jurisPR-BGHZivilR 30/2007 Anm. 3

Bürgschaft auf erstes Anfordern
Anm. zu BGH, Beschluss vom 24.05.2007 - VII ZR 210/06
Dr. Ekkehart Reinelt, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Leitsatz

Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers, die einen Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche vorsieht, der durch Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, ist auch dann unwirksam, wenn dem Auftragnehmer die Befugnis eingeräumt wird, die Hinterlegung des Sicherheitseinbehalts zu verlangen.

A. Problemstellung
Immer wieder finden sich höchstrichterliche Entscheidungen über die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit von Bürgschaften auf erstes Anfordern. In den vergangenen Jahren war die Stellung solcher Bürgschaften zunächst bei Gewährleistungsbürgschaften, dann aber auch bei Ausführungsbürgschaften in Werkverträgen sehr verbreitet. Diese Bürgschaften hatten ja auch erhebliche Vorteile. Soweit sich der Bürge gegen die Inanspruchnahme wehrte, war die Geltendmachung der Forderung im Urkundenprozess unproblematisch möglich. Der Kläger hatte nur die Bürgschaft und die Zahlungsaufforderung vorzulegen. Der Bürge wurde dagegen mit seinen Einwendungen gegen die Inanspruchnahme auf einen Rückforderungsprozess verwiesen. Der aus der Bürgschaft Berechtigte konnte sich auf diese Weise rasch Liquidität verschaffen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Bürge stellte für einen Auftragnehmer mehrere Gewährleistungsbürgschaften auf erste Anforderung auf Zahlung von über 100.000 €. In den Werkverträgen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer war geregelt, dass die Gewährleistungssicherheit in Höhe von 5% der Abrechnungssumme mit der Schlussrechnung in Ansatz gebracht wird. Diese konnte der Auftragnehmer nur durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ablösen. Der Auftragnehmer hatte allerdings das Wahlrecht des § 17 Nr. 3 VOB/B. Danach hat der Auftragnehmer die freie Wahl unter verschiedenen Arten der Sicherheit. Er kann eine Sicherheit durch eine andere ersetzen und deshalb nach § 17 Nr. 2 VOB/B auch hinterlegen. Landgericht und Oberlandesgericht hatten die Klage des Auftraggebers auf Zahlung aus den Bürgschaften gegen den Bürgen abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen. Der BGH hatte im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde über die Frage zu entscheiden, ob ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 ZPO vorlag.

Die Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos. Der BGH verwies auf seine ständige Rechtsprechung, wonach Bürgschaften auf erstes Anfordern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam vereinbart werden können. Wie bereits mehrfach entschieden, wird der Auftragnehmer unangemessen benachteiligt, wenn ihm kein angemessener Ausgleich dafür zugestanden wird, dass er den Werklohn nicht sofort ausbezahlt bekommt. Das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist dürfe – so die ständige Rechtsprechung des BGH – nicht auf den Auftragnehmer verlagert werden. Die Liquidität und die Verzinsung des Werklohns dürfen ihm nicht vorenthalten werden.

Ein angemessener Ausgleich werde dem Auftragnehmer auch nicht dadurch gewährt, dass er Liquidität bezüglich des Einbehalts dadurch erlangt, dass er den Sicherheitseinbehalt durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern ablöst. Denn diese Bürgschaft könne ohne weiteres in Anspruch genommen und dem Auftragnehmer dadurch die Liquidität wieder entzogen werden.

Ein solcher Ausgleich sei auch nicht darin zu sehen, dass der Auftragnehmer die Möglichkeit habe, die Hinterlegung des Sicherheitseinbehalts durch den Auftraggeber zu verlangen. Denn die Hinterlegung führe nicht zur Liquidität beim Auftragnehmer.

Da die Rechtslage bezüglich der Bürgschaften auf erstes Anfordern in diesem Zusammenhang umfangreich und umfassend geklärt sei, fehle es bezüglich der Nichtzulassungsbeschwerde an den Zulassungsvoraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO. Eine weitere Entscheidung des Revisionsgerichts sei nicht veranlasst.

C. Kontext der Entscheidung
Viele Jahre lang war es in der Baupraxis üblich, Gewährleistungsbürgschaften als Bürgschaften auf erstes Anfordern auszugestalten. In der Folgezeit wurden dann auch Ausführungsbürgschaften zunehmend mit der Klausel auf erste Anforderung versehen.

Die Bürgschaft auf erstes Anfordern ist deshalb für den Bürgen besonders riskant, weil für ihre Geltendmachung nur die formale Voraussetzung der Wirksamkeit der Bürgschaft und deren Anforderung zu prüfen sind. Alle nicht offensichtlichen oder liquide beweisbaren Einwendungen gegen die Inanspruchnahme werden in einen Rückforderungsprozess aus § 812 BGB verwiesen (BGH, Urt. v. 25.02.1999 - IX ZR 24/98 - NJW 1999, 2361; BGH, Urt. v. 03.04.2003 - IX ZR 287/99 - NJW 2003, 2231; Sprau in: Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, Einführung zu § 765 Rn. 14 m.w.N.). Die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Inanspruchnahme ist nur in den seltensten Fällen bereits im ersten Prozess auf Inanspruchnahme der Bürgschaftssumme nachweisbar. Regelmäßig sind daher alle Einwendungen in den nicht als Urkundenprozess führbaren Rückforderungsprozess verwiesen. Dort erst werden dann die Voraussetzungen der materiellen Wirksamkeit der Bürgschaft geprüft.

