jurisPR-BGHZivilR 12/2011 Anm. 1

Vertragliche Haftung des Kontoinhabers bei unbefugter Nutzung eines eBay-Mitgliedskontos?

Anmerkung zu BGH 8. Zivilsenat, Urteil vom 11.05.2011 - VIII ZR 289/09
Dr. Barbara Genius, Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof

Leitsätze
1. Werden unter Nutzung eines fremden eBay-Mitgliedskontos auf den Abschluss eines Vertrages gerichtete Erklärungen abgegeben, liegt ein Handeln unter fremdem Namen vor, auf das die Regeln über die Stellvertretung sowie die Grundsätze der Anscheins- oder der Duldungsvollmacht entsprechend anzuwenden sind (im Anschluss an BGH, Urt. v. 03.03.1966 - II ZR 18/64 - BGHZ 45, 193; BGH, Urt. v. 18.01.1988 - II ZR 304/86 - NJW-RR 1988, 814; BGH, Urt. v. 08.12.2005 - III ZR 99/05 - NJW-RR 2006, 701).
2. Ohne Vollmacht oder nachträgliche Genehmigung des Inhabers eines eBay-Mitgliedskontos unter fremdem Namen abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärungen sind dem Kontoinhaber nur unter den Voraussetzungen der Duldungs- oder der Anscheinsvollmacht zuzurechnen. Für eine Zurechnung reicht es nicht bereits aus, dass der Kontoinhaber die Zugangsdaten nicht hinreichend vor dem Zugriff des Handelnden geschützt hat (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 11.03.2009 - I ZR 114/06 - BGHZ 180, 134 "Halzband").
3. Eine von eBay gestellte und von jedem registrierten Nutzer akzeptierte Formularklausel, wonach Mitglieder grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten haften, die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden, begründet keine Haftung des Kontoinhabers gegenüber Auktionsteilnehmern.

A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Inhaber eines eBay-Mitgliedskontos vertraglich für Erklärungen haftet, die ein Dritter unter unbefugter Verwendung seines Mitgliedskontos abgegeben hat.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte unterhielt beim Internetauktionshaus eBay ein passwortgeschütztes Mitgliedskonto. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay enthalten in § 2 Ziff. 9 die Regelung, nach der die „Mitglieder“ „grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten“ „haften“, „die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden.“ Der damalige Verlobte und jetzige Ehemann der Beklagten bot unter Nutzung des Mitgliedskontos der Beklagten eine komplette Gastronomieeinrichtung mit einem Eingangsgebot von 1 Euro zum Verkauf an, auf das der Kläger ein Maximalgebot von 1.000 Euro abgab. Einen Tag später wurde die Auktion vorzeitig durch Rücknahme des Angebots beendet. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt der Höchstbietende. Er forderte die Beklagte zur Herausgabe der Gastronomieeinrichtung zum Preis von 1.000 Euro auf. Nach erfolglosem Ablauf der dafür gesetzten Frist verlangte er Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Höhe des Zeitwertes der Einrichtung abzüglich des Kaufpreises, insgesamt ein Betrag von 32.820 Euro.

Seine Klage, gegen die sich die Beklagte damit verteidigte, dass das Angebot nicht von ihr bei eBay eingestellt worden war, blieb in allen drei Instanzen erfolglos. Das Revisionsurteil bestätigt die Auffassung der Vorinstanzen, dass dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zusteht, da zwischen den Parteien kein Kaufvertrag zustande gekommen war. Der BGH hat dazu entschieden, dass auch bei Internet-Geschäften die Regeln des Stellvertretungsrechts anwendbar sind. Erklärungen, die unter dem Namen eines anderen abgegeben worden sind, verpflichten den Namensträger daher nur in Ausübung einer bestehenden Vertretungsmacht, bei nachträglicher Genehmigung durch den Namensträger oder in Zurechnung aus Gründen des Vertrauensschutzes. Allein die unsorgfältige Verwahrung der Kontaktdaten eines eBay-Mitgliedskontos hat noch nicht die Zurechnung von einem Dritten unter unbefugter Verwendung des Kontos abgegebener Erklärungen zur Folge. Eine solche Zurechnung ergibt sich auch nicht aus § 2 Ziff. 9 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay.

