jurisPR-BGHZivilR 2/2014 Anm. 1

Anscheinsbeweis für Brandverursachung nach Heißklebearbeiten zur Verlegung von Bitumenbahnen

BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 01.10.2013 - VI ZR 409/12
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
1. Zum Anscheinsbeweis, wenn es bei Heißklebearbeiten zur Verlegung von Bitumenbahnen in feuergefährdeter Umgebung zu einem Brand kommt.
2. Zur Frage des Mitverschuldens wegen unterlassenen Hinweises des Geschädigten auf eine besondere Brandgefahr.

A. Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen kann mit Hilfe eines Anscheinsbeweises der Kausalzusammenhang zwischen brandgefährlichen Arbeiten und dem Entstehen eines Brandes geführt werden? Trifft den Auftraggeber, der solche brandgefährlichen Arbeiten in Auftrag gibt, ein Mitverschulden, wenn er zu Beginn der Arbeiten den Auftragnehmer nicht auf risikoerhöhende Gegebenheiten hinweist?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin zu 1) ist der Feuerversicherer der Klägerin zu 2), deren Fabrik bei einem Brandschaden erheblich beschädigt wurde. Das schadhafte Holzständerwerk des Flachdachgebäudes sollte saniert werden. Die Eigentümerin (Klägerin zu 2) beauftragte Zimmerer mit der Erneuerung der Holzkonstruktion. Anschließend sollten Dachdecker der Beklagten zu 1) im Auftrag der Klägerin zu 2) neue Bitumenbahnen verlegen. Diese Bahnen wurden nach Vernagelung und Fixierung mit einem Kaltklebestreifen mittels eines Brenners bis zum Schmelzen des Bitumens erhitzt und durch Andrücken verbunden. Der Beklagte zu 2), ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1), arbeitete mit dem Beklagten zu 3), einem Mitarbeiter des Subunternehmers der beauftragten Dachdeckerfirma. Der Beklagte zu 3) führte den Nahtbrenner, der Beklagte zu 2) trat das erhitzte Bitumen mit dem Fuß fest. Während der Arbeiten kam es zu einem Brand, der auf das Nachbargebäude übergriff und dieses stark beschädigte. Der Brand brach fünf Minuten nach Durchführung entsprechender Arbeiten auf dem Nachbargebäude aus.

Die Klagepartei nimmt als Feuerversicherer bzw. Eigentümer sowohl die Zimmerer als auch die Dachdecker und deren Mitarbeiter, den Beklagten zu 2) sowie den Mitarbeiter des Subunternehmers, den Beklagten zu 3), für den entstandenen Schaden in Anspruch. Mitverklagt ist auch der Zimmerer (Beklagte zu 4).

Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des Zimmerers durch Teilurteil abgewiesen und im Übrigen die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Beklagten zu 1) bis 3) änderte das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts teilweise und sprach die Klage dem Grunde nach hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 3) nur zu einem Anteil von 50% unter Berücksichtigung eines angeblichen Mitverschuldens der Klagepartei zu.

Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten zu 1) bis 3) ihre Anträge auf vollständige Klageabweisung. Mit der Anschlussrevision begehren die Kläger eine Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils und bekämpfen das ihnen zur Last gelegte 50%ige Mitverschulden.

Der BGH hat die Revisionen der Dachdecker zurückgewiesen und das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt, gab also den Anschlussrevisionen der Kläger im Ergebnis unter Verneinung eines Mitverschuldens statt.

Der BGH setzt sich zunächst mit der Auffassung der Beklagten auseinander, wonach ein Teilurteil hinsichtlich der Zimmerer auf Abweisung der Klage nicht habe ergehen dürfen, weil die Gefahr widersprechender Entscheidungen nach § 301 Abs. 1 ZPO bestand. Diesen Einwand weist der BGH – mit dem Berufungsgericht – zurück, weil das Teilurteil gegenüber der Beklagten zu 4 (Zimmerer) auf Klageabweisung inzwischen rechtskräftig geworden ist. Ein Teilurteil dürfe – so der VI. Zivilsenat – zwar nur dann ergehen, wenn das von der Entscheidung über den Rest des geltend gemachten prozessualen Anspruchs unabhängig ist, so dass die Gefahr widerstreitender Erkenntnisse nicht besteht (Rn. 9). Die Mängel eines an sich unzulässigen Teilurteils können aber geheilt werden, wenn das Teilurteil rechtskräftig ist. Auch ein unzulässiges Teilurteil kann der Rechtskraft erwachsen (BGH, Urt. v. 12.01.1996 - V ZR 246/94 - BGHZ 131, 376, 381 f.). So liegt der Fall hier: Nach der Rechtskraft des klageabweisenden Teilurteils gegen die Beklagte zu 4) kommt es auf die Möglichkeit einer Widersprüchlichkeit der Entscheidungen im Streitfall nicht mehr an. Die beklagten Dachdecker sind auch – so der BGH in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht – durch dieses Teilurteil nicht beschwert, sondern können ihren Standpunkt, dass nicht sie, sondern die Mitarbeiter der Zimmerer den Brand durch Funkenflug beim Durchtrennen eines Nagels verursacht haben, unverändert weiterverfolgen.

