ZAP Kolumne 2014, Seite 1161

ZAP Kolumne

Die Ausweitung der Konkurrentenklage
Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Konkurrentenklagen kommen immer mehr in Mode. Blockiert ist der Dienstantritt mehrerer Bundesrichter, die bereits gewählt sind. Eine übergangene Konkurrentin hat eine Klage angekündigt. Bekanntlich verbietet der Grundsatz der Ämterstabilität, einen bereits berufenen Richter im Falle einer erfolgreichen Konkurrentenklage seines Amtes wieder zu entheben. Dieser Grundsatz der Ämterstabilität führt dazu: Die endgültige Entscheidung über zukünftige Bundesrichter kann nicht vorweg genommen werden. Damit sind etliche – unterbesetzte – Senate des BGH in ihrer Funktionsfähigkeit stark beeinträchtigt.

Auch bei der Wahl von Anwälten beim BGH gibt es immer wieder Konkurrentenklagen, so auch bei dem jetzt laufenden Wahlverfahren. Das Verfahren des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (s. Beitrag „Nachträgliche Ernennung von BGH-Anwälten“ in: ZAPAnwaltsmagazin, 20/2014, S. 1104) könnte dazu beitragen, weitere Konkurrentenklagen in der Zukunft zu fördern.

Die Verfassungsmäßigkeit des Wahlverfahrens für BGH-Anwälte nach §§ 164 ff. BRAO steht außer Frage (BVerfG NJW 2006, 2395; NJW 2008, 1293, vgl. dazu auch REINELT ZAP F. 23, S. 805 ff.: „Entwicklung im anwaltlichen Berufsrecht und Singularzulassung beim BGH“). Eine jetzt gerade – nämlich am 24. 9. 2014 – nachträglich getroffene Entscheidung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Ernennung weiterer BGH-Anwälte – dürfte aber die Tendenz zur Ausweitung von Konkurrentenklagen bestärken.

Der Bundesjustizminister HEIKO MAAS hat nämlich zu den bereits von der früheren Justizministerin LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER noch ernannten acht neuen BGH-Anwälten (Ernennung im Sommer 2013) zwei weitere Kandidaten, auf der gleichen Liste des Wahlausschusses positioniert mit der Nr. 9 und der Nr. 13, (unter Abänderung der Ablehnungsentscheidung seiner Amtsvorgängerin) berufen. Eine Begründung für diese nachträgliche Ernennung liegt nicht vor. Die beiden Kandidaten hatten Klage gegen die Nichtberücksichtigung zum Anwaltssenat erhoben, über die am 30. 9. 2014 verhandelt werden sollte. Die Gründe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die klagenden Konkurrenten im Gegensatz zu den (teilweise besser positionierten) Kandidaten (die auf Klage verzichtet haben) nachträglich zu ernennen, sind nicht auszumachen. Vielleicht sollte noch einmal dokumentiert werden, dass ein jetzt SPD-geführtes Ministerium sein Ermessen sowohl in Bezug auf die Zahl als auch die Qualifikation der Kandidaten eigenständig ausübt. Vielleicht wollte man aber einfach auch nur Ruhe vor den Konkurrentenklagen haben.

Ähnlich hat es die damals amtierende Justizministerin ZYPRIES bei der Wahl im Jahre 2006 gehalten: Sie hat kurzerhand statt der vorgesehenen sieben sämtliche Kandidaten ernannt, die (noch) auf der Wahlliste standen. Auch hier hat man sich offensichtlich dem durch zwei Konkurrentenklagen geschaffenen Druck gebeugt und den Streit durch Ernennung sämtlicher Kandidaten auf der Wahlliste erledigt.

Den Weg zu dieser Möglichkeit hat eine Entscheidung des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2006 eröffnet (Urt. v. 11. 9. 2006 – AnwZ 1/06, BGHZ 169, 77, vgl. auch Urt. v. 5. 12. 2006 – AnwZ 2/06, BGHZ 170, 137). Der Anwaltssenat hatte damals überraschend in Abkehr von der bisher einhelligen Meinung entschieden: Das Bundesjustizministerium ist nicht an die Zahl von Rechtsanwälten gebunden, deren Zulassung der Wahlausschuss für angemessen erachtet. Bekanntlich muss die Wahlliste des Wahlausschusses die doppelte Zahl der (wie im Staatsexamen mit Nummern versehenen) Kandidaten enthalten, die der Wahlausschuss zu BGH-Anwälten bestellt wissen will (§ 168 Abs. 2 BRAO). Die Entscheidung des Anwaltssenats hat dem Bundesjustizminister damit die Möglichkeit eröffnet, eine beliebige Zahl von Anwälten aus der Wahlliste zu ernennen und – was bislang rechtlich unstreitig aber faktisch irrelevant war – auch die Positionierung durch den Wahlausschuss unberücksichtigt zu lassen. Die zitierte Entscheidung gibt also dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Gelegenheit, die Zahl der Bewerber beliebig aus der Wahlliste zu bestimmen und dabei notfalls auch die doppelte Zahl derer zu benennen, die der Wahlausschuss für notwendig hält. Die Ernennung sei den beiden Kandidaten gegönnt. Die BGH-Anwaltschaft begrüßt sie unvoreingenommen und vorbehaltslos wie jeden neuen Kollegen. Sinnvoll ist das – überraschend die getroffene Entscheidung der Amtsvorgängerin konterkarierende – Verfahren des Ministeriums aber nicht, nachträglich klagende Konkurrenten mit der Ernennung zu belohnen und damit für die Zukunft einen Anreiz zu schaffen, dass jeder Bewerber Konkurrentenklage erhebt.

Die Ausweitung von Konkurrentenklagen und die Bevorzugung von klagenden Konkurrenten können nicht im Sinne einer funktionsfähigen Rechtspflege liegen.

Zur Vermeidung einer unerfreulichen Ausweitung von Konkurrentenklagen und zur Schaffung rechtssicherer Verhältnisse bei der Wahl künftiger BGH-Anwälte bieten sich folgende Alternativen an:

  1. Entweder legt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach Rücksprache mit dem Wahlausschuss im Vorfeld nach Überprüfung der Situation im Rahmen seines Ermessens die Zahl der ggf. neu zu bestellenden Bewerber verbindlich fest, bevor der Wahlausschuss seine Wahlliste endgültig erstellt.
  2. Oder es werden gesetzliche Regelungen geschaffen, die dem Wahlausschuss die verbindliche Entscheidung über die Zahl der neuen Rechtsanwälte überlässt.

Dabei könnte vorgesehen werden:

  • Der Wahlausschuss, der die Frage des Bedarfs neuer Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof besser beurteilen kann, soll die Zahl der zu wählenden Bewerber vorgeben.
  • Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz soll an diese Zahl gebunden sein. Die Reihenfolge der Bewerber, die der Wahlausschuss festlegt, mag dann nur als Vorschlag und nicht als Bindung des Ministeriums gewertet werden.

Aus meiner Sicht bietet jede dieser beiden Alternativen die Grundlage für eine sachgerechte Wahl von neuen Rechtsanwälten zum Bundesgerichtshof.