jurisPR-BGHZivilR 9/2013 Anm. 3

Staatenimmunität im Verfahren der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs

BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 30.01.2013 - III ZB 40/12
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsatz
1. Das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs (§ 1061 ZPO) ist kein Verfahren der Zwangsvollstreckung, sondern ein Erkenntnisverfahren eigener Art, auf das die Grundsätze über die Immunität ausländischer Staaten im Erkenntnisverfahren anzuwenden sind.
2. Nach den gemäß § 20 Abs. 2 GVG, Art. 25 GG als Bundesrecht geltenden Regeln des allgemeinen Völkerrechts sind Staaten im Erkenntnisverfahren der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit und nicht lediglich ihr kommerzielles Handeln betroffen ist.
3. Enthält ein Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem ausländischen Staat eine Regelung, wonach im Rahmen einer Schiedsabrede der Schiedsspruch nach innerstaatlichem Recht vollstreckt wird, unterwirft sich der ausländische Staat damit grundsätzlich auch dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§ 1061 ZPO), das in Deutschland als Vorstufe einer späteren Zwangsvollstreckung notwendig ist.
4. Sind die Entscheidungen des Schiedsgerichts nach dem Inhalt eines solchen Vertrags "bindend", gilt dies grundsätzlich nur im Rahmen der vereinbarten Schiedsklausel, so dass der Schiedsspruch, soweit das Schiedsgericht den Anwendungsbereich des Vertrags verkennt und sich irrtümlich für zuständig erachtet, nicht bindet und im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs die Berufung auf die Immunität nicht hindert. Dies gilt auch, soweit eine die Zuständigkeit bejahende Zwischenentscheidung des Schiedsgerichts unangefochten geblieben ist. Dass eine Partei kein Rechtsmittel gegen die Zwischenentscheidung eingelegt und sich im weiteren Verfahren auf die Klage eingelassen hat, kann regelmäßig nicht als Verzicht auf die Immunität gewertet werden.

A. Problemstellung
Die Gerichtsbarkeit, d.h. das Bestehen der Jurisdiktionsgewalt über den Streitgegenstand oder über die Person, ist allgemeine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf ausländische Staaten, soweit sie Immunität genießen. Die Prüfung dieser Prozessvoraussetzung im Verfahren der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs gemäß § 1061 ZPO ist Gegenstand der Entscheidung des BGH.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die spätere Gemeinschuldnerin hatte im Wege der Fusion Anteile an einer Gesellschaft nach thailändischem Recht erlangt, die zur Fortentwicklung der öffentlichen Infrastruktur im Königreich Thailand in den Achtzigerjahren gegründet worden war. Dieser Gesellschaft war eine Konzession zum Bau und Betrieb einer Autobahn erteilt worden; ihre einzige Einnahmequelle waren staatlich genehmigte Mautgebühren.

Nachdem im April 2005 über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, erhob diese Schiedsklage gegen das Königreich Thailand (Antragsgegner) wegen Verletzung (Entwertung) ihrer Gesellschafterrechte an der thailändischen Gesellschaft durch Erhebung zu niedriger Mautgebühren auf der Grundlage des am 24.10.2004 in Kraft getretenen Vertrags über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 24.06.2002 (Investitionsschutzvertrag = ISV 2002; BGBl II 2004, 48) mit einer Schiedsklausel für „Streitigkeiten in Bezug auf Kapitalanlagen zwischen einer der Vertragsparteien und einem Investor der anderen Vertragspartei“ (Art. 10 Abs. 1 ISV 2002).

Mit Teilschiedsspruch vom 05.10.2007 erklärte sich das Schiedsgericht für zuständig. Der streitgegenständliche Schlussschiedsspruch mit der Verurteilung des Antragsgegners zur Zahlung von über 29 Mio. Euro Schadensersatz nebst Zinsen und Kosten wurde am 01.07.2009 in Genf erlassen.
Der Insolvenzverwalter der Gemeinschuldnerin (Antragsteller) beantragte die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs im Inland, dem das Oberlandesgericht entsprach.

