jurisPR-BGHZivilR 18/2011 Anm. 1

Architektenvertrag: Pflicht zur Führung eines Bautagebuches

Anmerkung zu BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 28.07.2011 - VII ZR 65/10
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsätze
1. Vereinbaren die Parteien, dass für Inhalt und Umfang der werkvertraglichen Leistungspflichten des Architekten das Leistungsbild des § 15 Abs. 2 HOAI entsprechend gilt, hat der Architekt ein Bautagebuch zu führen.
2. Kommt der Architekt dieser Verpflichtung nicht nach, ist der Besteller grundsätzlich gemäß § 634 BGB zur Minderung des Architektenhonorars berechtigt.

A. Problemstellung
In einem zwischen dem Architekten und seinem Auftraggeber geführten Honorarprozess hatte sich der BGH erstmals mit der Frage einer Minderung des Architektenhonorars für die Leistungsphase 8 des § 15 Abs. 2 HOAI a.F. wegen nicht geführter Bautagebücher zu befassen. Daneben war über die Frage der Anrechenbarkeit durch Nachträge erhöhter Kosten im Rahmen der Honorarermittlung gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 HOAI a.F. für die Leistungsphasen 5 bis 7 des § 15 Abs. 2 HOAI a.F. zu entscheiden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger, ein mit Leistungen gemäß Leistungsphasen 1 bis 9 des § 15 Abs. 2 HOAI beauftragter Architekt, hatte restliches Honorar eingeklagt aus im Jahre 1999 für drei Bauvorhaben geschlossenen Architektenverträgen. Der beklagte Auftraggeber hatte widerklagend Schadensersatz wegen unrichtiger Kostenberatung, hilfsweise die Rückzahlung überzahlter Vergütung in Höhe von 87.176,18 Euro verlangt.

Das Berufungsgericht (KG Berlin, Urt. v. 16.03.2010 - 7 U 53/08 - Grundeigentum 2010, 981), hatte auf die Widerklage den Architekten zur Rückzahlung überzahlten Honorars in Höhe von 10.182,23 Euro verurteilt und im Übrigen die Berufungen der Parteien zurückgewiesen.

Der BGH hat die Revision des beklagten Auftraggebers teilweise zugelassen, nämlich soweit der Kläger sein Honorar für die Leistungsphasen 5 bis 7 des § 15 Abs. 2 HOAI bei einem der Bauvorhaben nicht auf der Basis des Kostenanschlages vom 30.11.2001, sondern eines späteren Kostenanschlags ermittelt und soweit dem Beklagten eine Minderung des Architektenhonorars wegen nicht geführter Bautagebücher bei den drei Bauvorhaben nicht zugebilligt worden war.

Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der BGH hat dem Auftraggeber einen weitergehenden Anspruch auf Rückzahlung überzahlten Architektenhonorars in Höhe von 8.510,81 Euro zuerkannt und hinsichtlich eines weiteren Betrages von 3.490,53 Euro die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der BGH verweist zunächst zur Frage der Honorarermittlung auf sein nach Erlass des Berufungsurteils ergangenes Urteil vom 05.08.2010 (VII ZR 14/09 - BauR 2010, 1957), in welchem der VII. Zivilsenat entschieden hat, dass Nachträge, die nach der Vergabe einer Bauleistung an einen Unternehmer entstehen, bei dem gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 HOAI zur Ermittlung des Architektenhonorars zugrundezulegenden Kostenanschlag nicht berücksichtigt werden dürfen. Danach war das Architektenhonorar auf der Grundlage des früheren Kostenanschlags vom 30.11.2001 zu ermitteln, so dass dem Beklagten ein weiterer Honorarrückzahlungsanspruch zuzusprechen war. Der klagende Architekt hatte allerdings vorgetragen, ihm sei ein Auftrag zur Umplanung erteilt worden, aus dem ihm für die Leistungsphasen 5 bis 7 des § 15 Abs. 2 HOAI ein weiterer Honoraranspruch zustehe. Zur Prüfung dieses Anspruchs hat der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ebenfalls zurückverwiesen hat der BGH die Sache zu der weiteren in dem Urteil behandelten Rechtsfrage einer Minderung des Architektenhonorars wegen nicht geführter Bautagebücher. Hierzu enthält die Entscheidung grundlegende Ausführungen:

