ZAP 2021 Heft Nr. 13, Seite 643

ZAP Rechtssprechung

Verhaltene Ansprüche im Baurecht

BGH, Urt. v. 25.3.2021 – VII ZR 94/20 (ZAP EN-Nr. 347/2021)
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Karlsruhe

Leitsatz
Die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 648a Abs. 1 S. 1 BGB i.d.F. vom 23.10.2008 (jetzt § 650f Abs. 1 S. 1 BGB) beginnt nicht vor dem Verlangen des Unternehmers nach Sicherheit.

Inhalt
I. Sachverhalt
II. Entscheidung der Gerichte
III. Einordnung und rechtliche Würdigung
IV. Auswirkungen für die Praxis und Fazit

I. Sachverhalt
Ein Unternehmen wird von der Klägerin im Jahr 2013 mit der Erbringung von Rohbauarbeiten für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses beauftragt. Nach Abnahme der Arbeiten legte die Klägerin im Jahre 2014 Schlussrechnung. Über die strittige Schlussrechnung wird ein Werklohnprozess geführt. Erst im Jahr 2018 (also nach Ablauf von drei Jahren seit Schlussrechnung) forderte die Unternehmerin die Bauherrschaft erfolglos auf, eine Sicherheit für noch nicht gezahlte Vergütungen zu stellen.

Die Klage auf Sicherheit wird vom Landgericht wegen Verjährung abgewiesen. Auf die Berufung verurteilt das Berufungsgericht den Bauherren zur Stellung der Sicherheit. Dieser Anspruch sei nicht verjährt.

Der BGH weist die dagegen gerichtete Revision zurück.

II. Entscheidung der Gerichte
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob es sog. verhaltene Ansprüche im Baurecht gibt.

Mit der neuen Entscheidung vom 25.3.2021 (VII ZR 94/20), die die Verjährungseinrede des Bauherrn unbeachtet lässt, hat der BGH nach einem langen Streit in Rechtsprechung und Literatur die Existenz von verhaltenen Ansprüchen im Baurecht bejaht.

Erstaunlich ist: Wenn man in Inhaltsverzeichnissen – nicht nur baurechtlicher – Schriften oder Kommentare diesen Terminus sucht, findet man nichts. Trotzdem sind sie keine beliebige Erfindung. Ein verhaltener Anspruch ist ein Anspruch, der fällig wird und dessen Verjährung erst dann beginnt, wenn er tatsächlich geltend gemacht wird.

Beispielsweise stellt bei der Leihe die Aufforderung zur Rückgabe eine konkludente Kündigung dar. Das Leihverhältnis wird also durch eine ordentliche Kündigung beendet oder in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt. Wenn der Anspruch von einer Kündigung abhängt, läuft die Verjährung erst ab Kündigung. Hier regelt § 604 Abs. 5 BGB ausdrücklich den Beginn der Verjährung auf Rückgabe der Sache mit Beendigung der Leihe. Genauso ist es bei der Verwahrung: Nach § 695 S. 2 BGB beginnt die Verjährung des Anspruchs auf Rückgabe der Sache mit der Rückforderung. Das leuchtet ein, weil erst das Rückgabeverlangen das Rechtsverhältnis in ein Rückgabeverhältnis umgestaltet.

Eine ähnliche Vorschrift, die den Beginn der Verjährung an eine Handlung des Berechtigten knüpft, enthält das neue Baurecht in § 650g Abs. 4 BGB. Danach ist die Vergütung aus einem Werkvertrag erst und nur dann zu entrichten, wenn der Unternehmer eine prüffähige Schlussrechnung erteilt hat (§ 650g Abs. 4 Ziff. 2 BGB).

All diesen Ansprüchen ist gemeinsam, dass die Verjährung erst nach einer Handlung des Berechtigten beginnt.

Wie steht es nun mit dem Anspruch auf Bauhandwerkersicherung (§ 648a BGB a.F., § 650f BGB n.F.)? Entsprechende Regelungen enthält die Vorschrift weder in der alten noch der neuen Fassung. Die Vorschrift ist mehrfach geändert und seit Inkrafttreten des Forderungssicherungsgesetzes mit Wirkung ab 1.1.2009 als strikter Anspruch ausgestaltet worden. Obwohl das Thema des verhaltenen Anspruchs bereits damals diskutiert worden ist, hat der Gesetzgeber eine Sonderregelung für die Verjährung nicht getroffen. Muss daraus geschlossen werden, dass die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) des Anspruchs auf Bauhandwerkersicherung bereits mit Abschluss des Bauvertrags zu laufen beginnt? Oder sind die Ausnahmevorschriften der §§ 604 Abs. 5, 695 S. 2 BGB gleichwohl analog anzuwenden?

