimmten Beweislage zur Entstehung gebracht, nämlich dann, wenn der Unternehmer die durch den Gesetzentwurf aufgestellte Kausalitätsvermutung nicht widerlegen kann. Diese Widerlegung kann er jedoch noch in der letzten mündlichen Verhandlung eines gerichtlichen Verfahrens bewirken. Daraus folgt: Wenn mehrere pharmazeutische Unternehmer, bei denen diese Vermutung eine Rolle spielt, verklagt werden, entsteht der Tatbestand der gesamtschuldnerischen Haftung erst durch die Art und Weise der Prozeßführung und die dort erfolgenden oder unterbleibenden Darlegungen und Beweise in der letzten mündlichen Verhandlung. Dieses dogmatisch mehr als fragwürdige Ergebnis - Entstehung einer gesamtschuldnerischen Haftung erst durch ein bestimmtes prozessuales Vorgehen und Verhalten - hat folgende Konsequenz:

Verklagt der Geschädigte zwei in Betracht kommende pharmazeutische Unternehmer auf Ersatz, und können beide den Entlastungsbeweis nicht führen, haften sie nach § 93 AMG als Gesamtschuldner. Eine Gewichtung ihrer Verantwortlichkeit nach S. 2 des § 93 AMG ist bei einem vermuteten und nicht widerlegten Kausalzusammenhang nicht möglich. § 93 S. 2 AMG läuft daher völlig leer. Es bleibt nur die Anwendung des § 426 11 BGB mit der Haftung zu gleichen Anteilen. Verklagt der Geschädigte zehn in Betracht kommende pharmazeutische Unternehmer, und gelingt diesen der Entlastungsbeweis nicht, haften sie im Innenverhältnis je zu einem Zehntel.

Materiellrechtlich und prozessual besonders unübersichtlich und kompliziert wird die Situation, wenn der Geschädigte mehrere potentielle Schädiger nicht an seinem Wohnsitzgericht nach § 94 a AMG verklagt, sondern entweder gleichzeitig oder sukzessive wegen des gleichen Vorfalls an deren Wohnsitzgericht auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Dieses Vorgehen gegen potentielle Gesamtschuldner ist ohne weiteres möglich, und zwar sogar ohne einen Hinweis auf die mögliche Mithaftung anderer Gesamtschuldner. Der Geschädigte muß also in seinen Klageanträgen gegen den einzelnen Hersteller noch nicht einmal die Einschränkung machen, daß der in Anspruch genommene Hersteller "neben" anderen Herstellern als Gesamtschuldner haftet. Er kann, da sie nicht notwendige Streitgenossen i. S. des § 62 BGB sind, mehrere Gesamtschuldner ohne jeden Hinweis auf die Mithaftung anderer Gesamtschuldner an den Wohnsitzgerichten verklagen, mit der Folge, daß über denselben Sachverhalt mehrere, gegebenenfalls kontroverse Entscheidungen ergehen können 3 . Erst wenn einer der Gesamtschuldner zahlt, können die anderen - sofern sie es erfahren - im Wege der Vollstreckungsgegenklage gegen gegebenenfalls ergangene gleichlautende Urteile vorgehen. Mit der Einreichung einer Klage gegen Gesamtschuldner ist es nicht erforderlich, daß der Geschädigte im Antrag kenntlich macht, daß eventuell noch andere Gesamtschuldner auf das gleiche Interesse mithaften.

Gerade auf dem Gebiet des Arzneimittelrechts, bei dem die verschiedenen möglichen Hersteller aufgrund von Sachverhalten in Anspruch genommen werden können, die sich über Jahrzehnte hinziehen (regelmäßige Verabreichung bestimmter Präparate verschiedener Hersteller), entsteht hierdurch eine völlig unübersichtliche und auch für die Ausgleichsansprüche der in Anspruch Genommenen kaum beherrschbare Situation. Diese wird durch das geschilderte Regreßproblem bei der vermuteten Kausalität in unerträglicher Weise verschärft.

Im Ergebnis bestimmt der Umfang der Inanspruchnahme durch den Geschädigten (bei einem nicht widerlegten vermuteten Kausalzusammenhang) damit den Haftungsumfang des einzelnen pharmazeutischen Unternehmers, und zwar unter Umständen ohne daß dieser überhaupt die eventuell mithaftenden Gesamtschuldner kennt.