Der VII. Zivilsenat stellt klar, dass das Führen eines Bautagebuchs zum Leistungsbild der Objektüberwachung, d.h., der Leistungsphase 8 des § 15 Abs. 2 HOAI gehört. Dabei steht diese Pflicht nicht unter dem Vorbehalt einer Erforderlichkeit des Bautagebuches für die einzelnen Baumaßnahmen. Denn – so der Senat – die Erforderlichkeit des Führens eines Bautagebuches für die jeweiligen Baumaßnahmen ergibt sich ohne weiteres aus dem Sinn und Zweck des Bautagesbuches. Dieser ist, das Baugeschehen mit allen wesentlichen Einzelheiten zuverlässig und beweiskräftig festzuhalten. Diese Dokumentation kann insbesondere bei Störungen des Bauablaufs oder Auseinandersetzungen mit anderen Baubeteiligten von großer Bedeutung sein, wobei das berechtigte Interesse daran nicht nur bei Neubauten, sondern auch bei Bauten im Bestand, also bei Modernisierungsmaßnahmen, Instandsetzung und Ausbau besteht. Gerade bei diesen Maßnahmen kann es von großer Wichtigkeit sein, Abweichungen vom vorausgesetzten Bestand und sich daraus ergebende Probleme zu dokumentieren, weil sie erfahrungsgemäß Grundlage von Nachtragsforderungen der Bauunternehmer sein können.

Andererseits ist zur Erfüllung der Pflicht des Architekten, ein Bautagebuch zu führen, die Aushändigung an den Besteller ist grundsätzlich nicht erforderlich. Der Architekt hat nämlich ein berechtigtes Interesse daran, dass das Bautagebuch bei ihm verbleibt, da es auch dazu dient, gegenüber dem Besteller eine ordnungsgemäße Bauüberwachung zu dokumentieren.

Zu den Rechtsfolgen stellt die Entscheidung fest, dass das Werk mangelhaft ist, wenn der Architekt, indem er kein Bautagebuch geführt hat, den geschuldeten Teilerfolg nicht erbracht hat. Ist diese Leistungspflicht verletzt, wozu der Nachweis noch nicht genügt, dass der Architekt dem Bauherrn ein geführtes Bautagebuch lediglich nicht übergeben hat, kann der Bauherr unter den Voraussetzungen des § 634 BGB das Honorar für die Leistungsphase mindern. Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung ist dafür entbehrlich, weil ein Bautagebuch nachträglich nicht mehr zuverlässig erstellt werden kann.

C. Kontext der Entscheidung
Der VII. Zivilsenat führt in der besprochenen Entscheidung zunächst seine jüngste Rechtsprechung zu § 10 Abs. 2 Nr. 2 HOAI 1995 (a.F.) fort. In seinem Urteil vom 05.08.2010 hatte er die Frage nach der richtigen Ermittlung der „anrechenbaren Kosten“ für die Leistungsphasen 5 bis 7 nach dem „Kostenanschlag“ gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 HOAI a.F. dahin beantwortet, dass Nachträge, die nach der Vergabe einer Bauleistung an einen Unternehmer entstehen, bei dem der Honorarermittlung zugrundezulegenden Kostenanschlag nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Das vor dem Urteil vom 05.08.2010 ergangene Berufungsurteil war in diesem Punkt aufzuheben, weil es noch der zuvor herrschenden Meinung folgte, die eine Fortschreibung des Kostenanschlag aus Nachträgen für zulässig und geboten hielt. Bereits in seinem Urteil vom 05.09.2010 hatte der Senat unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 26.07.2007 (VII ZR 42/05 - BGHZ 173, 314 Rn. 28) weiter ausgeführt, dass dem Architekten, wenn er im Zusammenhang mit Nachträgen an die Unternehmer erneute Grundleistungen erbringen muss, ein weiteres Honorar hierfür zusteht. Ein Mehraufwand des Architekten aus der Bearbeitung solcher Nachträge, etwa in Gestalt einer geänderten Planung, einer erneuten Ausschreibung und der Prüfung von Nachtragsangeboten, wird folglich nicht über die Erhöhung der anrechenbaren Kosten nach dem Kostenanschlag vergütet, sondern nur als weiteres Honorar für erneut erbrachte Grundleistungen. Ein Auftrag zur Umplanung kann, wie sich aus der besprochenen Entscheidung ergibt, gegebenenfalls einen solchen weiteren Honoraranspruch auslösen.

Mit der weiteren Rechtsfrage einer Minderung des Architektenhonorars wegen nicht geführter Bautagebücher befasst sich der VII. Zivilsenat in der besprochenen Entscheidung erstmals.