C. Kontext der Entscheidung
Zu beurteilen hatte der BGH im vorliegenden Fall ein im Internet unter einem fremden Namen getätigtes Geschäft. In höchstrichterlicher Rechtsprechung, welche das Urteil bestätigt (zuletzt BGH, Urt. v. 08.12.2005 - III ZR 99/05 - NJW-RR 2006, 701 Rn. 11, m.w.N.), ist anerkannt, dass auf das Handeln unter einem fremden Namen, bei dem der Anschein erweckt wird, es solle mit dem Namensträger ein Geschäft abgeschlossen werden, die Regeln über die Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) entsprechend anzuwenden sind. Dass dies auch für Geschäfte gilt, die über das Internet abgewickelt werden, war bislang nur in obergerichtlichen Entscheidungen erkannt worden (OLG München, Urt. v. 05.02.2004 - 19 U 5114/03 - NJW 2004, 1328; OLG Köln, Urt. v. 13.01.2006 - 19 U 120/05 - NJW 2006, 1676; OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2006 - 28 U 84/06 - NJW 2007, 611). Der BGH schließt sich dieser Rechtsprechung ausdrücklich an und stellt fest, dass ein Handeln unter fremdem Namen vorliegt, wenn unter Nutzung eines fremden eBay-Mitgliedskontos auf den Abschluss eines Vertrages gerichtete Erklärungen abgegeben werden.

In entsprechender Anwendung der Regeln über die Stellvertretung verpflichten solche Erklärungen den Namensträger regelmäßig nur dann, wenn sie in Ausübung einer bestehenden Vertretungsmacht erfolgen, vom Namensträger nachträglich genehmigt werden oder in analoger Anwendung der Grundsätze der Duldungs- oder der Anscheinsvollmacht dem Namensträger zuzurechnen sind. Dabei ist bei einem mit einer Identitätstäuschung verbundenen Handeln unter fremdem Namen bei Anwendung dieser Grundsätze auf das Verhalten des Namensträgers abzustellen. Für eine Zurechnung reicht es – so der für die Praxis wichtige Kernsatz der Entscheidung – danach nicht bereits aus, dass der Inhaber des eBay-Mitgliedskontos seine Zugangsdaten nicht hinreichend vor dem Zugriff des Handelnden geschützt hat. Dem zugrunde liegt, dass den Zugangsdaten zwar eine Identifikationsfunktion zukommt. Angesichts der derzeitigen, einen Missbrauch nicht hinreichend ausschließenden Sicherheitsstandards im Internet auch bei einem eBay-Account kann jedoch nicht zuverlässig darauf geschlossen werden, dass unter einem registrierten Mitgliedsnamen ausschließlich dessen tatsächlicher Inhaber auftritt. Der BGH schließt sich auch mit dieser Wertung der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung an (OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2006 - 28 U 84/06 - NJW 2007, 611; OLG Köln, Urt. v. 13.01.2006 - 19 U 120/05 - NJW 2006, 1676).