Das geschilderte Ausgleichsproblem im Innenverhältnis mehrerer Gesamtschuldner existiert in dieser Weise im Falle des § 830 I 2 BGB, in dem eine Kausalität vermutet wird, nicht. § 830 I 2 BGB enthält zwar auch einen Fall der vermuteten Kausalität. Er ist anwendbar bei Urheberzweifeln. Im Falle des § 830 I 2 BGB muß es sich aber mindestens um die Beteiligung an einem tatsächlichen, in irgendeiner Weise eng abgrenzbaren Vorgang handeln, eine Voraussetzung, an der die Rechtsprechung mit Recht immer noch festhält, auch soweit sie diese Vorschrift entsprechend in den Fällen der Gefährdungshaftung anwendet. In diesem Ausnahmefall wird der notwendige Nachweis der Kausalität durch die Beteiligung ersetzt: Die Beteiligung an einem gemeinsamen gefährlichen Tun rechtfertigt es, die Akteure auch ohne bewiesene Kausalität zur Haftung heranzuziehen. Der Tatbestand ist eng begrenzt auf tatsächlich gefährdendes Zusammenwirken. Daher fordert die höchstrichterliche Rechtsprechung immer noch einen engen räumlichen und sachlichen Zusammenhang der Verletzungshandlungen

In diesem Fall bestehen aber, da Verursachungsbeiträge aufgrund des tatsächlichen Zusammenwirkens bei einem gefährlichen Tun jedenfalls abgeschätzt werden können, keine Probleme im Regreßverhältnis. Der Haftungstatbestand des § 830 I 2 BGB in Verbindung mit einer anspruchsbegründenden Norm, etwa § 823 I BGB, ist zudem als Folge eines wirklichen Geschehens unabhängig von der prozessualen Geltendmachung begründet oder nicht begründet. Materielle Ansprüche und Regreßansprüche resultieren aus einem abgeschlossenen Lebenssachverhalt. Anders als im geschilderten Fall der Inanspruchnahme mehrerer pharmazeutischer Unternehmer auf der Basis des beabsichtigten Änderungsentwurfs der SPD zu § 84 AMG steht der Umfang von Regreßansprüchen aufgrund der Gewichtung der Tatbeiträge mehrerer Beteiligter völlig unabhängig vom prozessualen Vorgehen fest. Zunächst nicht in das Verfahren einbezogene Beteiligte können auch später mit Aussicht auf Erfolg auf anteilige Erstattung in Regreß genommen werden. Diese Überlegungen lassen sich auf den neu geschaffenen Tatbestand und das daraus sich ergebende Problem im Innenverhältnis mehrerer Arzneimittelhersteller nicht übertragen, weil Tatbeiträge bei vermuteter Kausalität mehrerer Hersteller, die überhaupt nichts miteinander zu tun hatten, in keiner Weise gewichtet werden können, und daher nur der Weg der Anwendbarkeit des § 426 S. 1 BGB, also die gleichmäßige Haftung der tatsächlich in Anspruch Genommenen, verbleibt. Da aber erst im Verfahren im Falle der nicht widerlegten Vermutung die Haftung sozusagen konstitutiv entsteht, ergibt sich folgendes Ergebnis: Der Umfang der letztlich im Innenverhältnis verbleibenden gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer in Anspruch Genommener hängt vom Zufall oder von der Beliebigkeit der Entscheidung des Geschädigten ab, wieviele der möglichen Hersteller er gerichtlich in Anspruch nimmt und wievielen der Entlastungsbeweis nicht gelingt. Damit hat es der Geschädigte - ohne daß hierfür irgendwie objektive Tatbestände maßgebend wären - von sich aus in der Hand, den Umfang der letztlich im Innenverhältnis verbleibenden Haftung des einzelnen pharmazeutischen Unternehmers durch seine prozessualen Maßnahmen zu bestimmen. Zudem wächst dadurch das Haftungsrisiko der Hersteller unabsehbar, da, wenn der Verletzte zehn verschiedene Produkte verwendet und nur einen Hersteller haftbar macht, bei ungünstiger Beweislage dieser eine für mögliche Verletzungshandlungen durch alle zehn Produkte haften würde. Dies bedeutet eine unzumutbare und ausschließlich in die Hand des Geschädigten gelegte Haftungsverschärfung. Es widerspricht nicht nur allen Grundsätzen des Zivilrechts, sondern ist meines Erachtens auch verfassungsrechtlich bedenklich, wenn es ein Geschädigter in der Hand hat, durch die Art und Weise seiner prozessualen Maßnahmen letztlich den Umfang der materiellen Haftung eines pharmazeutischen Unternehmers zu bestimmen. Durch diese prozessuale Beweisregel und ihre Folgen wird das Willkürverbot des Art. 3 GG verletzt, weil durch Klage und Urteil die Haftung ohne sachlichen Differenzierungsgrund auf nur einen oder nur auf bestimmte Hersteller abgewälzt wird. Ebenso liegt ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 20 III GG vor, das aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit fordert, daß die Grenzen des rechtlichen Spielraums genau abgesteckt sein müssen.

