jurisPR-BGHZivilR 14/2013 Anm. 2

Ankreuzoption in Vertragsbedingungen

BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 20.06.2013 - VII ZR 82/12
von Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, RA BGH

Leitsatz
Sieht ein Klauselwerk eine durch Ankreuzen auszuübende Option vor, ob der Verwender einen Vertragsstrafenanspruch gegen seinen Vertragspartner vorsehen will, ist vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls keine Vertragsstrafe vereinbart, wenn die Ankreuzoption nicht ausgeübt wird.

A. Problemstellung
Vertragsbedingungen, die vielfach auch im Bereich öffentlich-rechtlicher Ausführung von Bauleistungen verwendet werden, sehen oft verschiedene Ankreuzoptionen in Leerkästchen vor. Diese Ankreuzoptionen können z.B. die Fristen für Beginn und Vollendung der Leistung, den Bauzeitenplan, Vertragsstrafen oder andere Fragen der Bauausführung betreffen.

Wie steht es, wenn der individuell (maschinenschriftlich) ausgefüllte Text des Vordrucks nahelegt, dass man sich auf bestimmte Alternativen festlegen wollte, es aber an der Ankreuzung der entsprechenden Kästchen fehlt?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Eine Metallbaufirma führt für einen Auftraggeber Baumaßnahmen durch und rechnet sie ab. Nachdem der Bauherr nicht zahlt, erhebt der Auftragnehmer Klage. Die Werklohnforderung selber ist unstrittig. Die Auseinandersetzung der Parteien geht nur um aufgerechnete Vertragsstrafenansprüche, also die Hauptaufrechnung im Prozess. Auf der Seite der Beklagten treten als Streithelfer die Architekten auf, die die Ausschreibung und die vertraglichen Bedingungen vorbereitet haben. Es stellt sich die Frage, ob es eine wirksame Vereinbarung von Vertragsstrafe gibt. Das Auftragsschreiben der Klägerin lautet:

„… Fristen sh. Punkt Nr. 1.1 - 1.2 der Besonderen Vertragsbindungen und Vorgaben im Leistungsverzeichnis

Vertragsstrafen: sh. Punkt Nr. 2.1 - 2.3 der Besonderen Vertragsbedingungen …“

Die von der Beklagten gestellten Besonderen Vertragsbedingungen enthalten Regelungen über Ausführungsfristen (Gliederungspunkt Nr. 1) und Vertragsstrafen (Gliederungspunkt Nr. 2) wie folgt:

„1 Ausführungsfristen

1.1 Fristen für Beginn und Vollendung der Leistung (= Ausführungsfristen):

Mit der Ausführung ist zu beginnen

[ ] am spätestens am_________

...

[x] innerhalb von 12 Werktagen nach Zugang der Aufforderung durch den Auftraggeber …; die Aufforderung wird Ihnen voraussichtlich bis zum ________ zugehen.

Die Leistung ist zu vollenden (abnahmereif fertig zu stellen)

[x] am siehe LV

...

1.2 Verbindliche Fristen (Vertragsfristen) … sind:

[x] vorstehende Frist für den Ausführungsbeginn

[x] vorstehende Frist für die Vollendung (abnahmefreie Fertigstellung) der Leistung

[ ] folgende Einzelfristen

[ ] …

[ ] ohne Bauzeitenplan werden ausdrücklich als Vertragsfristen vereinbart:

sh. LV

2 Vertragsstrafen …

Der Auftragnehmer hat als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:

2.1 bei Überschreitung der Ausführungsfrist

[ ] ______ Euro

[ ] ____0,1 v. H. des Endbetrages der Auftragssumme

2.3 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der Auftragssumme begrenzt …“

Das Leistungsverzeichnis sieht unter anderem vor: „Gesamtfertigstellung Restflächen: 03.2009.“

Bis zum 31.03.2009 hatte die Klägerin ihre Arbeiten nicht fertig gestellt. Die Beklagte nahm die Arbeiten am 18.09.2009 ab. In der Abnahmebescheinigung ist vorgedruckt: „Der Auftraggeber behält sich vor, die vereinbarte Vertragsstrafe geltend zu machen.“

Die Werklohnklage der Metallbaufirma hatte in erster Instanz Erfolg. Das Landgericht ging davon aus, dass eine Vertragsstrafe nicht wirksam vereinbart worden ist, weil das Ankreuzfeld unter 2.1 der Besonderen Vertragsbedingungen nicht ausgefüllt wurde. Jedenfalls sei unklar, ob dieser Punkt der Besonderen Vertragsbedingungen gelten solle (§ 305c Abs. 2 BGB).

Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht hat zwar mit dem Landgericht festgestellt: Unter Gliederungspunkt Nr. 2.1 der Besonderen Vertragsbedingungen ist das vorgesehene Kästchen nicht angekreuzt. Das aber ist – so das Berufungsgericht – unschädlich, weil die Beklagte unter den Gliederungspunkten Nr. 2.1 und 2.3 die Prozentzahlen „0,1“ und „5“ eingetragen und damit hinreichend deutlich gemacht hat, dass eine Vertragsstrafe vereinbart werden sollte. Ansonsten wären die maschinenschriftlichen Ausfüllungen unsinnig und widersprüchlich gewesen.

Der BGH teilt diese Auffassung nicht. Seiner Meinung nach sieht das Formular eine Erklärung über die Vereinbarung einer Vertragsstrafe vor, die aus zwei wesentlichen, voneinander zu unterscheidenden Elementen besteht. Es soll nicht nur die Höhe der Vertragsstrafe bestimmt werden, sondern es soll vielmehr durch das gesonderte Ankreuzfeld im Kästchen klargestellt werden, ob die Vertragsstrafe im konkreten Fall auch wirklich vom Parteiwillen getragen ist oder nicht.

Der BGH meint: Trägt der Verwender in die entsprechende Zeile Prozentzahlen ein, füllt er aber das Ankreuzfeld nicht aus, kann es sich eventuell auch nur um die Vorbereitung einer etwaigen Vertragsstrafenvereinbarung handeln. Ein solches Verständnis sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht unsinnig oder widersprüchlich. Wenn der Klauselverwender eine solche Formulargestaltung wählt (die im vorliegenden Fall das Ankreuzen eines Kästchens vorsieht), muss er sich grundsätzlich daran messen lassen und dafür sorgen, dass das vorgesehene Feld auch angekreuzt wird.

Zur Vertragsstrafenvereinbarung kommt man auch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, so der BGH, nicht unter Berücksichtigung des formularmäßigen Vorbehalts im Abnahmeprotokoll. Der Auftraggeber stellt damit nach Auffassung des VII. Senats des BGH lediglich klar, dass er sein Recht, seine Vertragsstrafe zu fordern, nicht aufgibt. Aber dieser Vorbehalt setzt eine Vertragsstrafenvereinbarung voraus und begründet sie nicht selbst. Genau daran fehlt es aber nach Auffassung des BGH, weil das entsprechende Kästchen nicht angekreuzt ist.

Vor diesem Hintergrund lässt der BGH die Frage dahingestellt, ob die Vertragsstrafenklausel mit dem Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vereinbar ist oder nicht, was zwischen den Parteien umstritten war.

C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des VII. Senats des BGH macht deutlich: Die Verwendung von Vertragsbedingungen, bei denen Kästchen angekreuzt werden sollen, enthält Risiken. Bauherr und Architekten müssen unbedingt darauf achten, dass die Zeilen, die entsprechende Vereinbarungen enthalten, nicht nur textlich ausgefüllt werden, sondern auch – wie vorgesehen – angekreuzt werden. Die inhaltliche Argumentation des Berufungsgerichts, das aus der Ausfüllung der Zeilen auf die entsprechende Vereinbarung geschlossen hat, hält der BGH nicht für überzeugend. Wenn schon vom Verwender eine textliche Gestaltung gewählt wird, die das Ankreuzen entsprechender Kästchen vorsieht, muss er sich daran festhalten lassen, dass ggf. die Kästchen nicht angekreuzt sind.

Der Fall macht deutlich: Der Streit um die Bedeutung des Kreuzes herrscht nicht nur bei Verhandlungen in Gerichtssälen, sondern auch bei Verwendung von Vertragsbedingungen mit Ankreuzoptionen.