Das Thema des verhaltenen Anspruchs war bereits vor Änderung des § 648a BGB a.F. (jetzt § 652f BGB) Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung. Der XI. Senat des BGH hatte hierzu durch Urteil vom 29.1.2008 (XI ZR 160/07, NJW 2008, 1729, 1730, 1731) ausgeführt:

„Die Fälligkeit einer Bürgschaftsforderung tritt mit der Fälligkeit der Hauptschuld ein und ist nicht von einer Leistungsaufforderung des Gläubigers abhängig. Das Gesetz sieht eine Leistungsaufforderung des Gläubigers als Entstehungs- oder Fälligkeitsvoraussetzung der Bürgschaftsforderung nicht vor. Die Forderung aus der Bürgschaft gehört nicht zu den sog. verhaltenen Ansprüchen, deren Verjährung Kraft ausdrücklicher Regelung (vgl. §§ 604 Abs. 5, 695 S. 2, 696 S. 3 BGB) erst mit ihrer Geltendmachung oder unter weiteren Voraussetzungen beginnt. Mit der Schutzintention wäre es unvereinbar, die Fälligkeit der Bürgschaftsforderung von einer Leistungsaufforderung des Gläubigers abhängig zu machen und diesem damit die Möglichkeit zu eröffnen, den Verjährungsbeginn und die Notwendigkeit verjährungsunterbrechender Maßnahmen beliebig hinauszuzögern.“

Eine ähnliche Entscheidung des XI. Senats des BGH enthält das Urteil vom 11.9.2012 (XI ZR 56/11, ZAP ENNr. 3/2013); in Leitsatz 3 wird dort ausgeführt:

„Der Anspruch des Auftraggebers aus einer auf Zahlung gerichteten Gewährleistungsbürgschaft entsteht, wenn die in § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B genannten Voraussetzungen vorliegen, ohne dass ein auf Gewährleistung gestützter Zahlungsanspruch geltend gemacht werden muss. Es widerspricht dem Schutzzweck des Rechtsinstituts der Verjährung, den Beginn der Verjährungsfrist an eine Leistungsaufforderung des Gläubigers zu knüpfen, da dieser es dann in der Hand hätte, den Verjährungsbeginn und die Notwendigkeit verjährungshemmender Maßnahmen weitgehend beliebig hinauszuzögern.“

Hierzu passt eine Entscheidung des Bausenats des BGH (Urt. v. 18.6.2009 – VII ZR 167/08, BauR 2009, 1458, Verjährung des Anspruchs auf Gesamtschuldnerausgleich, Rn 15): Mit dieser Entscheidung will der VII. Senat vermeiden, dass der Verjährungsbeginn des gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruchs an die Zahlung im Außenverhältnis geknüpft wird. Sonst – so der Senat – würde das zu Folgendem führen:

„[…], dass der Eintritt der Verjährung von dem Verhalten des Ausgleichsberechtigten abhinge und dieser es somit in der Hand hätte, den Verjährungsbeginn und die Notwendigkeit verjährungshemmender Maßnahmen beliebig hinauszuzögern […]. Das ist mit den wesentlichen Zwecken des Rechtsinstituts der Verjährung – dem Schuldnerschutz und dem Rechtsfrieden – nicht zu vereinbaren […].“

Wie lässt sich die neue Entscheidung des BGH vom 25.3.2021 mit diesen früheren Urteilen des VI und VII. Senats vereinbaren?

III. Einordnung und rechtliche Würdigung
Die vorbezeichneten Entscheidungen des XI. und VII. Senats des BGH erteilen aus gutem Grund der Theorie eine Absage, dass der berechtigte Gläubiger es (beliebig) in der Hand haben soll, durch sein eigenes Verhalten (Verlangen) die Verjährung der Ansprüche erst auszulösen. Die Entscheidungen gehen folglich von dem Grundsatz aus, dass die Verjährung der entsprechenden Ansprüche nicht erst von einem Verlangen des Berechtigten, sondern bereits mit dem Abschluss des Bauvertrags zu laufen beginnt. Danach spricht nichts für eine analoge Anwendung der Ausnahmevorschriften bei Leihe und Verwahrung auf das Sicherungsverlangen.