Gerade im grundrechtsintensiven Bereich der Berufsund Eigentumsfreiheit nach Art. 12 und 14 GG gilt: Wenn der Gesetzgeber schon eine so weitreichende Haftung unter Verwendung einer Kausalitätsvermutung schaffen will, muß diese in ihrer Intensität, in Umfang und Risiko genau bestimmt werden, soll sie denn zumutbar sein. Der einzelne pharmazeutische Unternehmer kann so nämlich nicht mehr vorhersehen, welche Haftung für ihn entstehen wird und ob das Risiko für ihn beherrschbar ist. Zur Umkehr der Beweislast im Zusammenhang mit dem Arzthaftungsprozeß hat das BVerfG im übrigen im Beschluß vom 25. 7. 1979 Vorgaben gemacht, die auch hier zu beachten sind:

Bei dieser Eigenart des Arzthaftungsprozesses muß es verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, die Beweislast für ein bestimmtes Vorbringen generell einer Seite aufzubürden, die von der typischen Art der Fallkonstellation her in der Regel nicht in der Lage sein kann, den erforderlichen Beweis zu erbringen. ... "

Mit diesen Grundsätzen läßt sich eine generelle und unspezifische Umkehr der Beweislast im Arzneimittelrecht zu Lasten des Herstellers in bezug auf Vorgänge, die er überhaupt nicht kennen und beherrschen kann, nicht vereinbaren. Deshalb bestehen erhebliche Bedenken gegen die vorgeschlagene Neuregelung. Darüber hinaus paßt diese Regelung in keiner Weise in die Dogmatik des bisherigen Zivil- und Zivilverfahrensrechts. Das Deutsche Recht kennt grundsätzlich keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast in bezug auf konkrete Kausalzusammenhänge. In eng begrenzten Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung eine solche Beweislastumkehr beispielsweise im Arzthaftungsrecht bejaht, wenn der Arzt einen so groben Behandlungsfehler begangen hat, wie er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. In diesem Ausnahmefall, in dem es um konkrete genau abgrenzbare Sachverhalte geht, entstehen die geschilderten Probleme im Innenverhältnis mehrerer Haftender nicht.

Die Gefährdungshaftungstatbestände in verschiedenen Sondergesetzen sehen sämtlich eine Umkehr der Beweislast in bezug auf den konkreten Kausalzusammenhang nicht vor. Lediglich im Umwelthaftungsgesetz gibt es eine Einschränkung: Die Beweislast für Kausalzusammenhänge wird dort umgekehrt, allerdings auch nur dann, wenn eine der dort definierten Anlagen nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den entstandenen Schaden zu verursachen (§ 6 UmwelthaftG). Der Geschädigte muß also hier zunächst einmal mindestens die generelle Eignung nachweisen, wonach die Anlage einen Schaden der vorliegenden Art unter Umständen verursachen kann, bevor es zu einer Beweislastumkehr in bezug auf den konkreten Kausalzusammenhang kommt. Andererseits sind die Kausalitätsvermutung und die Beweislastumkehr hier vom Betreiber der Anlage ohne weiteres dadurch auszuhebeln, daß darauf hingewiesen wird, daß mehrere Anlagen eine entsprechende Eignung aufweisen (§ 7 UmwelthaftG). In all diesen Fällen entstehen Probleme im internen Regreßverhältnis nicht in der gleichen Weise. Eine generelle Umkehr der Beweislast für einen konkreten Kausalzusammenhang im Arzneimittelrecht würde - wie dargelegt - im Ergebnis systemfremd eine ohne konkreten Kausalitätsnachweis begründete pro-rata-Haftung beliebig in Anspruch genommener Arzneimittelhersteller im Innenverhältnis begründen, die mit dem Gerechtigkeitsgedanken noch weniger vereinbar ist als die amerikanische market-sharing-Iiability.