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung zeigt, dass die sorgfältige Ausfüllung der vertraglichen Unterlagen, insbesondere auch in Besonderen Vertragsbedingungen, für die Parteien von erheblicher Bedeutung ist. Das hat auch entsprechende Auswirkungen auf die Haftung der Architekten, die im Rahmen der Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe (nunmehr § 3 Abs. 4 Ziff. 6 und 7 HOAI n.F) darauf zu achten haben, dass bei Vergabe und Erteilung von Aufträgen die vorgesehenen Kästchen angekreuzt werden müssen. Wenn das vergessen wird, kann dies zur Haftung der Architekten führen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH geht davon aus, dass eine Vertragsstrafenvereinbarung nicht wirksam getroffen worden ist. Er konnte deshalb offenlassen, ob die Vereinbarung – wäre sie getroffen worden – möglicherweise am Transparenzgebot gescheitert wäre. Bei der Ausfüllung der verschiedenen Ziffern könnten hier aus folgenden Gründen Probleme entstehen:

- Anknüpfung der Vertragsstrafe nur an die Endfrist oder auch den Auftragsbeginn? Gegebenenfalls Kumulation von beiden?

- Bemessungsgrundlage der Vertragsstrafe (Auftragssumme/Endbetrag der Auftragssumme)?

Zur ersten Frage: Soll die Vertragsstrafe nur an die Überschreitung der Endfrist oder auch der Frist für den Beginn geknüpft werden? Aus der (nicht angekreuzten aber ausgefüllten) Ziff. 2.1 mit 0,1 v. H des Endbetrages der Auftragssumme wird man schließen müssen, dass nur die Überschreitung der Endfrist gemeint ist. Ob das allerdings in ausreichender Transparenz zum Ausdruck kommt, lässt sich ohne nähere Kenntnis des Falles kaum sicher beurteilen.

Zur zweiten Frage der Bemessungsgrundlage: Ergibt sich aus den Unterlagen eindeutig, von welcher Bemessungsgrundlage für die Vertragsstrafe auszugehen ist? Oder ist das intransparent?

Die maschinenschriftliche Ausfüllung in Punkt 2.1 spricht von 0,1 v. H. des „Endbetrages der Auftragssumme“, die Begrenzung der Vertragsstrafe in Punkt 2.3 von 5 v. H. der „Auftragssumme“. Die Frage könnte sich stellen, ob „Endbetrag der Auftragssumme“ identisch ist mit „Auftragssumme“ oder ob hier eine begriffliche Disparität eingeführt wird. Das hängt m.E. vom Charakter des Vertrages ab. Von einer anfänglichen Auftragssumme wird man nur bei einem Pauschalvertrag sprechen können. Dort steht von Anfang an eine Auftragssumme als Pauschale fest. Für einen Pauschalvertrag hat demgemäß der VII. Senat des BGH in einem früheren Fall darauf hingewiesen, dass der „Endbetrag der Auftragssumme“ und die „Auftragssumme“ unter Umständen divergieren können (BGH, Urt. v. 06.12.2007 - VII ZR 28/07- BauR 2008, 508). In einer Entscheidung des LG Osnabrück ging es ebenfalls um einen Pauschalpreisvertrag. Auch hier entstand eine entsprechende Unklarheit in Bezug auf die Bemessungsgrundlage („Auftragssumme“ oder „Endbetrag der Auftragssumme“). Das LG Kleve scheint zur Unklarheit der Regelung zu tendieren, unabhängig davon, ob es sich um einen Pauschalpreisvertrag oder einen Einheitspreisvertrag handelt. Jedenfalls nimmt es eine entsprechende Differenzierung, die nach meiner Auffassung geboten ist, nicht vor (LG Kleve, Urt. v. 14.03.2012 - 2 O 272/11).

Handelt es sich aber um einen Einheitspreisvertrag, gibt es von Anfang an keine Auftragssumme. Beim Einheitspreisvertrag sind vielmehr lediglich die Preise für die einzelnen zunächst nur geschätzten Massen fest vereinbart. Selbst wenn die einzelnen Einheitspreispositionen addiert werden, kann man vom Additionsbetrag kaum als von der Auftragssumme sprechen. Deshalb kann beim Einheitspreisvertrag „Auftragssumme“ nur diejenige sein, die letztlich abgerechnet wird. Eine Disparität der Begriffe kann sich deshalb nach meiner Auffassung insoweit nicht einstellen.

Beim Einheitspreisvertrag wird man also im Gegensatz zum Pauschalvertrag davon ausgehen müssen, dass die Begriffe „Auftragssumme“ und „Endbetrag der Auftragssumme“ identisch sind und daher unter diesem Gesichtspunkt Intransparenz der vertraglichen Gestaltung beim Einheitspreisvertrag nicht angenommen werden kann.