Auf die Rechtsbeschwerde hat der BGH diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der BGH beanstandet die Feststellungen, mit denen das Oberlandesgericht die Zulässigkeit des Antrags auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gemäß § 1061 ZPO bejaht hatte.

C. Kontext der Entscheidung
Ausländische Schiedssprüche bedürfen wie ausländische Urteile (§§ 328, 722 ZPO) der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung, um im Inland Wirkung zu entfalten und vollstreckt werden zu können (§ 1061 ZPO). Die Durchführung eines Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahrens setzt wie jedes Gerichtsverfahren die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland voraus. Dabei handelt es sich um eine allgemeine und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung.

Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht auf ausländische Staaten, soweit sie Immunität genießen. Dabei verlaufen die Grenzen der Immunität im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren anders, mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Auswirkungen – auch im Hinblick auf die Gefahr politischer Verwicklungen – eines Urteils im Erkenntnisverfahren oder einer Zwangsvollstreckung. Im Erkenntnisverfahren besteht nach allgemeinem Völkerrecht Immunität, soweit die hoheitliche Betätigung des ausländischen Staats durch den Rechtsstreit betroffen ist, im Zwangsvollstreckungsverfahren bestimmt sich die Immunität danach, ob der ausländische Staat das Vollstreckungsobjekt als Hoheitsträger besitzt (vgl. Geimer, IZPR, 6. Aufl., Rn. 562).

Im Fall war zunächst klarzustellen, dass es sich bei dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs gemäß § 1061 ZPO nicht um ein Verfahren der Zwangsvollstreckung, sondern um ein Erkenntnisverfahren eigener Art handelt (Rn. 10 der Besprechungsentscheidung, m.w.N.; so schon BGH, Beschl. v. 27.03.2002 - III ZB 43/00 - NJW-RR 2002, 933 Rn. 6, m.w.N.). Rechtsfolge ist, dass die Grundsätze über die Immunität ausländischer Staaten im Erkenntnisverfahren gelten. Diese Klarstellung war erforderlich, weil das Oberlandesgericht stattdessen eine „Vollstreckungsimmunität“ des Antragsgegners geprüft hatte.

Nach allgemeinem Völkerrecht, das gemäß § 20 Abs. 2 GVG, Art. 25 GG als Bundesrecht gilt, sind Staaten im Erkenntnisverfahren der Gerichtsbarkeit anderer Staaten nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit (acta iure imperii) und nicht lediglich ihr kommerzielles Handeln (acta iure gestionis) betroffen ist (Rn. 11 der Besprechungsentscheidung, m.w.N.; zuletzt ausf. BVerfG, Beschl. v. 06.12.2006 - 2 BvM 9/03 - BVerfGE 117, 141 = NJW 2007, 2605 Rn. 34 ff.; BAG, Urt. v. 01.07.2010 - 2 AZR 270/09 - RIW 2011, 167 Rn. 11). Hierbei richtet sich die – regelmäßig nach dem Recht des entscheidenden Staates (lex fori) vorzunehmende – Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nichthoheitlicher Staatstätigkeit nach objektiven Kriterien, nämlich der Art bzw. der Natur der umstrittenen bzw. zu beurteilenden Handlung oder des streitigen Rechtsverhältnisses, nicht nach deren Motiv oder Zweck (vgl. Rn. 11 der Besprechungsentscheidung; BAG, Urt. v. 01.07.2010 - 2 AZR 270/09 Rn. 12, jeweils m.w.N.). Der III. Zivilsenat gelangt – abweichend von der Vorinstanz, welche die Vollstreckbarkeit einer Geldforderung aus dem Schiedsspruch unter dem (nicht einschlägigen) Gesichtspunkt einer Vollstreckungsimmunität geprüft hatte – zu dem Ergebnis, dass die mit dem Schiedsspruch entschiedene Klage die hoheitliche – und damit nicht einer fremden Gerichtsbarkeit unterliegende – Betätigung des Antragsgegners betraf, indem die Verurteilung auf einer Verletzung des Art. 2 Abs. 3 ISV 2002 über die Verpflichtung jeder Vertragspartei, „Kapitalanlagen von Investoren der anderen Vertragspartei und der Erträge“ „in ihrem Hoheitgebiet“ zu schützen, und insoweit auf Unterlassungen bzw. Handlungen des Antragsgegners im Zusammenhang mit der Genehmigung und Sicherung von Mautgebühren beruhte, die dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen waren (Rn. 12 der Besprechungsentscheidung). Dem ist zuzustimmen.