Die Haftung der Dachdeckerfirma einschließlich ihres Mitarbeiters persönlich und des Mitarbeiters des Subunternehmers, der die Arbeiten durchgeführt haben, bejaht der BGH in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht. Der Dachdecker hafte aus den §§ 631, 280 Abs. 1, 249 BGB, die Beklagten zu 2) und 3) persönlich nach den §§ 823 Abs. 1, 249 BGB. Der Schadensersatzanspruch wird dem Grunde nach bejaht. In der zentralen Begründung stützt sich der VI. Zivilsenat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht auf die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins bei typischen Geschehensabläufen. In Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist, also eine Typizität des Geschehensablaufes vorliegt, genügt es, wenn der Anspruchsteller einen örtlich und zeitlich engen Zusammenhang mit der gefährlichen Tätigkeit und dem in Folge der feuergefährlichen Hantierung ausgebrochenen Brand darlegt. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für andere Brandursachen fehlen. Dann obliegt es dem in Anspruch Genommenen, Umstände vorzutragen und zu beweisen, die den Anschein entkräften (BGH, Urt. v. 19.01.2010 - VI ZR 33/09 Rn. 14). Bei feuergefährlichen Arbeiten, bei denen ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der feuergefährlichen Tätigkeit und der Brandentstehung vorliegt, ist ein weiterer Vortrag des Geschädigten nicht erforderlich. Der Anscheinsbeweis unterscheidet sich von den Feststellungen nach allgemeinen Beweisregeln gerade dadurch, dass der konkrete Geschehensablauf nicht geklärt werden kann (Rn. 15 des Besprechungsurteils). Die Verschweißung der Bitumenbahn auf dem Lagergebäude auf einer Holzkonstruktion mittels eines Brenners mit offener Flamme ist eine feuergefährliche Tätigkeit, die nach der Lebenserfahrung typischerweise geeignet ist, in der Nähe befindliches brennbares Material zu entflammen (BGH, Urt. v. 28.02.1980 - VII ZR 104/79). Unter der Holzkonstruktion befand sich eine papierkaschierte Dämmung, die leicht entflammbar war. Das war geeignet, zu einer rasend schnellen Ausbreitung eines Brandes zu führen. Nachdem der Brand nur fünf Minuten nach Wiederaufnahme der Flämmarbeiten durch die Beteiligten bemerkt wurde, ist der enge Zusammenhang für einen Anscheinsbeweis in ausreichender Form belegt.

Ernsthafte Alternativursachen konnten die in Anspruch genommenen Dachdecker nicht darlegen. Insbesondere erschien es als kaum denkbar, dass der Brand – womit die Beklagten sich verteidigt haben – durch Funkenflug beim Durchtrennen eines Nagels mit der Handkreissäge bei den Zimmererarbeiten entstanden sein könnte (Abkühlung der Funken durch die Umgebungstemperatur, örtliche und zeitliche Nähe der Brandentstehung nur mit den Arbeiten der Dachdecker). Damit hat das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten zu 1) bis 3) nach Auffassung des VI. Senats unter Berücksichtigung der Grundsätze des Anscheinsbeweises mit Recht bejaht.

Der Beklagte zu 2) und der Beklagte zu 3), die Hand in Hand zusammengewirkt haben, haften für den Schaden persönlich gemeinsam unter Anwendung der Grundsätze der Nebentäterschaft. Soweit die Revision sich damit verteidigt, eine Zurechnung gemäß § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB scheide aus, weil der Beklagte zu 3) den Brenner geführt und der Beklagte zu 2) nur das verflüssigte Bitumen festgetreten haben, sei dies unbeachtlich. Keiner der beiden Beklagten könne von der Verantwortlichkeit frei sein. Denn der einheitliche Arbeitsvorgang lasse sich nicht in selbstständige Tätigkeiten aufspalten; nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises sei das gemeinsame Arbeiten zur Begründung der Schadensverantwortlichkeit ausreichend.

