jurisPR-BGHZivilR 2/2017 Anm. 1

Keine übertriebenen Substantiierungserfordernisse bei der Klage
BGH 8. Zivilsenat, Urteil vom 16.11.2016 - VIII ZR 297/15
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Nimmt der Kläger den Beklagten gemäß § 433 Abs. 2 BGB auf Kaufpreiszahlung in Anspruch, ist der Gegenstand des erhobenen Anspruchs i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt, wenn der Kläger in der Klageschrift vorträgt, dass er dem Beklagten Waren geliefert habe, und er darüber hinaus die diesbezüglich ausgestellten Rechnungen mit Betrag, Datum und (Rechnungs-)Nummer bezeichnet.

A. Problemstellung
Wie weit gehen die Substantiierungserfordernisse bei Klageerhebung? Muss im Falle der Geltendmachung einer Kaufpreisforderung nach § 433 Abs. 2 BGB der verkaufte Gegenstand genau bezeichnet werden? Wie weit muss die Individualisierung des verkauften Gegenstandes gehen, um die Klage zulässig zu machen? Müssen gar hierzu Rechnungen vorgelegt werden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf eine restliche Kaufpreiszahlung (inklusive vorgerichtlicher Zins- und Mahnauslagen) i.H.v. 3.639,54 Euro nebst Anwaltsgebühren und Zinsen in Anspruch sowie auf Feststellung, dass für die geltend gemachten Ansprüche der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vorliegt. Sie trägt zur Begründung vor:

Der Beklagte habe im Februar 2015 Waren bezogen, die Lieferung sei mit Rechnung vom 23.12.2015 in Höhe von 120,65 Euro (Rechnungsnummer: 871631) und am 24.02.2015 in Höhe von 3.481,25 Euro (Rechnungsnummer: 872118) spezifiziert. Die Klägerin macht geltend: In den (nicht vorgelegten) Rechnungen seien die gelieferten Waren, ihre Zeitpunkte und ihre Anlieferung genau dargestellt. Auf entsprechende Anforderung des Gerichts, die Rechnungen vorzulegen, erklärt die Klagepartei: Die Vorlage der Rechnungen sei im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens nicht erforderlich, der geltend gemachte Anspruch sei eindeutig beschrieben. Der Beklagte habe trotz Mahnung nicht bezahlt. Die Ware habe dieser unter der Vorspiegelung bestellt, er könne bezahlen, obwohl er damit zum Zeitpunkt der Bestellung schon nicht mehr habe rechnen können.

Das Amtsgericht hatte die Klage wegen Unschlüssigkeit des Klagevorbringens als unbegründet abgewiesen, der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gegen den nicht erschienenen Beklagten blieb erfolglos. Die dagegen eingereichte Berufung des Klägers, der sich trotz mehrfacher Aufforderung der Gerichte geweigert hatte, die Rechnungen vorzulegen, hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass erst die Vorlage der Rechnungen die Überprüfung des Vortrags zu den Artikelnummern möglich gemacht hätte und dass erst damit der Streitgegenstand ausreichend individualisiert worden wäre. Das Berufungsgericht hat die Klage in Abänderung der Erstentscheidung sogar als unzulässig abgewiesen. Der Klageanspruch sei wegen unzureichender Angabe der verkauften Gegenstände und Nichtvorlage der Rechnungen nicht ausreichend individualisiert. Dementsprechend wurde das beantragte Versäumnisurteil nicht erlassen.

Der BGH hat auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision die Entscheidung der Vorinstanzen aufgehoben und den Rechtstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO – so der BGH – muss die Klageschrift neben einem bestimmten Antrag die Bezeichnung des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Es kommt für die Zulässigkeit der Klage jedoch nicht darauf an, ob der maßgebende Lebenssachverhalt bereits in der Klageschrift vollständig in allen Einzelheiten beschrieben ist, solange die Klagepartei den Anspruch nur individualisierbar darstellt. Entsprechend dem Zweck der Klageerhebung ist es demgemäß im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist. Er muss nur durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden können, dass er Grundlage der materiellen Rechtskraft eines Vollstreckungstitels sein kann (BGH, Urt. v. 26.06.2013 - IV ZR 39/10 Rn. 34 - NJW 2013, 3580; BGH, Urt. v. 11.02.2004 - VIII ZR 127/03, unter II - NJW-RR 2005, 216; BGH, Urt. v. 18.07.2000 - X ZR 62/98, unter II 1c - NJW 2000, 3492, jeweils m.w.N.).

Der BGH meint: Wenn das Berufungsgericht als Voraussetzung der Zulässigkeit der Leistungsklage die Vorlage der Rechnungen verlangt, überspannt es die Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Eine solche Vorlage von Rechnungen – so der BGH – würde auch (anders als das Berufungsgericht meint) nicht zusätzlich zur Individualisierung von Ansprüchen beitragen.