Unterliegt nach allgemeinem Völkerrecht der ausländische Staat nicht der fremden Gerichtsbarkeit, ist gleichwohl ein Verfahren zulässig, soweit der ausländische Staat auf seinen Immunitätsanspruch verzichtet hat. Eine solche Unterwerfung kann ausdrücklich (z.B. in einem völkerrechtlichen Vertrag oder durch einseitige Erklärung) erfolgen oder konkludent (z.B. im Wege einer vorbehaltlosen Einlassung vor Gericht). Dabei gilt wiederum, dass eine wirksame Unterwerfung hinsichtlich eines Erkenntnisverfahrens nicht zugleich auch das Vollstreckungsverfahren umfasst. Immunität im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren sind vielmehr getrennt zu prüfen (vgl. auch Geimer, IZPR, Rn. 629 f., m.w.N.).

Im Fall bestimmte die Schiedsklausel in Art. 10 Abs. 2 ISV 2002, dass die Streitigkeit, wenn sie nicht anderweitig beigelegt werden kann, „auf Verlangen einer der Streitparteien einem Schiedsverfahren unterworfen“ wird. Eine solche Unterwerfung unter ein Schiedsverfahren als ein Erkenntnisverfahren lässt grundsätzlich nicht zugleich auch auf einen entsprechenden Immunitätsverzicht für ein anschließendes Zwangsvollstreckungsverfahren schließen (Rn. 14 der Besprechungsentscheidung; BVerfG, Beschl. v. 06.12.2006 - 2 BvM 9/03 Rn. 37; BGH, Beschl. v. 04.10.2005 - VII ZB 8/05 - NJW-RR 2006, 425 Rn. 22, m.w.N.). Die weitere – streitige – Frage, ob aber ein Verzicht auf die Immunität im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs (als Erkenntnisverfahren besonderer Art) daraus abgeleitet werden kann, konnte der Senat im Fall offenlassen. Enthält der Vertrag – wie hier in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 ISV 2002 – eine Regelung, dass „der Schiedsspruch (...) nach innerstaatlichem Recht vollstreckt“ wird, hat sich der ausländische Staat auch dem Verfahren unterworfen, das in Deutschland in Gestalt des Verfahrens gemäß § 1061 ZPO als Vorstufe einer Zwangsvollstreckung notwendig ist.

Allerdings – so der Senat weiter – reicht eine solche Unterwerfung gegenständlich nicht weiter als der Anwendungsbereich des Abkommens selbst. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, wonach völkerrechtliche Verträge so auszulegen sind, dass die Vertragspartner einerseits das von ihnen gemeinsam erstrebte Ziel durch den Vertrag erreichen können, andererseits nicht über das gewollte Maß hinaus als gebunden anzusehen sind, wie der BGH im Anschluss an das BVerfG bereits einmal in Auslegung eines Immunitätsverzichts aus einer Schiedsvereinbarung hervorgehoben hatte (BGH, Beschl. v. 04.10.2005 - VII ZB 8/05 Rn. 23, m.w.N). Im Fall hatte der Antragsgegner aber gerügt, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts auch Sachverhalte erfasse, die nicht unter den ISV 2002 fielen. Das Oberlandesgericht hatte gemeint, mit dieser Einwendung sei er ausgeschlossen. Der Vorinstanz war daher aufzugeben, die unterlassene Prüfung nachzuholen, ob die streitgegenständliche Investition unter Art. 8 Abs. 2 ISV 2002 fällt, der den – auch für den Umfang der Unterwerfung und damit des Immunitätsverzichts maßgeblichen – gegenständlichen Anwendungsbereich des Abkommens bestimmt.