Die Konsequenzen der Neuregelung des § 84 III AMG halten auch nicht einer Parallelwertung mit ähnlichen Instituten des Zivilrechts stand. Für das gesamte Deliktsrecht gilt, daß gemäß §840 BGB mehrere in Betracht kommende Schädiger untereinander Regreß nehmen können. Hier stehen bei der Gesamtschuldnerschaft sowohl materielle Anspruchsgrundlagen wie auch eine materielle Haftungsverteilung nach dem Verursachungsbeitrag zur Verfügung: Gem. § 17 StVG können mehrere Ersatzpflichtige untereinander Regreß nehmen, auch wenn der Anspruch nur gegen einen eingeklagt wurde. Dem Regreßanspruchsteller wird in der Regel in solchen Fällen die Ermittlung seiner ausgleichspflichtigen Mithaftenden und die Darlegung und der Beweis der entsprechenden Voraussetzungen für Ausgleichsansprüche nicht schwer fallen. Völlig anders wäre jedoch die Sachlage bei § 84 III der vorgeschlagenen Neuregelung, weil die Einnahme verschiedener Präparate zeitlich weit auseinander liegen kann (man denke nur etwa an die lebenslange Einnahme blutdrucksenkender Präparate durch Hypertoniker), und der eine Hersteller möglicherweise vom anderen überhaupt nichts weiß.

Das durch die Neuregelung zu erwartende rechtliche und prozessuale Durcheinander wird dann besonders deutlich, wenn wegen gleichen Präparats durch verschiedene Betroffene geklagt wird und ein Gericht in einem Fall die Vertretbarkeitsprüfung positiv, im anderen negativ beurteilt (was, wie oben dargelegt, sogar im selben Haftungsfall und getrennten Klagen gegen mehrere pharmazeutische Unternehmer durchaus denkbar ist). Wenn dem pharmazeutischen Hersteller im schlechteren Falle dann die Widerlegung der Vermutung nicht gelingt, stehen am Ende gegebenenfalls rechtskräftige Urteile, deren eines den Kausalzusammenhang zwischen der Verabreichung des Präparats bejaht und ein anderes ihn verneint. Nun mag man einwenden, daß dieses Risiko bei verschiedenen Prozessen und verschiedenen Beteiligten, also verschiedenen Streitgegenständen immer entsteht. Gerade auf dem Gebiet des Arzneimittelwesens, bei dem große Teile der Bevölkerung mit dem gleichen Präparat versorgt werden, sind solche Ergebnisse jedoch außerordentlich ungut und bringen den pharmazeutischen Unternehmer zwischen Scylla und Charybdis: Was soll er bei divergierenden Urteilen dieser Art dann mit seinem Medikament tun? Bewirkt es bestimmte Schäden beim Verbraucher oder tut es das nicht? Ist eine in einem Fall vermutete Wirkung eine solche, die in der Gebrauchs- oder Fachinformation dargestellt werden muß?

Die Beispiele zeigen, daß die beabsichtigte Einführung der Vermutung eines konkreten Kausalzusammenhangs zu zahlreichen Problemen und ungelösten Fragen führen wird. Der ontologische Begriff des Kausalzusammenhangs, der allenfalls durch wertende Überlegungen eingeschränkt sein kann, ist kein geeigneter Tummelplatz für unausgereifte dogmatische Experimente. In das dabei sowohl für Verbraucher als auch für pharmazeutische Unternehmer entstehende Chaos würde die Rechtsprechung kaum Ordnung bringen können.

Die im SPD-Entwurf vorgeschlagene Neuregelung des § 84 AMG führt - wie dargelegt - zu nicht lösbaren materiellrechtlichen, verfahrensrechtlichen und praktischen Schwierigkeiten, zu unvertretbaren Ergebnissen und begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken.