Auch der weitere Klageantrag, mit dem die Klägerin die Feststellung begehrt, der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung liege vor, ist zulässig. Der Vortrag, der Beklagte habe die Waren unter der Vorspiegelung bestellt, er könne den Gegenwert fristgerecht bezahlen, obwohl er damit nicht mehr habe rechnen können, stellt einen deutlichen Zusammenhang zu dem vorgetragenen Lebenssachverhalt dar und begründet schlüssig den Vorwurf eines Eingehungsbetrugs nach § 263 Abs. 1 StGB.

Da das Berufungsgericht im Gegensatz zum Erstgericht die Zulässigkeit der Klage verneint hat, sah der BGH sich nicht in der Lage, selber zu entscheiden. Es ist Aufgabe des Berufungsgerichts, nach Aufhebung der Berufungsentscheidung über die Unzulässigkeit der Klage über deren Schlüssigkeit und Begründetheit zu entscheiden.

Deshalb hat der BGH die Berufungsentscheidung, die die Klage als unzulässig behandelt hatte, aufgehoben und den Rechtsstreit mit Segelhinweisen an die Berufungsinstanz zurückverwiesen. Dabei gibt der BGH dem Berufungsgericht auf, von der Schlüssigkeit des Anspruchs auszugehen, und in dem neu anzuberaumenden Verhandlungstermin im Falle des Nichterscheinens Versäumnisurteil zu prüfen bzw. zu erlassen. Nachdem der BGH die Auffassung von der Unzulässigkeit der Klage nicht teilt und in den Segelhinweisen auch von der Schlüssigkeit der Klage ausgeht, hätte er vielleicht auch selber Versäumnisurteil erlassen können. Er vertrat jedoch die Auffassung, dass die erneute Überprüfung Aufgabe des Berufungsgerichts ist.

C. Kontext der Entscheidung
Bei der Erhebung einer Klage ist zwischen den Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung einerseits und der fehlenden Substantiierung andererseits zu unterscheiden.

Ist der Streitgegenstand nicht i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eindeutig individualisiert, ist die Klage unzulässig. Unbegründet ist dagegen die Klage, die nicht erkennen lässt, worauf der Kläger seinen prozessualen Anspruch stützt. In der Praxis werden die Kategorien, die für Zulässigkeit und Begründetheit maßgebend sind, in diesem Zusammenhang oft nicht genau unterschieden. Gerade der schillernde Begriff der fehlenden Substantiierung führt zu Verwirrungen und damit zu prozessualen Fehlbehandlungen (Greger in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., vor § 253, Rn. 24 m.w.N.).

Eine solche Verwirrung ist auch den Instanzgerichten unterlaufen; das Amtsgericht hatte die Klage als unbegründet und unschlüssig, das Berufungsgericht sie als unzulässig angesehen.

Die Auffassung des Berufungsgerichts teilt der BGH nicht.

Wenn die Klagepartei Rechnungsnummern und Klageforderung der Höhe nach sowie Rechnungsdaten angibt, ist die Identifizierbarkeit des Lebenssachverhalts eindeutig und nachvollziehbar gegeben. Die Rechnungsnummern können schon wegen der umsatzsteuerlichen Vorschriften, wonach jede Rechnung eine eigene Nummer zu erhalten hat, eine unverwechselbare Zuordnung der einzelnen Forderungsbeträge bewirken.

Mit seiner Entscheidung, das Berufungsurteil aufzuheben, stellt der BGH klar: Die Klage ist nicht erst dann zulässig nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn im Einzelnen dargelegt wird, welcher Gegenstand verkauft worden ist, solange nur die Individualisierung der verkauften Ware durch die Rechnungsnummer, deren Datum und die Summe definiert ist. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolge nicht von Bedeutung ist.

Es ist erfreulich, dass der BGH hier ein deutliches Wort spricht, das unzähligen Instanzverfahren richtungsweisende Hilfe gibt. Denn die Instanzgerichte neigen – häufig, so auch hier – dazu, die Substantiierungsanforderungen bei Klageerhebung zu überspannen. Ebenso wie die Substantiierungsanforderungen an eine begründete Klage nicht überspannt werden dürfen (BGH, Beschl. v. 21.11.2011 - NotZ (Brfg) 6/11 - NJW-RR 2012, 121; BGH, Urt. v. 06.12.2012 - III ZR 66/12 - NJW-RR 2013, 296), darf man das Erfordernis der Individualisierung des Anspruchs nicht von unzähligen Einzelheiten der Darstellung des Liefergegenstands im Kaufrecht abhängig machen. Auch bei Beantragung eines Mahnbescheids wird der Anspruch ausreichend definiert durch Angabe der Rechnungsnummer, des Rechnungsdatums und der Rechnungshöhe. Das Gleiche muss für die Erhebung einer Klage gelten.