Das Berufungsgericht hatte das behauptete Fehlen eines Bautagebuches im Ergebnis als unerheblich angesehen. Die Führung eines Bautagebuches sei nur dann vertraglich geschuldet, wenn dies zur Durchführung der Baumaßnahme erforderlich gewesen sei. Liege kein Bautagebuch vor, mache sich der Architekt eventuell schadenersatzpflichtig, wenn er seine Überwachungspflichten nicht dokumentieren könne. Zur Vertragserfüllung sei das Führen des Bautagebuchs aber keineswegs erforderlich (Rn. 55 f. des Berufungsurteils).

Der BGH ist deutlich anderer Auffassung. Das Urteil stellt klar, dass das Führen eines Bautagebuches zum Leistungsbild der Objektüberwachung (Leistungsphase 8 des § 15 Abs. 2 HOAI a.F.) und deshalb uneingeschränkt zu den Leistungspflichten des Architekten gehört (im Ergebnis ebenso OLG Celle, Urt. v. 11.10.2005 - 14 U 68/04 - BauR 2006, 1161; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.05.2006 - 9 U 113/05 - BauR 2007, 1770). Der Senat ergänzt, dass sich die Erforderlichkeit des Führens eines Bautagebuches für die jeweilige Baumaßnahme ohne weiteres aus dem Sinn und Zweck desselben ergibt, das Baugeschehen mit allen wesentlichen Einzelheiten zuverlässig und beweiskräftig festzuhalten. Lediglich ist zur Erfüllung der Pflicht die Aushändigung an den Besteller grundsätzlich nicht erforderlich.

Erbringt der Architekt diesen geschuldeten Teilerfolg nicht, ist sein Werk mangelhaft und kann folglich der Auftraggeber wegen des fehlenden Bautagebuches unter den Voraussetzungen des § 634 BGB eine Kürzung (Minderung) des Architektenhonorars verlangen (ebenso schon OLG Celle, Urt. v. 11.10.2005 - 14 U 68/04 Rn. 19; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.05.2006 - 9 U 113/05 Rn. 32). Der Senat stimmt ferner der obergerichtlichen Rechtsprechung zu (unter Hinweis auf OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.05.2006 - 9 U 113/05 Rn. 31; ebenso OLG Celle, Urt. v. 11.10.2005 - 14 U 68/04 Rn. 19), wonach eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung in diesem Fall entbehrlich ist, weil ein Bautagebuch nachträglich nicht mehr zuverlässig erstellt werden kann.

D. Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil erteilt einer Auffassung, welche das Führen eines Bautagebuches gemäß der Leistungsphase 8 des § 15 Abs. 2 HOAI a.F. (jetzt Leistungsphase 8 des § 33 HOAI 2009 i.V.m. Anlage 11) als bedeutungslos oder bloße Angelegenheit des Architekten ansehen wollte, eine deutliche Absage. Das Führen des Bautagebuches gehört zum Leistungsbild der Objektüberwachung und ist deshalb Leistungspflicht des damit beauftragten Architekten. Die Nichtleistung kann zu einer Kürzung seines Honoraranspruchs führen.

Die Entscheidung befasst sich nicht mehr mit der Frage der Bemessung einer solchen Minderung. Hier ist auf die obergerichtliche Rechtsprechung zurückzugreifen, die in Anlehnung an die Steinfort-Tabelle und andere Bewertungstabellen (vgl. die Zusammenstellung bei Locher/Koeble/Frik, HOAI, 10. Aufl., Anhang 4/1) das Führen eines Bautagebuches mit einem Anteil von 0,5% der vom Architekten im Rahmen der Leistungsphasen 1 bis 9 des § 15 HOAI a.F. (§ 33 HOAI 2009) insgesamt geschuldeten Grundleistungen bewertet und daran die Minderung des Honoraranspruchs bemessen hat (OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.05.2006 - 9 U 113/05 Rn. 32; OLG Celle, Urt. v. 11.10.2005 - 14 U 68/04 Rn. 20).

Die im Übrigen fortgeführte Senatsrechtsprechung zur Honorarermittlung gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2 HOAI a.F. hat unmittelbare Bedeutung nur für vor dem 18.08.2009 geschlossene Architektenverträge. Denn der Kostenanschlag hat gemäß der HOAI 2009 keinen Einfluss mehr auf die Honorarermittlung. § 7 Abs. 5 HOAI 2009 sieht ferner ausdrücklich vor, dass bei Änderungen des beauftragten Leistungsumfanges auf Veranlassung des Auftraggebers während der Laufzeit des Vertrages mit der Folge von Änderungen u.a. der anrechenbaren Kosten die dem Honorar zugrundeliegende Vereinbarung durch schriftliche Vereinbarung anzupassen ist.