Die Entscheidung befasst sich abschließend mit verschiedenen Erwägungen, aus denen die Vorinstanz den Einwand der Staatenimmunität für ausgeschlossen gehalten hatte. Der Senat betont, dass an die Annahme eines Immunitätsverzichts strenge Anforderungen zu stellen sind und ein solcher im Zweifel nicht zu vermuten ist. Bedarf er regelmäßig einer ausdrücklichen Erklärung, ist gleichwohl auch ein konkludenter Immunitätsverzicht möglich. Allerdings kommen für einen konkludenten Immunitätsverzicht nur Verhaltensweisen in Betracht, aus denen sich der Unterwerfungswille eindeutig ergibt, wobei dieser sich im Zweifel nur auf den konkreten Prozess bezieht (Rn. 19 der Besprechungsentscheidung, m.w.N.). Auf dieser Grundlage war – entgegen der Vorinstanz – einem Verhalten des Antragsgegners im Schiedsverfahren – hier der Verzicht auf ein Rechtsmittel gegen eine Zuständigkeitszwischenentscheidung im Schiedsverfahren und die weitere Einlassung auf die Schiedsklage – keine immunitätsausschließende Wirkung im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs beizumessen. Eine solche Wirkung kann auch nicht über in diesem Verfahren gemäß den §§ 1062 ff. ZPO geltende Präklusionsvorschriften erzielt werden (Rn. 17 der Besprechungsentscheidung).

Der Senat bestätigt ferner (Rn. 18 f.), dass – unangefochten gebliebene – (Zwischen-)Entscheidungen im Schiedsverfahren, welche zu Unrecht die Immunität verneinen und damit die Grenzen der Gerichtsbarkeit überschreiten, – nicht anders als entsprechende Gerichtsurteile (für ein unangefochten gebliebenes Zwischenurteil: BGH, Urt. v. 09.07.2009 - III ZR 46/08 - BGHZ 182, 10 Rn. 17 ff.; vgl. Geimer, IZPR, Rn. 529 f., 533 ff.) – keine Bindungswirkung entfalten und nicht geeignet sind, den Einwand der Immunität in einem anschließenden Gerichtsverfahren wie hier zu präkludieren.

D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung bringt einige Klarstellungen, wie bereits die umfangreichen Leitsätze belegen. Fundamental ist der Grundsatz, dass Immunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren zu unterscheiden und immer getrennt und für jedes Verfahren gesondert zu prüfen sind. Dies gilt genauso, wenn – spiegelbildlich – ein Immunitätsverzicht des ausländischen Staates die deutsche Gerichtsbarkeit begründen soll. Beinhaltet eine Schiedsabrede eine Regelung, der Schiedsspruch werde „nach innerstaatlichem Recht vollstreckt“, ist darin grundsätzlich eine Unterwerfung unter das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gemäß § 1061 ZPO enthalten. Eine völkervertragliche Schiedsklausel ist hinsichtlich des sich daraus ergebenden Immunitätsverzichts maßvoll und unter Beachtung des Anwendungsbereichs des Abkommens auszulegen. Besonders strenge Anforderungen sind an die Annahme eines konkludenten Immunitätsverzichts zu stellen, der sich im Zweifel auch nur auf den konkreten Prozess bezieht. Einem Verhalten im Schiedsverfahren ist deshalb grundsätzliche keine immunitätsausschließende Wirkung in einem späteren Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs beizumessen. Entscheidungen im Schiedsverfahren, welche die Immunität verletzen und damit die Gerichtsbarkeit überschreiten, sind – nicht anders als entsprechende Gerichtsurteile – nicht bindend und nicht geeignet, den Einwand der Immunität in weiteren Gerichtsverfahren zu präkludieren.