Diese Grundlage verlässt die neue Entscheidung zu § 648a BGB (gleichlautend § 650f BGB n.F.) des BGH:

„Die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Stellung bei Bauhandwerkersicherung nach § 648a Abs. 1 S. 1 BGB a.F. beginnt nicht vor dem Verlangen des Unternehmers nach Sicherheit.“

Anders als in den zwei früheren Entscheidungen des XI. Senats und der früheren Entscheidung des VII. Senats und in kontradiktorischem Gegensatz zu diesen Urteilen soll die Verjährung beim Sicherungsverlangen nach der neuen Entscheidung des BGH erst mit dem Sicherungsverlangen beginnen.

Der Anspruch auf Werklohn und der Anspruch auf Stellung einer Sicherheitsleistung sind verschiedene Streitgegenstände (vgl. LG Frankfurt/M., Urt. v. 18.2.2021 – 2-20 O 44/20, NJW-Spezial 2021, 238).

Niemand käme also auf die Idee, dass etwa die Werklohnklage die Verjährung des Sicherungsanspruchs hemmt. Werklohn- und Sicherungsanspruch sind als gesonderte Streitgegenstände unabhängig voneinander zu beurteilen. Dennoch hat der BGH in seiner neuen Entscheidung ein Bedürfnis dafür entdeckt, das nach der früheren Rechtsprechung sich aufdrängende Ergebnis zu vermeiden, dass die Verjährung des Sicherungsanspruchs bereits mit dem Abschluss des Bauvertrags beginnen soll.

Es bleibt vielmehr nach der neuen Entscheidung des BGH dabei: Erst das Verlangen des Berechtigten auf Sicherungsleistung löst den Verjährungsbeginn bei der Bauhandwerkersicherung aus, weil es sich um einen sog. verhaltenen Anspruch handelt (BGH, Urt. v. 25.3.2021 – VII ZR 94/20, Rn 19; so auch schon OLG Hamm, Urt. v. 8.10.2015 – 21 U 71/15, juris Rn 78 ff.; PWW/LEUPERTZ/HALFMEIER, 15. Aufl., § 650f Rn 5; PALANDT/RETZLAFF, BGB, 80. Aufl., § 650f Rn 14; MESSERSCHMIDT/VOIT/CRAMER, Privates Baurecht, 3. Aufl., BGB § 650f Rn 106; MüKo-BGB/BUSCHE, 8. Aufl., § 650f Rn 14; hierzu neigend auch BeckOK BGB/VOIT, Stand: 1.5.2020, § 650f Rn 16; a.A. KNIFFKA/SCHMITZ, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand: 16.2.2021, § 650f Rn 40; SCHMITZ, BauR 2009, 714, 715; STAUDINGER/PETERS, 2019, BGB, § 650f Rn 1, 23; LEICHT in: jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 650f BGB Rn 37 ff.).

Zur Begründung verweist der BGH auf die Überlegung des Gesetzgebers des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, der von der Schaffung einer allgemeinen Verjährungsregelung für verhaltene Ansprüche im Hinblick auf deren Ausnahmecharakter bewusst abgesehen habe. Die Gesetzeshistorie rechtfertige es, den Beginn der Verjährungsfrist verallgemeinernd für verhaltene Ansprüche grds. an das Erfüllungsverlangen des Gläubigers zu knüpfen. Denn bei komplexen und langjährigen Bauvorhaben stelle sich die Notwendigkeit einer Sicherheit häufig erst drei Jahre nach Vertragsschluss (oder auch danach) heraus.

Hinzu komme: Der Besteller kann dem Unternehmer eine Bauhandwerkersicherung nicht einseitig aufdrängen. Der Unternehmer darf sie zwar unmittelbar nach Abschluss des Bauvertrags fordern, sie ist aber zunächst nicht erfüllbar. Fälligkeit und Erfüllbarkeit treten nach Auffassung des BGH erst mit der Gläubigeranforderung ein.

Das mögen durchaus vertretbare Überlegungen sein. Jedoch sieht der BGH keine zeitliche Begrenzung eines solchen Verlangens, wenn nicht Verwirkung oder Rechtsmissbrauch eingreifen, die allerdings gerade im Zusammenhang mit § 648a BGB a.F. und § 650f n.F. BGB so gut wie nie zur Anwendung kommen dürften. Kann das Sicherungsverlangen daher jederzeit – auch noch nach vielen Jahren – geltend gemacht werden und erst diese Geltendmachung die Fälligkeit und Verjährung des Anspruchs auslösen? Ist eine so lange Ungewissheit, die ausschließlich der Berechtigte in der Hand hat, im Rechtsverkehr und für den Vertragspartner tragbar?