Bei dieser Wertung bleibt es auch in Abgrenzung zur Rechtsprechung des BGH im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts. Soweit der BGH dort eine unsorgfältige Verwahrung der Kontaktdaten eines eBay-Mitgliedskontos als eigenständigen Zurechnungsgrund für von einem Ehegatten unter Verwendung dieses Kontos begangene Urheberrechts- und/oder Markenrechtsverletzungen und Wettbewerbsverstöße hat genügen lassen (BGH, Urt. v. 11.03.2009 - I ZR 114/06 - BGHZ 180, 134 Rn. 16 ff. „Halzband“; BGH, Urt. v. 12.05.2010 - I ZR 121/08 - BGHZ 185, 330 Rn. 14 „Sommer unseres Lebens“), lassen sich diese – für den Bereich der deliktischen Haftung entwickelten – Grundsätze nicht auf die Zurechnung einer unter unbefugter Nutzung eines Mitgliedskontos von einem Dritten abgegebenen rechtsgeschäftlichen Erklärung übertragen. Der BGH unterstreicht in seinem Urteil die dieser Erkenntnis zugrundeliegende ratio: Die Zurechnung im Bereich der deliktischen Haftung beruht darauf, dass im Deliktsrecht der Schutz absoluter Rechte Vorrang vor den Interessen des Schädigers genießt. Demgegenüber ist im rechtsgeschäftlichen Bereich eine Einstandspflicht desjenigen, der eine unberechtigte Nutzung seines passwortgeschützten Mitgliedskontos ermöglicht hat, nur gerechtfertigt, wenn die berechtigten Interessen des Geschäftspartners schutzwürdiger als seine eigenen Belange sind. Dies – so der BGH – ist vorliegend nicht der Fall: Alleine die Einrichtung eines passwortgeschützten eBay-Mitgliedskontos mit Identifikationsfunktion reicht nicht aus für die Annahme vorgehender Interessen des Geschäftspartners und führt deshalb nicht zu einer Einstandspflicht des Inhabers des Mitgliedskontos im Wege der Zurechnung.

Im rechtsgeschäftlichen Bereich bleibt es damit auch bei Geschäften, die über das Internet abgewickelt werden, bei der gesetzlichen Risikoverteilung, die das Risiko einer fehlenden Vertretungsmacht des Handelnden dem Geschäftsgegner zuweist. Eine Durchbrechung dieser Risikozuweisung in Gestalt einer Zurechnung der von einem Dritten abgegebenen Erklärungen zu Lasten des „Vertretenen“ ist erst gerechtfertigt, wenn der Geschäftsgegner annehmen durfte, der „Vertretene“ kenne und billige das Verhalten des Dritten, wenn jener also einen Rechtsschein im Rechtsverkehr gesetzt hat. Ein solcher Vertrauenstatbestand lässt sich jedoch – so der BGH – nicht allein aus der Einrichtung eines passwortgeschützten eBay-Mitgliedskontos mit Identifikationsfunktion ableiten.

Zuletzt verneint der BGH eine Haftung der Beklagten aus § 2 Ziff. 9 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, nach denen Mitglieder grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten haften, die unter Verwendung ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden, mit der – überzeugenden – Begründung, dass diese nur zwischen eBay und dem Inhaber des Mitgliedskontos vereinbart sind und ihnen keine unmittelbare Geltung zwischen Anbieter und Bieter zukommt.

D. Auswirkungen für die Praxis
Das BGH-Urteil bringt – unter korrespondierender Schwächung der Käuferrechte – im rechtsgeschäftlichen Bereich eine Haftungserleichterung für Inhaber eines eBay-Mitgliedskontos. Gleichwohl kann in der Praxis den Inhabern solcher Konten nur geraten werden, die Zugangsdaten sicher und für fremde Personen unzugänglich aufzubewahren. Auch wenn eine rechtsgeschäftliche Haftung nicht in Betracht kommt, haften sie im deliktischen Bereich nämlich dennoch, wenn das unbefugt bei eBay eingestellte Angebot in absolute Rechte eingreift und etwa Urheber- oder Markenrechte verletzt, wie der BGH in seinen hierzu ergangenen Entscheidungen (BGH, Urt. v. 11.03.2009 - I ZR 114/06 - BGHZ 180, 134 „Halzband“; BGH, Urt. v. 12.05.2010 - I ZR 121/08 - BGHZ 185, 330 „Sommer unseres Lebens“) festgestellt hat und was – in Abgrenzung hierzu – von dem hier betrachteten Urteil des VIII. Zivilsenats nicht in Frage gestellt wird.