Anders als das Berufungsgericht verneint der BGH allerdings ein Mitverschulden des Auftraggebers. Das Berufungsgericht hatte ein Mitverschulden zum einen darin gesehen, dass der Auftraggeber nicht auf die besondere Gefährlichkeit einer leicht entflammbaren Papierkaschierung hingewiesen habe. Zum anderen stand zur Diskussion, ob das Fehlen einer Brandmauer zwischen dem Hauptgebäude und dem angrenzenden Fabrikationsgebäude und der unterlassene Hinweis des Eigentümers darauf einen Mitverschuldenseinwand hätte begründen können. Zwar – so der BGH – komme ein Mitverschulden auch in Betracht, wenn sich das Verschulden des Geschädigten auf die Unterlassung beschränkt, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam gemacht zu haben. Im vorliegenden Fall sei ein solcher Hinweis jedoch nicht notwendig gewesen, weil die Beklagten als Fachfirma aufgrund der vorangegangenen Öffnung eines Teilbereichs des Daches die erhöhte Brandgefahr durch das Vorhandensein des papierkaschierten Dämmstoffes erkannt hatten. Insoweit habe es deshalb keines zusätzlichen Hinweises bedurft (Rn. 30). Auch auf die fehlende Brandmauer zum Nachbargebäude habe der Auftraggeber nicht hinweisen müssen, denn eine Warnpflicht i.S.d. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB bestehe nicht, wenn die Erkenntnismöglichkeiten des Schädigers gleich gut oder besser waren als die des Geschädigten (BGH, Urt. v. 15.11.1952 - II ZR 56/52 - VersR 1953, 14, 15). Im vorliegenden Fall sei ein besonderer Wissensvorsprung des Auftraggebers nicht erkennbar gewesen. Aus diesen Gründen hält der BGH – wie das Erstgericht – eine uneingeschränkte Haftung der Beklagten für gerechtfertigt. Er hat das Urteil zugunsten der Anschlussrevision geändert und das Mitverschulden des Auftraggebers ebenso verneint, wie es die erste Instanz entschieden hatte.

C. Kontext der Entscheidung
Mit der Entscheidung werden die Grundsätze des Anscheinsbeweises erneut deutlich gemacht. Der Anscheinsbeweis ist eine Form des Indizienbeweises, der sich gewohnheitsrechtlich entwickelt hat (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, Anhang § 286 Rn. 15). Er greift ein bei einem formelhaften typischen Geschehensablauf, der nach der Lebenserfahrung auf nur eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf hinweist. Der Beweispflichtige muss dann nur den typischen Vorgang dartun und beweisen, nicht jedoch den Vollbeweis i.S.d. § 286 ZPO führen. Eine solche Typizität liegt bei brandgefährlichen Arbeiten mit einem offenen Brenner in der Nähe entflammbaren Materials vor, wenn es dann zu einem Brand kommt, auch dann, wenn ein konkreter Nachweis eines Ursachenzusammenhangs ausscheidet.

Nur wenn der Beweisgegner einen vom gewöhnlichen Verlauf abweichenden Gang des Geschehens mit einer ernstlichen und nicht nur vagen Möglichkeit eines alternativen Ablaufs darlegt, ist der Anscheinsbeweis erschüttert.

Anders als das Berufungsgericht hält der BGH den Mitverschuldenseinwand nicht für gerechtfertigt. Ein Mitverschulden wegen unterlassenen Hinweises auf eine besondere Gefahrenerhöhung besteht nur dann, wenn der beauftragte Fachunternehmer nicht ohnehin durch Prüfung der Örtlichkeiten sich die gleichen Kenntnisse verschafft hat, wie der Auftraggeber sie hatte. Auch hinsichtlich weiterer möglicher gefahrerhöhender Umstände (Fehlen einer Brandmauer) kann ein Mitverschuldenseinwand nur dann gerechtfertigt werden, wenn die Erkenntnismöglichkeit des Schädigers schlechter waren als diejenigen des Geschädigten selber.