6. Unvereinbarkeit der Beweislastumkehr mit EG-Recht

Es wurde bereits vielfach darauf hingewiesen, daß die Neuregelung der Beweislast zum Kausalzusammenhang (Beweislast nach dem Entwurf beim pharmazeutischen Unternehmer) EG-rechtlich problematisch ist und gegen Art. 4 der EG-Richtlinie verstößt. Richtig ist diese Annahme, wenn die Vermutung des Kausalzusammenhangs einen Kausalzusammenhang zwischen einem Fehler und einem Schaden betrifft, weil Art. 4 der EG-Richtlinie zwingend vorschreibt, daß der Geschädigte den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen hat. Nun hat man lange darüber debattiert, ob der produkthaftungsrechtliche Begriff des Fehlers, der in § 84 AMG ja nicht vorkommt, überhaupt Anwendung finden kann oder nicht, mit anderen Worten, ob die dort vorgesehene Vertretbarkeitsprüfung im negativen Falle als Fehler des Arzneimittels angesehen werden kann. Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

- der Darbietung des Produkts,
- des Gebrauchs des Produkts mit dem billigerweise gerechnet werden kann,
- des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde,

zu erwarten berechtigt ist (Art. 6 I EG-Produkthaftungsrichtlinie).

Der Fehlerbegriff im Sinne der Produkthaftung ist also definiert durch die objektive Geeignetheit, das Integritätsinteresse des Kunden zu schädigen. Damit entspricht der Begriff inhaltlich genau demjenigen, der bei einer Vertretbarkeitsabwägung i. S. des § 84 AMG zu einer negativen Bewertung führt. Dem steht auch nicht entgegen, daß es im Bereich des Arzneimittelrechts auf den Stand von Wissenschaft und Technik, im übrigen Produkthaftungsrecht auf die berechtigten Verbrauchererwartungen ankommt. Diese Differenzierung liegt in der Natur der Sache, ändert aber nichts daran, daß es im einen wie im anderen Fall um fehlerhafte Produkte geht. Auch wenn der Begriff des Fehlers in § 84 AMG nicht auftaucht, ist ein entsprechend negativ zu bewertendes Präparat i. S. des § 84 AMG fehlerhaft. Das wurde auch bereits im Schlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses ("HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte") vom 25. 10. 1994, so gesehen. Der Schlußbericht spricht ausdrücklich von objektiver Fehlerhaftigkeit entsprechender Präparate, die entweder in der unvertretbaren Schädlichkeit oder in der fehlerhaften Information besteht.

Auch ohne daß das Arzneimittelgesetz den Begriff des Fehlers erwähnt, handelt es sich demnach bei dem Zusammenhang zwischen einem als nicht vertretbar eingestuften Präparat und einer eingetretenen schädigenden Wirkung beim Patienten um den Kausalzusammenhang zwischen einem Fehler und einer Rechtsgutverletzung i. S. der EG-Richtlinie. Dann aber verstößt die im SPD-Entwurf vorgesehene Beweislastumkehr in bezug auf den Kausalzusammenhang gegen Art. 4 der EG-Richtlinie.

Im übrigen hat das Europäische Parlament eine Ausdehnung der EU-Produkthaftlinie bereits in erster Lesung gebilligt. Danach werden landwirtschaftliche Produkte in die Produkthaftung der Richtlinie einbezogen. Das bedeutet, daß für Lebensmittel die in Art. 4 der EG-Richtlinie vorgesehene Beweislastverteilung gelten wird. Es ist sachlich nicht zu rechtfertigen, einen derart gravierenden Unterschied zwischen der Beweislastverteilung bei Haftung für Lebensmittel und Arzneimittel im Deutschen Recht festzuschreiben.