Diese für den Berechtigten bequeme Situation hat sich sukzessive verändert. Mit Beginn der 90er Jahre hat die Rechtsprechung des BGH der Bürgschaft auf erstes Anfordern jedenfalls in Allgemeinen Geschäftsbedingungen immer stärkere Fesseln angelegt. Bereits im Jahre 1990 hat der BGH entschieden, dass eine Bürgschaft auf erstes Anfordern nur von einem Kreditinstitut übernommen werden kann (BGH, Urt. v. 05.07.1990 - IX ZR 294/89 - Baurecht 1990, 608). Die Verlagerung des Insolvenzrisikos auf den Auftragnehmer und der Entzug der Liquidität für ihn wurden als Verstoß gegen das AGB-Gesetz und später gegen § 307 Abs. 1 und 2 BGB gesehen (BGH, Urt. v. 05.06.1997 - VII ZR 324/95 - BauR 1997, 829; BGH, Urt. v. 02.03.2000 - VII ZR 475/98 - Baurecht 2000, 1052).

Hatte man früher noch angenommen, dass die unangemessene Benachteiligung beseitigt werden kann, wenn ein entsprechender Ausgleich gewährt wird wie zum Beispiel Einzahlung auf ein gemeinsames Sperrkonto (vergleiche dazu Kleine-Möller/Merl, Handbuch des Privaten Baurechts, 3. Aufl., § 12 Rn. 1341 m.w.N.), führt die zunehmend strenger werdende Rechtsprechung des BGH nun dazu, dass ein solcher Ausgleich weder durch die Möglichkeit einer Einzahlung auf ein Sperrkonto noch einer Hinterlegung bewirkt werden kann. Der Bürgschaftsgläubiger ist dabei nach heutiger Beurteilung erheblichen Risiken ausgesetzt. Ist nämlich die Sicherungsabrede wegen Verstoßes gegen § 307 BGB unwirksam, hat der Auftragnehmer keinerlei Anspruch auf Sicherheit. Eine geltungserhaltende Reduktion der Bürgschaft auf eine einfache selbstschuldnerische Bürgschaft ist nicht möglich (BGH Baurecht 2002, 894; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.06.2003 - 23 U 234/02, I-23 U 234/02 - NJW 2003, 3716). Das bedeutet, dass die unwirksame Bürgschaft auf erstes Anfordern wertlos ist. Die Urkunde ist in diesem Fall herauszugeben (Kleine-Möller/Merl, Handbuch des Privaten Baurechts, 3. Aufl., § 12 Rn. 1341 m.w.N.).

D. Auswirkungen für die Praxis
In der beratenden Baurechtspraxis kann aus den genannten Gründen heute von der Vereinbarung von Bürgschaften auf erstes Anfordern nur abgeraten werden. Zwar können solche Bürgschaften noch immer individualvertraglich vereinbart werden.

Gleichwohl wird man empfehlen müssen, auf die Bürgschaft auf erstes Anfordern ganz zu verzichten. Denn die Abgrenzung zwischen einer individualvertraglichen Vereinbarung und AGB-mäßigen Verwendung ist äußerst schwierig. Ob eine Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingung an § 307 BGB zu messen ist oder ob eine Individualvereinbarung vorliegt, hat derjenige, der die Vereinbarung verwendet, darzulegen und zu beweisen. Er muss dabei das Gericht davon überzeugen, dass die Klausel „ernsthaft zur Disposition gestellt wurde“ (BGH, Urt. v. 25.06.1992 - VII ZR 128/91 - BB 1992, 1813; BGH, Urt. v. 03.12.1991 - XI ZR 77/91 - BB 1992, 169; BayOblG, Beschl. v. 07.11.1991 - BReg 3 Z 120/91 - BB 1992 226). Ob eine vertragliche Formulierung „ernsthaft zur Disposition gestellt“ ist oder nicht, lässt sich kaum zuverlässig beurteilen und schon gar nicht bei vorsorgender Rechtsberatung sicher prognostizieren. Dieses Merkmal hat keinen eindeutig definierbaren Inhalt (vergleiche dazu Reinelt, Irrationales Recht, ZAP-Sonderheft für Egon Schneider 2002, Seite 52 III).

Der anwaltliche Berater unterliegt daher bei einer Vertragsgestaltung, bei der die Bürgschaft auf erste Anforderung empfohlen und einbezogen wird, einem beträchtlichen Haftungsrisiko.

„Timeo Danaos et donas ferentes“ – ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen. Das „Geschenk“ für den Bürgschaftsberechtigten, der vermeintliche Vorteil einer Bürgschaft auf erstes Anfordern, enthüllt sich vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH schnell als Trojanisches Pferd im Rechtsverkehr.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Ein Gesichtspunkt, den der klagende Bauherr vorgebracht hatte, der hinterlegte Sicherheitseinbehalt werde ja schließlich verzinst und der private Auftraggeber könne im Gegensatz zum öffentlichen Auftraggeber im Rückforderungsprozess nicht gerichtskostenfrei auftreten, spielt – so der BGH – für die Entscheidung in Bezug auf die Wertung der Bürgschaft auf erstes Anfordern keine Rolle. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern in AGB ist und bleibt gleichwohl unwirksam.