Eine mögliche zeitliche Grenze könnte man in der Weise einziehen, dass zumindest die Geltendmachung des Sicherungsverlangens noch innerhalb der für die Verjährung des Anspruchs geltenden allgemeinen dreijährigen Frist erfolgen müsste. Wenn man diese Einschränkung bejaht, wäre im vorliegenden Fall die Verjährung des Sicherungsanspruchs mit Ablauf des Jahres 2017 eingetreten. Eine solche zeitliche Einschränkung für die Geltendmachung des Sicherungsverlangens gibt es jedoch bislang nicht.

IV. Auswirkungen für die Praxis und Fazit
Wünschenswert wäre es in jedem Fall gewesen, dass der BGH sich in der neuen Entscheidung mindestens zum kontradiktorischen Gegensatz zu seinem eigenen Urteil vom 18.6.2009 (VII ZR 167/08, BauR 2009, 1458, Verjährung des Anspruchs auf Gesamtschuldnerausgleich) geäußert hätte, in dem er ausdrücklich konstatiert hat:

„Der Verjährungsbeginn soll nicht vom Verhalten des Ausgleichsberechtigten abhängen, damit dieser es nicht in der Hand hat, des Verjährungsbeginn und die Notwendigkeit verjährungshemmende Maßnahmen beliebig hinauszuzögern.“

Genau ein solches Verhalten sanktioniert die neue Entscheidung zum verhaltenen Anspruch im Gegensatz zu den genannten zwei Entscheidungen des XI. Senats aus dem Jahre 2008 und 2012 und der vorausgegangenen Entscheidung des VII. Senats aus dem Jahr 2009. Nach der neuen Entscheidung des VII. Senats hat der Sicherungsberechtigte es in der Hand, durch sein eigenes Verlangen erst die Fälligkeit auszulösen und damit den Verjährungsbeginn zu starten.

Faktisch wurde damit der bereits mit Abschluss des Bauvertrags beginnende Verjährungsansatz mit dem Abschluss des Bauvertrags aufgegeben, ohne dass der BGH auf den Widerspruch seiner neuen Entscheidung zu jener vom 18.6.2009 hingewiesen hätte. Es bleibt offen, ob die alte Regelung vom Beginn des Ausgleichsanspruchs mit Abschluss des Bauvertrags bestehen bleiben soll oder mit der neuen Entscheidung faktisch aufgegeben wurde. Dasselbe gilt für den Gegensatz zu den beiden Entscheidungen des XI. Senats zum Beginn der Verjährung auf Gewährleistungsbürgschaft (Urt. v. 11.9.2012 – XI ZR 56/11, a.a.O.; Urt. v. 29.1.2008 – XI ZR 160/07, a.a.O.).

Hier hätte man sich eine klare Stellungnahme des BGH in der neuen Entscheidung zur Abgrenzung von den zitierten älteren Entscheidungen gewünscht.

Warum das Verlangen nach einer Sicherungshypothek des Bauunternehmers (§ 650e BGB) und das Verlangen auf Bauhandwerkersicherung (§ 648a BGB a.F./§ 650f BGB n.F.) unterschiedlichen Regeln der Verjährung unterworfen sein soll, ist nicht nachzuvollziehen.

Es kann im Ergebnis auch keinen Sinn machen, dass das Verlangen nach einer Sicherungsbürgschaft nach § 648 a.F. BGB/§ 650e n.F. BGB und das Verlangen auf internen Ausgleich zwischen Gesamtschuldnern bereits mit Abschluss des Bauvertrags zu verjähren beginnt, während das Verlangen auf Sicherheitsleistung nach § 648a BGB a.F. und § 650f n.F. gänzlich unterschiedlichen Regelungen zum Beginn der Verjährung (abhängig vom Verlangen auf Sicherheitsleistung) unterliegen soll. Dieser Widerspruch wurde in der Rechtsprechung leider nicht aufgelöst.

Jedenfalls wird die Praxis gegenwärtig davon ausgehen müssen, dass der Sicherungsberechtigte es beliebig ohne zeitliche Grenze in der Hand hat, jederzeit mit dem Sicherungsverlangen nach § 650f BGB auf den Bauherren auch ohne plausible Darlegung eines (noch) bestehenden Sicherungsbedürfnisses zuzukommen und den Bauherren damit unter Druck zu setzen (BGH, Urt. v. 23.11.2017 – VII ZR 34/15).