7. Keine heute mehr bestehenden unüberwindbaren Schwierigkeiten für die Durchsetzung von Ansprüchen Geschädigter

Die in der Vergangenheit aufgetretenen Schwierigkeiten des Nachweises der Haftungsvoraussetzungen für Betroffene hatten ihren Grund im wesentlichen darin, daß es diesen Betroffenen nicht mehr möglich war, den jeweiligen Sachverhalt genauer aufzuklären. Die inzwischen in der Rechtsprechung entwickelte und gefestigte Auffassung zur Beweislastumkehr bei mangelhafter Dokumentation (Befundsicherungspflicht des Herstellers) schützt den Geschädigten jedoch in größerem Maße. Diese Entscheidung führte erstmalig eine nicht erst bei der Frage des Verschuldens eingreifende Beweislastumkehr ein, wenn der Hersteller seine Sorgfaltspflichten durch nicht ausreichende Dokumentation verletzt. Diese Rechtsprechung zusammen mit dem Gesetzgebungsvorschlag der früheren Bundesregierung zur Einführung eines (nach dem sinnvollen Ergänzungsvorschlag des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller als gegenseitig ausgestalteten) Auskunftsanspruchs über Nebenwirkungserkenntnisse im 2. Schad-ÄndG trägt den Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten des Geschädigten ausreichend Rechnung, ohne in dogmatisch zweifelhafter und im Ergebnis unzumutbarer Weise die Darlegungs- und Beweislast des Herstellers zu überspannen. Allerdings müßte nach Auffassung des Verfassers ein Auskunftsanspruch aufgrund der geschilderten Problematik insbesondere im Regreßverhältnis - wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller vorgeschlagen hat - als gegenseitiger ausgestaltet sein. Auch der Arzneimittelhersteller muß mit einem Auskunftsanspruch mindestens die Tatsachen klären können, die zur Feststellung erforderlich sind, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang seine Ersatzpflicht besteht, und ob und in welchem Umfang er im Falle einer erfolgreichen Inanspruchnahme Regreßansprüche geltend machen kann. In diesem Zusammenhang ist es natürlich auch notwendig, daß dem Geschädigten die Verpflichtung auferlegt wird, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.

Zudem hilft die Rechtsprechung dem Geschädigten bei gleichgearteten Geschehensabläufen, wie sie auch bei Verabreichung von Arzneimitteln in Betracht kommen, auch durch eine angemessene Regelung in Form des Anscheinsbeweises. Die Bejahung eines Anscheinsbeweises überspannt im Gegensatz zur Umkehrung der Beweislast beim Kausalzusammenhang die zumutbaren Anforderungen an den Vortrag des pharmazeutischen Unternehmers nicht, weil dieser den Anscheinsbeweis durch die bloße Darlegung (nicht den Beweis) ernsthafter abweichender Möglichkeiten des Geschehensablaufs entkräften kann.

Aus all diesen Gründen halte ich die vorgesehene Beweislastumkehr des SPD-Entwurfs für verfehlt. Die bessere Lösung besteht darin, einen umfassend ausgestalteten gegenseitigen Auskunftsanspruch gesetzlich zu fixieren, wie er in Ansätzen bereits im seinerzeitigen Entwurf der alten Bundesregierung und nunmehr vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller vorgeschlagen worden ist.

8. Einführung eines Sondertatbestandes für Schmerzensgeld in das Arzneimittelgesetz

Der SPD-Entwurf sieht vor, daß dem bisherigen § 87 ein neuer S. 2 mit folgendem Inhalt angefügt wird:

§ 87. (2) Der Verletzte kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen.

Damit wird in einem Sondergesetz, nämlich dem Arzneimittelgesetz, ein Schmerzensgeldanspruch an einen (durch eine Vertretbarkeitsprüfung eingeschränkten) Gefährdungshaftungstatbestand angeknüpft.

Bereits im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes, das bei der Verabreichung von Arzneimitteln bekanntlich nicht Anwendung findet (§ 15 ProdHG), war die Frage diskutiert worden, ob der deutsche Gesetzgeber sich dazu entschließen sollte, Schmerzensgeld auch bei Erfüllung der Gefährdungshaftungstatbestände des Produkthaftungsgesetzes zuzubilligen. Die EG-Richtlinie zur Produkthaftung vom 25. 7.1985 hatte dem nationalen Gesetzgeber diese Möglichkeit offen gelassen. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Auf dem 26. Deutschen Verkehrsgerichtstag 1988 hatte der produkthaftungsrechtliche Arbeitskreis empfohlen, den immateriellen Schaden nicht in die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz einzubeziehen. An diese Empfehlung hat der Gesetzgeber sich gehalten.