Bereits in früheren Entscheidungen hatte der BGH zum Mahnbescheid ausgeführt: Für die Individualisierung i.S.d. § 690 Abs. 1 Nr. 3 HS. 1 ZPO gibt es keine näheren Individualisierungserfordernisse. Der Anspruch muss nur unter bestimmter Angabe der verlangten Leistung eindeutig zu identifizieren sein. Er muss durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden können, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung möglich ist, ob er sich gegen Anspruch zu Wehr setzen will oder nicht (BGH, Urt. v. 23.01.2008 - VIII ZR 46/07 Rn. 13 ff.; BGH, Versäumnisurt. v. 14.07.2010 - VIII ZR 229/09 Rn. 10 f.; BGH, Urt. v. 17.11.2010 - VIII ZR 211/09 Rn. 12).

Damit ist ein Gleichlauf der zunächst im ersten Stadium beim Mahnbescheid und bei Klageerhebung notwendigen Individualisierung hergestellt: Erforderlich für die Zulässigkeit der Klage oder des Mahnbescheids ist lediglich, dass der Gegenstand der Forderung so eindeutig definiert ist, dass er der Rechtskraft fähig ist, und dass der Schuldner/Beklagte erkennt, wofür er in Anspruch genommen wird.

D. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil hat erhebliche Auswirkungen für die Praxis. Gerade in Fällen von Massenbestellungen und Massenklagen zeigt sich, wie untunlich es ist, das Gericht mit Bergen von Rechnungen zu überschwemmen. Das ist nach dieser klaren Entscheidung nicht mehr nötig. Der Richter wird die Rechnungen ohnehin nicht im Einzelnen lesen. Für seine Entscheidung kommt es auch nicht darauf an, ob der Gegenstand der Rechnung etwa eine Holzschraube, eine Metallschraube, eine Schraube mit Rundkopf oder flachem Kopf, eine Schraube von 5mm oder 8mm oder eine solche aus Messing oder Stahl ist. Dies bringt weder für den in Anspruch genommenen Schuldner/Beklagten noch für das Gericht irgendeinen Erkenntnisgewinn. Die Vorlage von Bergen von Rechnungen, die bei umfangreichen Klagen nach der Vorstellung der hier entscheidenden (und zahlreicher anderer) Instanzgerichte notwendig wäre, belastet Gerichte und Anwälte auf unnötige Weise.

Von manchen Anwaltskanzleien, die offenbar nach Stunden oder vorgelegten Seiten abrechnen, sieht sich der Richter oft mit einem unglaublichen Wust von Vortrag überhäuft (in einem von mir kürzlich bearbeiteten Fall hatte ein einzelner Schriftsatz 1.158 Seiten). Es ist deshalb zu begrüßen, dass der BGH der überflüssigen Papier- oder Datenflut in gerichtlichen Verfahren entgegenwirkt. Gerade, um das höchstrichterlich klarstellen zu lassen, hat wohl auch der Instanzanwalt das Verfahren bewusst nicht dadurch vereinfacht, dass er auf Anforderung des Gerichts die Rechnungen vorlegte, sondern darauf bestanden, eine höchstrichterliche Entscheidung zum Umfang der notwendigen Individualisierung eines Klageanspruchs herbeizuführen. Die scheinbare, zunächst vielleicht unverständliche Hartnäckigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei bei der Weigerung der Vorlage von Rechnungen hat daher einen guten, nachvollziehbaren Grund. Sie hat im Ergebnis dafür gesorgt, dass in Bezug auf den notwendigen Umfang von Individualisierungs- und Substantiierungserfordernissen bei Klageerhebung Rechtsklarheit geschaffen worden ist.

Natürlich muss die Klagepartei im Falle eines Bestreitens genauer in Bezug auf nähere Einzelheiten vortragen, je nachdem was bestritten wird. Die Anforderungen an den klägerischen Vortrag steigen dann an, wenn die Beklagtenseite Einzelheiten substantiiert bestreitet. Es kann aber nicht die Aufgabe der Klagepartei sein, theoretisch mögliche Einwände der Beklagtenseite zu antizipieren und hierzu „vorbeugend“ vorzutragen. Dies würde dem Zweck der Substantiierung von Klageforderungen und auch demjenigen des Säumnisverfahren widersprechen, dessen Sinn darin liegt, der Klagepartei auf einfachem Wege einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen.

Die begehrte Feststellung, dass der Anspruch auf unerlaubter Handlung beruht, kann Grundlage einer zulässigen Feststellungsklage sein. Das Rechtsschutzinteresse einer entsprechenden Feststellung ist mit dem Vollstreckungsschutzinteresse nach Restschuldbefreiung gemäß § 302 Nr. 1 InsO zu begründen. Zutreffend hat deshalb der BGH auch das besondere Rechtsschutzinteresse des § 256 Abs. 1 ZPO für die erhobene Feststellungsklage bejaht. Für die Feststellung des Haftungsgrundes einer unerlaubten Handlung besteht – so der Senat – ebenfalls für die vorleistungspflichtige Partei eines Kaufvertrages grundsätzlich ein Rechtsschutzinteresse (BGH, Urt. v. 05.03.2002 - VI ZR 398/00, unter II 1b; BGH, Urt. v. 02.12.2010 - IX ZR 41/10 Rn. 7 - ZIP 2011, 39).