Nunmehr soll durch den Entwurf ein Sondertatbestand mit Schmerzensgeldansprüchen ins Arzneimittelgesetz eingeführt werden. Es besteht jedoch kein sachlich einleuchtender Grund, den durch Arzneimittel Geschädigten anders zu behandeln als denjenigen, der durch ein anderes Produkt oder Umwelteinwirkungen zu Schaden gekommen ist.

Ungeachtet der Tatsache, daß das Bestreben verständlich ist, Schmerzensgeldansprüche auch bei Gefährdungshaftungstatbeständen zuzubilligen (zumal Gefährdungshaftungstatbestände den deliktischen Tatbeständen aufgrund der verobjektivierten Haftung des § 276 BGB und der Beweislastumkehr bezüglich des Verschuldens stark aneinander angenähert sind), sollte hier keine Sonderregelung in einzelnen Gesetzen erfolgen, sondern entsprechend dem Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften eine allgemeine Regelung getroffen werden, die dann aber in gleicher Weise für alle Gefährdungshaftungstatbestände gilt. Eine Sonderregelung im Arzneimittelgesetz ist gerade in der Parallelität zum Produkthaftungsgesetz und der dort getroffenen Grundentscheidung rechtssystematisch weder sinnvoll noch ausgewogen.

9. Zusammenfassende Vorschläge

(1) Nach Auffassung des Verfassers empfiehlt es sich, folgende neue Regelungen in § 84 AMG aufzunehmen:

§ 84. (1)' Dem Verletzten stehen Geschädigte gleich, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben. . . .

(3) Hat das Arzneimittel bereits schädliche Wirkungen der gleichen Art und Schwere in vergleichbaren anderen Fällen ausgelöst, wird vermutet, daß ihm schädliche Wirkungen eigen sind, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und aus dem Bereich der Entwicklung oder der Herstellung des Medikaments stammen.

(4) Liegen tatsächlich Anhaltspunkte dafür vor, daß ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat, kann der Geschädigte vom pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen. Der Anspruch richtet sich auf die Mitteilung der dem pharmazeutischen Unternehmer bekannten Nebenwirkungen und Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. Der Anspruch erstreckt sich dabei auf solche Angaben oder Unterlagen, die der pharmazeutische Unternehmer im Zulassungsverfahren oder im Rahmen des § 29 Abs. 1 zu machen hatte.

(5) Wird gegen den pharmazeutischen Unternehmer ein Anspruch auf Auskunft geltend gemacht, hat er seinerseits gegenüber dem Anspruchsteller einen Anspruch auf Auskunft über die Krankheitsdaten, die Untersuchungsbefunde und über Verwendung von Arzneimitteln anderer Hersteller, die zu dem entsprechenden Befund geführt haben könnten, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Ersatzpflicht besteht, und/oder der pharmazeutische Unternehmer im Falle einer Inanspruchnahme Regreßansprüche geltend machen kann. Der Geschädigte ist verpflichtet, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, soweit dies zur Beschaffung von Krankheitsdaten und Untersuchungsbefunden erforderlich ist.

(6) Der pharmazeutische Unternehmer, gegen den ein Anspruch nach den Vorschriften dieses Abschnitts geltend gemacht wird, hat gegen die zuständige Bundesoberbehörde einen Anspruch über alle dort vorliegenden Nebenwirkungsmeldungen zu dem Arzneimittel, soweit es sich um Nebenwirkungen handelt, durch die der Schaden tatsächlich oder vermeintlich verursacht wurde. Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn der Geschädigte von seinem Recht, von der zuständigen Bundesbehörde Auskunft zu verlangen, keinen Gebrauch macht.

(2) Von der Einführung eines Sondertatbestandes für Schmerzensgeld in § 87 AMG ist aus rechtssystematischen Gründen abzuraten.

(3) Die Regelung über den Entschädigungsfonds nach § 94 b 1 könnte wie folgt lauten:

§ 94b. (1) Es wird ein Entschädigungsfonds eingerichtet. Dieser hat - sofern die Geltendmachung eines Anspruchs nach § 84 AMG ausschließlich daran scheitert, daß der Ersatzpflichtige bei mehreren möglichen Verursachern nicht ermittelbar ist - dem Verletzten die entstandenen Schäden zu ersetzen.